Donnerstag 25. April 2024
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab.
Joh. 3,16
Katechesen von Kardinal Christoph Schönborn

"Werdet meine Jünger" – Die Lebensschule Jesu

Wortlaut der 1. Katechese 2011/12 von Kardinal Christoph Schönborn am Sonntag, 9. Oktober 2011im Dom zu St. Stephan.

Lasst uns beten!

Komm, Heiliger Geist, Geist der Wahrheit und der Liebe, erleuchte unseren Verstand, stärke unseren Willen, wohne in unserem Gedächtnis, führe uns in alle Wahrheit, die da ist Christus, unser Herr, Amen!

Herzlich willkommen zu dieser neuen Serie von Katechesen, in denen es um das elementare Thema unseres Glaubens geht: Wie wird man Jünger/Jüngerin Jesu?

"Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen" (Mt 16,23). Das war das Evangelium am 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A, 28. August 2011). Jesus sagt dieses Wort zu Petrus, als dieser ihm wegen seiner Ankündigung, er werde leiden, er werde getötet werden, Vorhaltungen macht: Du hast im Sinn, was die Menschen denken, und nicht was Gott denkt. Jüngerschaft Jesu heißt, sich von ihm sagen lassen, von ihm lernen, was Jünger Sein konkret in unserem Leben heißt. Wir sollen bei ihm in die Schule gehen, um das im Sinn zu haben, was Gott will, und nicht, was die Menschen wollen.

I.

Ich habe im Hirtenbrief zu unserem diözesanen Erneuerungsvorgang "Apostelgeschichte 2010" von einem "Masterplan" gesprochen. Es ist nicht ein billiges Wortspiel, wenn ich darunter zuerst den Plan verstehe, den der Meister, unser Herr, selber mit uns hat. Wenn wir nicht seinen Plan verwirklichen, mühen wir uns umsonst. "Wenn nicht der Herr das Haus baut, mühen sich die Bauleute umsonst", heißt es im Psalm 127,1. Wer aber sagt uns, was sein Plan für uns, für die Kirche heute ist? Wie wird das konkret, wie soll es weitergehen? "Unter dem Begriff ‚Masterplan‘ ", so habe ich im Hirtenbrief geschrieben, "verstehe ich kein fertiges Rezept, das ich in der Tasche haben kann. Es geht darum, dass wir gemeinsam neu und frisch dem Herrn selber die Frage stellen: Was willst Du, das wir tun sollen? Die Kirche ist nicht Selbstzweck! Was sagst Du uns durch die vielen Suchenden? Wie lässt Du uns deinen Herzschlag im Leben so vieler vernehmen, die nicht in unseren Kerngemeinden sind? Willst du uns nicht zu einem Umdenken, zu einer Umkehr führen? Rufst du uns nicht neu hinter dich zu stellen, um dir nachzufolgen? Denken wir nicht allzu oft in allzu menschlichen Kategorien, sodass Jesus zu uns wie zu Petrus energisch sagen muss: Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen (Mt 16,23)? Ich frage mich selbstkritisch: Träume ich nicht insgeheim von der Gestalt der Kirche, die ich in meinen jungen Jahren erlebt habe? Hoffe ich nicht doch insgeheim, dass es irgendwie gelingen muss, der Kirche wieder Ansehen, Akzeptanz, Beliebtheit und greifbaren Erfolg zu verschaffen? Bin ich bereit zur heutigen Situation wirklich Ja zu sagen, sie als die Chance zu sehen, die Gott uns heute gibt? Ich bin gewiss: Christus will seine Kirche in Dienst nehmen, als Zeichen und Werkzeug der Vereinigung mit Gott und der Erlösung der Menschen (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 1). Wenn das Zeichen undeutlich, das Werkzeug untauglich wird, muss es neu geschmiedet werden, im Feuer der Prüfung, unter mächtigen Schlägen und im stillen Aufschmelzen des Materials und seiner Ausgießung in die kommende Form. Denn der Geist will unsere Herzen erneuern und mit Ihnen das Angesicht der Erde."

Daran möchte ich anknüpfen: Denken, wie der Herr denkt, und nicht wie wir selber. Wir sollen nicht unsere Ideen zu verwirklichen suchen, ihnen nachhangen. "Meine Gedanken, sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege", heißt es schon beim Propheten Jesaja (55,8). Ich sehe als erste und wichtigste Aufgabe in dieser Zeit des Umbruchs, der Neuorientierung die Frage: Was will der Herr? Eines können wir mit Sicherheit sagen: Er will unser Leben, unser Glück. "Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben, und es in Fülle haben", sagt Jesus (Joh 10,10). "Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. bleibt in meiner Liebe … Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist, und damit eure Freude vollkommen wird" (Joh 15,9.11). Glück, Leben, Freude will Er für uns. Dazu zeigt Er uns den Weg zu einem glücklichen Leben: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6). Deshalb seine Einladung: "Werdet meine Jünger!" (vgl. Joh 15,8).

Christwerden heißt Jünger Jesu werden. Das griechische Wort mathetes bedeutet eigentlich wörtlich "Schüler": werdet meine Schüler! Kommt zu mir in die Schule der Weisheit, in die Schule des Lebens. "Lernt von mir", sagt Jesus, "denn ich bin gütig und von Herzen demütig" (Mt 11,29). Am Schluss des Evangeliums gibt Jesus den großen Missionsauftrag: "Geht und macht zu Jüngern alle Völker (wörtlich: zu Schülern) und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles halten, was ich euch gelehrt habe" (Mt 28,19-20). Der Auftrag Jesu ist also, Menschen für seine Lebensschule zu gewinnen. Wenn er uns dazu den Auftrag gibt, dann will er, dass wir selber zuerst in seine Lebensschule gehen. Das ist ein lebenslanger Auftrag.

Wie weit sind wir in dieser Schule? Wie steht es mit der Jüngerschaft von uns Christen? Jesus sagt bei den Abschiedsreden im Abendmahlsaal: "Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet" (Joh 15,8), meine Schüler. Sind wir Christen schon Christen? Einer der frühen Zeugen, der hl. Ignatius von Antiochien, der um das Jahr 107 in Rom den Märtyrertod starb, schreibt der Christengemeinde in Rom kurz davor einen Brief. Er ist als Gefangener unterwegs nach Rom, und soll dort im Zirkus den wilden Tieren vorgeworfen werden. Er fürchtet, dass sie ihn daran hindern und etwas unternehmen, damit er der Todesstrafe, dem Martyrium entkommt. Er schreibt ihnen: "Lasst mich den Tieren vorgeworfen werden!" Er sehnt sich danach, "reines Brot des Christus" zu werden. Dann sagt er: "Dann werde ich endlich ein wahrer Jünger Christi sein" (Brief an die Römer 4,1-2). "Gestattet mir, Nachahmer des Leidens meines Gottes zu sein" (6,3), dann werde ich endlich Christ sein. Christ sein heißt Jünger Jesu sein. Christ werden, heißt Jünger Jesu werden.

Eines ist sicher, in dieser Lebensschule bleiben wir lebenslang. Da gibt es kein Maturazeugnis. Man kann nicht sagen: Jetzt bin ich es endgültig, erst wenn wir endgültig beim Herrn sind. Man tritt nie aus der Lebensschule Jesu aus, man hat nie "ausgeschult". – Ich erinnere mich noch an das Glücksgefühl, als ich die Matura fertig hatte und schon einen Führerschein hatte. Als ich im Rückspiegel des Volkswagens, den ich mir zur letzten Maturaprüfung ausborgen durfte, die Schule gesehen habe, wusste ich: Da muss ich jetzt nicht mehr hin. – Nein, von der Lebensschule Jesu verabschiedet man sich nicht. Es ist ja auch nicht primär ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Obwohl Jesus uns als seine Jünger und Schüler anspricht, ist er nicht einfach der Lehrer, sondern der Meister, der Herr. Es geht in diesem Verhältnis der Jünger zum Meister um mehr als nur um ein Lernen, es geht um mein Leben, es geht um eine Lebensgemeinschaft, die immer enger, immer tiefer wird, bis zum vollen Einssein mit ihm, so wie er mit dem Vater eins ist, um die Lebensgemeinschaft.

II.

Wir stehen in vielen Lebensbereichen vor ganz großen Umbrüchen. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern Ergebnis eines nüchternen Blicks etwa auf die Lage der Finanzwelt, der Wirtschaftswelt, auf die Umweltfragen. Eines zeigt sich mit großer Deutlichkeit: Es herrscht große Ratlosigkeit. Ob man die Finanzkrise, die ökologische, die demographische Krise nimmt, niemand hat Rezepte. Neulich gab mir jemand eine Spruchkarte für mein Büro, auf der steht: "Ich weiß zwar keine Lösung, aber ich bewundere das Problem." Ich denke, das trifft unsere Situation, wenn wir ehrlich sind.

Auch die Umbrüche in der Kirche dürfen nicht isoliert von den Umbrüchen in der Gesellschaft betrachtet werden. Sie lassen uns in vieler Hinsicht ratlos. Ich bin misstrauisch gegen alle, die Patentrezepte haben. Eines wissen wir sicher: wir brauchen Reformen, neue Zugänge. Aus der Finanzkrise gibt nur einen Weg, nämlich dass wir alle unser Verhalten ändern, das Schuldenmachen, das Spekulieren mit illusorischen Gewinnversprechungen beenden. So geht auch der Reformweg der Kirche: Er ist zuerst der persönliche Weg der Umkehr, freilich der persönliche Weg möglichst vieler. "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe, kehrt um und glaubt an das Evangelium" (Mk 1,15). Mit diesen Worten beginnt Jesus seine Verkündigung. Sie bleiben für alle Zeiten gültig: Das Reich Gottes ist wirklich nahe. Die Zeit ist erfüllt, der Herr ist nahe. Kehrt um, denkt um, ändert euer Leben, und glaubt an das Evangelium! Ja, es geht um das Reich Gottes, um die Herrschaft Gottes.

Brüder und Schwestern, ich denke, wir reden viel zu viel von der Kirche selbst. Papst Benedikt XVI. erinnert immer wieder an ein chinesisches Sprichwort: "Wer sich selber anschaut, strahlt nicht." Eine Kirche, die sich primär mit sich selber beschäftigt, hat keine Strahlkraft. Die Kirche dient dem Reich Gottes, der Herrschaft Gottes. Sie soll wieder in die Mitte rücken, damit seine Herrschaft, sein Königtum zur Geltung kommt. Ich erinnere noch einmal daran, was das Konzil zu Beginn der Kirchenkonstitution Lumen Gentium sagt: "Die Kirche ist in gewisser Weise Sakrament, das Zeichen und Werkzeug der innigen Vereinigung mit Gott und der Einheit des Menschengeschlechts" (Lumen Gentium 1). Dieser Vereinigung dient die Kirche. Das kann sie in dem Maße, wie ihre Glieder innig mit Gott verbunden sind und untereinander. Daher geht es in allen Fragen immer zuerst darum, dass wir in die Lebensschule Jesu gehen, jeden Tag neu. Die Fragen danach, wie die Kirche wieder mehr Ansehen gewinnen kann, gehen am Wesentlichen vorbei. Es geht nicht darum. Natürlich ist es schön, wenn die Kirche einen guten Ruf hat, aber das ist nicht ihre Aufgabe. Es geht nicht um das Ansehen, sondern es geht darum, dass Gott ansichtig wird, dass wir als Christen Christus ansichtig machen. Dazu müssen wir neu zu ihm in die Schule gehen. Darum geht es in den Katechesen dieses Jahres.

Was ist mein Ziel? Ich wünsche mir eine neue Lernlust, eine neue Leidenschaft, den Herrn wirklich zu fragen: Zeig uns, wie sieht das Leben mit dir aus? Wie geht das Christsein? Hilf uns, das neu zu buchstabieren! Ich wünsch mir einen Eros des Lernens, eine echte Neugierde auf die Lebensschule Jesu, das Christentum neu zu entdecken, das uralte und so neue Christentum. Ob das Christentum bei uns lebendig bleibt oder wieder wird, hängt entscheidend von diesem Eros, von dieser Leidenschaft ab. Ich sehe spannend Neues kommen, zweifellos große Schwierigkeiten, aber auch ganz große Chancen. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hat ein Jesuit, P. Karl Prümm, ein Buch mit dem Titel "Christentum als Neuheitserlebnis" (Freiburg/Br. 1939) veröffentlicht. Er sah das frühe Christentum als ein Neuheitserlebnis für die Menschen. Es trat als etwas Neues in die damalige Welt, wurde von vielen als solches begrüßt oder auch bekämpft. Heute wird das Christsein oft als Neuheit erlebt, das wird mehr und mehr unsere Situation. Für viele Suchende wird die Begegnung mit dem christlichen Glauben, mit Christus zu etwas ganz Neuem. Aber dazu ist es wesentlich, dass wir, die "älter gewordenen" Christen, es selber neu entdecken. "Siehe, ich mache alles neu" (Off 21,5), sagt Jesus am Schluss der Offenbarung des Johannes. Die Neuheit unseres alten Glaubens neu entdecken, das kann nur durch eine neue Begegnung mit dem Herrn gelingen, mit ihm, der allein alles wirklich neu machen kann. Auf diese Erneuerung setze ich. Manche kritisieren das, hier werde spiritualisiert, hier werden die konkreten Fragen zu wenig angegangen, die konkreten Reformen nicht wahrgenommen. Aber was ist konkreter? Was verändert die Realität mehr, als die Metanoia, die Umkehr, zu der Jesus uns aufruft, das Um-denken, das Um-kehren? Auf diesen Weg der Bekehrung ruft uns Jesus. Das ist die tiefgreifende Erneuerung. Auch heute ist es so. Diese Erneuerung wird unserem Land geschenkt. sie beginnt bei mir, bei dir.

Wie soll der Weg der Katechesen dieses Jahr aussehen? Drei Aspekte sind wichtig: 

1.  Zuerst möchte ich sehr stark biblisch vorgehen. Im Evangelium sehen wir, wie der Weg der Umkehr der Lebensschule Jesu begonnen hat, wie alles angefangen hat. Und von da aus ist zu fragen: Wie sieht es denn heute aus? Ich werde dazu sehr stark besonders die Evangelien befragen, wie Jesus die Menschen, die seine Jünger, seine Schüler geworden sind, geformt hat.

2.  Ich sehe diese Katechesen auch als Teil unseres diözesanen Entwicklungsprozesses. Er ist für mich auch ein Weg des Abenteuers auf der Suche nach der Weisung des Herrn. Ich vertraue darauf, dass viele auf diesen Weg mitgehen, ihre Ideen, ihre Gedanken und ihre Anregungen einbringen.

3.  Schließlich geht es um ein großes und waches Hinschauen auf die Zeichen der Zeit. Was zeigt uns Gott in dieser Zeit, in den Wirklichkeiten, in denen wir leben? Wie lesen und deuten wir die Zeichen dieser Zeit? Wenn wir umkehren zum Herrn, dann ändert sich ja nicht nur die Kirche, dann ändert sich auch die Gesellschaft.

III.

Als Einstieg in die Jüngerschule Jesu lesen wir ein drastisches Beispiel, das schon genannte Evangelium vom 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A, Mt 16,21-27). Ich hatte über dieses Evangelium vor dem Papst  zu predigen. Sie werden verstehen, dass ich mit einigem Bangen ausgerechnet über dieses Evangelium beim Treffen seiner ehemaligen Schüler mit dem Papst gepredigt habe. In diesem Evangelium sagt Jesus zu Petrus: Du Satan! Hinter mich! Geh mir aus den Augen, du Satan! Du denkst wie die Menschen, und nicht wie Gott! Es gibt kein härteres Wort Jesu an die Apostel, als dieses. Petrus hat in diesem Evangelium nicht nur die Rolle des ersten Apostels, sondern er steht stellvertretend gewissermaßen überhaupt für Jünger Jesu. Deshalb ist es erlaubt, dass jede und jeder von uns sich in Petrus wiederkenne. Unmittelbar voraus geht die berühmte Szene an den Jordanquellen bei Cäsarea Philippi, wo Jesus den Jüngern die Frage stellt, was die Leute so über ihn sagen und dann direkt an sie gewendet fragt: "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" Berühmt ist die Antwort, die Petrus in diesem Moment gegeben hat: "Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!" Auf diesem elementaren Bekenntnis ruht der ganze christliche Glaube. Zu Recht haben Papst Leo der Große und viele Kirchenväter mit ihm gesagt, dass dieses Bekenntnis der Felsen ist, auf dem die Kirche steht. Dieses Bekenntnis ist auch die Grundlage unserer Jüngerschaft. Ohne den Glauben an Jesus den Messias, den Christus, kann man nicht Jünger Jesu sein. Man kann ein Bewunderer sein, man kann ihn interessant finden, ihn studieren, in ihm einen Propheten, einen Religionsgründer sehen, aber Jüngersein, bei ihm in die Schule gehen, in die Lebensschule, das kann man nur, wenn man wirklich an ihn glaubt. Der Glaube ist deshalb die erste Voraussetzung für die Jüngerschaft.

Wir werden in den nächsten Katechesen die Frage thematisieren: Wie wird man überhaupt Jünger, Jüngerin Jesu? Wie kommt man in diese Schule? Für dieses Glaubensbekenntnis hat Jesus Petrus seliggepriesen. "Selig bist du, Simon Barjona; nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater im Himmel". Und damit sind wir bei einer ganz entscheidenden Grundlage für die Jüngerschaftsschule Jesu. Der Glaube ist die Voraussetzung. Aber dieser Glaube ist ein Geschenk. Gott schenkt den Glauben. Jesus wird das deutlich machen, wenn er seinen Jüngern sagt: "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt" (Joh 15, 16a).

Nach dem Bekenntnis gibt Jesus dem Petrus das große Verheißungswort mit ungeheurer Tragweite. "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen. Und die Tore des Hades – so heißt es hier wörtlich, die Mächte der Unterwelt, oder wie die alte Übersetzung sagt, die Pforten der Hölle – werden sie nicht überwältigen" (Mt 16,18). Dann folgt die Verheißung: "Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben. Was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein. Und was du auf Erden lösen wirst, wird im Himmel gelöst sein" (Mt 16,19). Größer kann die Verheißung gar nicht sein. Sie gilt Petrus persönlich, vor allem amtlich, als dem ersten der Hirten, dem Jesus seine Herde anvertraut. Aber wir werden sehen, die Substanz dieser Verheißung, gilt jedem und jeder in der Jüngerschaft. Das müssen wir vielleicht zuerst und am meisten lernen in dieser Schule. Das ist die unglaubliche Zumutung, die Gott in dieses Jüngersein hineinlegt, was er uns zutraut und schenkt.

Gelegentlich werden wir Zeugnisse von Heiligen hören. Ich nenne jetzt nur eines: die kleine heilige Thérèse von Lisieux. Deren Erfahrung der Jüngerschaft war unglaublich stark und sie hat in ihrem kleinen Weg uns alle ermutigt: Man kann in die Schule Jesu gehen. Es ist möglich. Ich zitiere Ihnen dieses unglaubliche Wort der kleinen Thérèse am Ende des dritten Manuskripts in ihrer Autobiographie, wo sie wagt, das hohepriesterliche Gebet Jesu aus Joh 17 auf sich anzuwenden, es sich zu eigen zu machen: "Es ist vielleicht Vermessenheit? Doch nein, seit langem hast du [Jesus] mir erlaubt, dir gegenüber kühn zu sein. Wie der Vater des verlorenen Sohnes zu seinem Ältesten, so sprachst du zu mir: ‚ALLES was mein ist, ist dein.‘ [Joh 17,10] Deine Worte, o Jesus, sind also meine. Und ich kann mich ihrer bedienen um auf die Seelen, welche eins sind mit mir, die Gunst des himmlischen Vaters herabzuziehen" (Selbstbiographische Schriften 271). Unglaubliche Kühnheit des Jünger-Seins: "Alles was mein ist, ist dein." Eines der großen Anliegen dieser Katechesen wird die Ermutigung sein, dass wir erkennen, was uns in die Hand gelegt ist, was Christus uns zutraut. Die kleine Thérèse wagt es, das Gebet an den Vater sich so zu eigen zu machen, dass sie Jesu Worte einfach übernimmt und wie Jesus zu Gott spricht. Welch große Kraft der Jüngerschaft, und welche Vollmacht, die damit verbunden ist.

IV.

Jetzt müssen wir uns ein wenig ansehen, wie es dem Petrus gegangen ist, als er so völlig daneben tappt bei seinem Lernen, ein Jünger Jesu zu werden. Ich lese den Text des Evangeliums noch einmal zur Erinnerung:

"Von da an begann Jesus seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohepriestern, den Schriftgelehrten vieles erleiden. Er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen. Da nahm ihn Petrus bei Seite und machte ihm Vorwürfe. Er sagte: ‚Das soll Gott verhüten, Herr. Das darf nicht mit dir geschehen.‘ Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: ‚Weg mit dir, Satan. Geh mir aus den Augen. Du willst mich zu Fall bringen, denn du hast nicht im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen‘ " (Mt 16,21-23; den zweiten Teil dieses Evangeliums schauen wir dann zum Schluss an).

Jesus spricht von seinem Leiden und seinem Tod, aber er spricht auch von seiner Auferstehung. Interessant ist – das passiert uns häufig genauso –, das dritte haben sie überhört. Sie haben nur gehört: Leiden und Kreuz. Auferstehung scheint man zu vergessen. So geht es uns meistens in der Jüngerschule Jesu, dass wir bei Prüfungen vor allem das Kreuz sehen, aber nicht die Verheißung der Auferstehung. Petrus nimmt Jesus energisch bei Seite, wörtlich heißt es "herrscht ihn an", "schilt ihn kräftig": "Gott bewahre, Herr! – dann doppeltes Nein ‚ou me‘ – Niemals nicht soll dir das widerfahren". Jetzt übersetze ich die wörtlich, denn die Einheitsübersetzung ist hier leider sehr ungenau, ja verfälscht: "Jesus aber wendet sich um und sagt zu Petrus: Tritt hinter mich, du Satan. Ein Ärgernis bist du mir", ein Stolperstein, ein Skandalon. "Hinter mich", sagt er zu Petrus: ‚hypage opiso mou‘ – "Geh mir aus dem Weg, stell dich mir nicht in den Weg, stell dich hinter mich". Genau dieses Wort hat Jesus am See Genezareth gebraucht, als er Petrus und Andreas vom Fischerboot weg berufen hat. Er sagt: ‚deute opiso mou‘ – "komm hinter mich" (Mt 4,19). Jesus erinnert also Petrus an seine Berufung. Erinnere dich, wie das am Anfang war, als ich dich berufen habe! Ist das nicht auch bei uns so, dass wir von Jesus immer wieder erinnert werden: "Erinnere dich, wie ich dich gerufen habe. Geh wieder dorthin, wo ich dich gerufen habe ganz am Anfang! Tritt mir nicht entgegen, stell dich mir nicht in den Weg, widersetze dich nicht, sondern tritt wieder hinter mich wie am Anfang: Mir nach!"

Die Begründung die Jesus dann gibt, müssen wir uns näher ansehen: "Denn du denkst ‚nicht ta tou theou‘ – nicht die Dinge Gottes, sondern die Dinge der Menschen." Du denkst, wie die Menschen denken und nicht wie Gott denkt. Aber ist das wirklich so: Wenn man Jesus nachfolgt, darf man nicht menschlich sein? Ist zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen so ein schrecklicher Graben? Menschlich waren die Ansichten des Petrus sicher, allzu menschlich und verständlich.

Ich sehe drei Motive bei Petrus und sie sind alle drei für unsere Jüngerschule wichtig. Zuerst einmal: Petrus will nicht, dass Jesus leidet. Das ist sehr menschlich, sehr richtig, niemals sollte das passieren. Das ist die ganz normale Reaktion eines Menschen, der nicht will, dass sein Freund leidet. Eine Mutter will nicht, dass ihr Kind leidet. Ist das nicht richtig? Die Einstellung zum Leid ist die Schlüsselfrage der Jüngerschaft. Sie wird hier radikal gestellt. Petrus ist für Jesus ein Satan und ein Skandal, weil er ihm den Weg zum Leiden verstellt. Dieser Weg zum Leiden ist der Weg zur Auferstehung.

Ein zweites Motiv des Petrus ist sehr verständlich. Es ist erschütternd wie kurz Jesus mit seinen Jüngern zusammen war, maximal drei Jahre. Nach dieser kurzen Zeit hat Petrus das Gefühl: wenn du uns jetzt verlässt, das ist viel zu früh. Wir haben doch alles verlassen, unseren Beruf, unsere soziale Sicherheit. Wir sind mit dir aufgebrochen in die Wanderschaft und jetzt verlässt du uns? Wem überlässt du uns? Was wird aus uns werden? Am selben Sonntag wurde die erste Lesung aus Jeremia (20,7-9) gelesen, wo der Prophet mit erschütternden Worten Gott anklagt: "Du hast mich betört – wörtlicher ‚Du hast mich betrogen‘ – und ich habe mich betören lassen. Du hast mich gepackt und überwältigt" (Jer 20,7). Der Prophet sagt: Auf was habe ich mich da eingelassen mit dir? Zu den Krisen der Jüngerschaft gehört das Gefühl: Auf was habe ich mich da eingelassen? Wohin führt uns das, wenn wir wirklich diesen Weg gehen?" Zuerst ruft er uns und dann verlässt er uns.

Das dritte Motiv in dem Vorwurf des Petrus kommt wieder sehr menschlich aus dem Gefühl: Herr, das kann’s doch nicht gewesen sein! Eben hast du mir feierlich verkündet: "Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen", das heißt meine ecclesia, meine Versammlung, meine Gemeinschaft, das erneuerte Volk Gottes. Jetzt fängt es doch erst an, und da sagst du, dass du sterben musst. Das kann’s doch nicht gewesen sein. Das kaum begonnene Werk des Aufbaus soll jetzt schon mit so einem schrecklichen Abbruch enden? Ich glaube, hier sind wir in einer ganz ähnlichen Versuchung wie Petrus in der Jüngerschaft. Es ist die Enttäuschung darüber, dass es statt aufwärts abwärts geht, dass scheinbar statt dem Aufbau der Niedergang kommt. Ja, die menschliche Logik ist auf der Seite des Petrus. "Du denkst wie die Menschen", das stimmt. Aber Jüngerschaft Jesu heißt umdenken. Umdenken, wie Gott denkt.

V.

Zum Schluss lesen wir den zweiten Teil dieses Abschnitts aus dem Evangelium. Da hören wir das Schlüsselwort für die Jüngerschaft. "Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen" (Mt 16,24-25). "Wenn einer – wieder wörtlich übersetzt – hinter mir hergehen will"… Es ist genau das Wort, das er zu Petrus gesagt hat: ‚hinter mir hergehen‘. Wenn einer das wirklich will, dann muss er sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen. Selbstverleugnung ist das Schlüsselwort der Jüngerschaft. Was heißt Selbstverleugnung? Wir wissen sehr gut was verleugnen heißt. Petrus hat Jesus verleugnet. "Ich kenne diesen Menschen nicht!". Wir wissen was das heißt, einen Freund verleugnen. Adolf Schlatter (†1938), der große evangelische Theologe, hat gesagt: Selbstverleugnung heißt, sag das zu dir selbst: ich kenne dich nicht. Sage das, was Petrus zu Jesus gesagt hat, zu dir selbst. Verleugne dich selbst. Dieses Wort von Schlatter habe ich dem Hl. Vater zitiert: "Wer jemand verleugnet, bricht die Freundschaft mit ihm ab… ‚Ich weiß nichts von ihm und will nichts von ihm wissen‘, sagt Petrus später, als er Jesus verleugnete. ‚Sage das‘, rät uns Jesus, ‚zu dir selbst!‘ Du … darfst nicht hören, was du dir rätst und für dich als dein Glück begehrst. Mach dich selber von dir los!"– Sich selbst verleugnen, das Kreuz ergreifen – "Wir erreichen beides nur, wenn uns eine stärkere Liebe zieht, als die zu uns selbst" (Das Evangelium nach Matthäus. Ausgelegt für Bibelleser, Stuttgart 1961, 260). Es geht um eine stärkere Liebe. Es geht um den, der sagt: Folge mir nach! Wenn die Liebe zu ihm stärker ist, dann sind wir bereit, ihm nachzugehen auch um den Preis der Selbstverleugnung.

Meine Lieben, die Karten liegen offen auf dem Tisch. Jesus hat es uns nicht leicht gemacht. Er hat nicht Wonnigliches und Bequemes versprochen. Er hat Glück, Liebe, volles Leben versprochen und uns gezeigt, wie der Weg dahin geht: "Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen" – das heißt aus Liebe zu mir – "verliert, der wird es gewinnen" (Mt 16,25). Das ist der Lohn der Jüngerschaft.

Fotos
20 Jahre Erzbischof von Wien
Bildeindrücke aus dem Stephansdom und dem...
Nach dem Weltjugendtag in Rio nützt Kardinal...
Erzb. Sekretariat
Wollzeile 2
1010 Wien

E-Mail schreiben
Datenschutzerklärung
Darstellung: Standard - Mobil