Freitag 19. April 2024
Katechesen von Kardinal Christoph Schönborn

"Alles ist auf Ihn hin geschaffen": Christus - Zielpunkt der Schöpfung

Siebte Katechese von Kardinal Christoph Schönborn aus der Katechesenreihe 2005/2006 "Schöpfung und Evolution" - Sonntag, 2. April 2006, Dom zu St. Stephan.

In der Eingangshalle des Markusdomes in Venedig ist eines der Mosaiken dem Schöpfungswerk gewidmet. Den ersten drei Kapiteln der Genesis genau folgend wird die Erschaffung von Himmel und Erde dargestellt, als deren Höhepunkt die Erschaffung des Menschen, als Mann und Frau, der Sündenfall, schließlich die Vertreibung aus dem Paradies.

Die Darstellung der Erschaffung des Menschen in der Sixtina durch Michelangelo ist bekannt und wird oft zitiert (und oft auch missbraucht): Die Schöpferhand Gottes berührt beinahe die Hand Adams, seines Geschöpfs. Der Schöpfer ist mächtig, mit dichtem, langem Bart, dargestellt - es soll Gott Vater sein. In vielen Dreifaltigkeitsbildern findet sich dieses Bild des alten Gottvaters als Schöpfer und als Vater Jesu Christi.
Ganz anders San Marco: In diesen Mosaiken vom Beginn des 13. Jahrhunderts ist Gott Vater nie zu sehen. Der Schöpfer ist Jesus Christus, eindeutig erkennbar an seiner Gestalt und am kreuzförmigen Nimbus. Christus - der Weltenschöpfer! So findet es sich auch im Mosaikenzyklus von Monreale in Sizilien. Die alte ikonographische Tradition war hier einhellig: Immer ist Christus als Schöpfer dargestellt. Erst die Renaissance (mit einigen vereinzelten Ausnahmen davor) bricht mit dieser Ikonographie und stellt Gott Vater dar.

Christus - Weltenschöpfer

Der Bilderzyklus in San Marco "übersetzt" getreu in die Bildsprache, was das Neue Testament vielfach bezeugt. Ich darf an den Prolog des Johannesevangeliums erinnern: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist" (Joh 1,1-3). Christus - der Weltenschöpfer! Diese Glaubensschau ("Die Welt ist durch ihn geworden": Joh 1,10) wird nochmals überboten durch das, was die Mitte des christlichen Glaubens darstellt, das gewaltigste Paradox und das größte Geheimnis. Johannes drückt es in seinem Prolog so aus: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit." (Joh 1,14).

Heute, da wir am ersten Jahrestag des Heimgangs von Papst Johannes Paul II. gedenken, erinnern wir uns, welche zentrale Bedeutung das Geheimnis der Menschwerdung im Denken, Lehren und Leben des großen Papstes hatte. Seine erste Enzyklika ("Redemptor Hominis" vom 4. März 1979) beginnt mit dem Blick auf die Inkarnation:
"Der Erlöser des Menschen, Jesus Christus, ist die Mitte des Kosmos und der Geschichte. Zu ihm wenden sich mein Denken und Fühlen in dieser feierlichen geschichtlichen Stunde, die die Kirche und die ganze Menschheitsfamilie heute durchleben. Tatsächlich stehen wir jetzt schon nahe am Jahr 2.000. Wir nähern uns dem Datum, das uns ...die Kernwahrheit unseres Glaubens in Erinnerung ruft und in besonderer Weise wieder bewusst macht, die der hl. Johannes am Anfang seines Evangeliums ausgedrückt hat: 'Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt' und an anderer Stelle: 'Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat'...

In dieser Heilstat hat die Geschichte des Menschen, so wie sie in der Liebe Gottes geplant ist, ihren Höhepunkt erreicht. Gott ist in die Menschheitsgeschichte eingetreten: als Mensch ist er Subjekt dieser Geschichte geworden, einer von Milliarden und gleichzeitig dieser eine! Durch die Menschwerdung hat Gott dem menschlichen Leben jene Dimension gegeben, die er ihm von Anfang an zugedacht hat. Er hat dies auf eine so endgültige Weise getan, wie es nur ihm möglich ist: als Frucht seiner ewigen Liebe und seiner Barmherzigkeit, seiner vollen göttlichen Freiheit und seiner Barmherzigkeit, seiner vollen göttlichen Freiheit und einer solchen Freigebigkeit, dass es angesichts der Erbschuld und der langen Geschichte der Sünde in der Menschheit, angesichts der Irrtümer unseres Verstandes, der Verirrungen unseres Willens und Herzens möglich ist, staunend die Worte der heiligen Liturgie zu wiederholen. 'O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!'"

Es gibt wohl keine andere Stelle in den Texten des II. Vatikanums, die Papst Johannes Paul II. so oft zitiert hat wie die folgende: "Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf" (Gaudium et Spes 22,1). Gott, Welt, Mensch - alles erscheint in einem neuen Licht durch das Geheimnis des Gott-Menschen Jesus Christus. Was sagt uns die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus über den Menschen, den Kosmos, über Gott selber? Diese Frage ist Thema der heutigen Katechese. Wiederum kann es nur um eine Skizze gehen, um knappe Hinweise und Anregungen zum Weiterdenken.

Zuerst geht es um die Frage nach dem Menschen. Ist Jesus Christus der menschgewordene Gottessohn, wie der christliche Glaube lehrt (heftig beeinsprucht vom Judentum wie vom Islam, aber auch - in anderer Form - von den großen Religionen Asiens), dann ist die einzigartige Stellung des Menschen im Ganzen des Universums nochmals bestärkt und überhöht. "Er, Christus, ist der vollkommene Mensch", sagt das Konzil (GS 22,2), der als Schöpfer nun zum Bruder aller Menschen wird: "Denn der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt" (GS 22,2). Auch dieses Wort des Konzils gehört zu den meistzitierten im Lebenswerk von Papst Johannes Paul II. Ist der Mensch "die Krone der Schöpfung", so ist Christus "die Krone des Menschen".
Sind wir hier in einer völlig anderen Welt als der naturwissenschaftlichen Forschung? Handelt es sich einfach um verschiedene "Sprachspiele", deren Realitätsbezug letztlich belanglos bleibt? Oder hat das Geheimnis Christi des Schöpfers und des Erlösers auch eine "wirklichkeitserhellende" Kraft, die für die Geisteswelt der Naturwissenschaften neue Horizonte eröffnet? Oder ist es umgekehrt so, dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bzw. Theorien dazu nötigen, nicht nur den Menschen, sondern erst recht Christus "vom Thron zu stoßen"? Welchen Platz sollte der menschgewordene Gott in einem evolutiven Gesamtprozess haben (falls es einen solchen gibt)? Ein Wissenschaftspublizist wie Hoimar von Dietfurth (+1989), Erfolgsautor in den achtziger Jahren, meinte, das evolutive Weltbild erlaube es nicht mehr, Jesus Christus eine "absolute" Bedeutung zuzusprechen. Hier sein Argument:
"Die Absolutheit, die dem Ereignis von Bethlehem im bisherigen christlichen Verständnis zugemessen wird, steht im Widerspruch zu der Identifikation des Mannes, der dieses Ereignis personifiziert, mit dem Menschen in der Gestalt des Homo sapiens. Es besteht Einigkeit darüber, dass der Mensch in seiner heutigen Gestalt auch unter biologischem Aspekt ein unvollkommenes, 'unfertiges' Wesen ist. Er hat, entwicklungsgeschichtlich gesprochen, das Tier-Mensch-Übergangsfeld noch nicht völlig durchschritten, sich als wahrer Mensch noch nicht vollständig verwirklicht.

Ist die Identifikation mit einem solchen Wesen einer historischen Relativierung wirklich für alle Zukunft enthoben? Man kann das Problem nicht etwa dadurch aus der Welt schaffen, dass man die noch in der Zukunft liegende, heute also noch nicht reale Existenz unserer evolutionären Nachfahren außer Betracht lässt. Denn 'Absolutheit' meint ja gerade auch die Unabhängigkeit von aller zukünftigen Entwicklung. Meint die für alle Zeiten unveränderliche Bedeutung einer konkreten, historischen Person, die zugleich auch als Homo sapiens verstanden werden soll.
Ich sehe nicht, wie sich der Widerspruch anders beseitigen ließe als durch das Zugeständnis einer grundsätzlichen historischen Relativierbarkeit auch der Person Jesus Christus. Warum eigentlich sollte dies nicht möglich sein, ohne dass die Substanz berührt wird, auf die allein es ankommt? Welche Formulierungen dem Problem gerecht werden könnte, das herauszuarbeiten muss den Theologen überlassen bleiben. Ich kann nur darauf hinweisen, dass hier ein Problem besteht."
(Wir sind nicht nur von dieser Welt, Tb-Ausgabe 1984, S. 21f).

Eine Vereinbarkeit von Naturwissenschaft und christlichem Glauben um den "kleinen" Preis der Preisgabe des zentralen Glaubensgeheimnisses kann es wohl nicht geben. Das wäre eine Überforderung beider Seiten, eine klare Grenzüberschreitung.
Gibt es einen Weg der Zusammenschau von evolutivem Weltbild und christlichem Glauben? Ein Name muss heute genannt werden: Père Pierre Teilhard de Chardin, der Jesuit, dessen umstrittenes Werk eine Zeit lang eine große geistige und spirituelle Faszination ausgeübt hat. Er ist am Ostersonntag des Jahres 1955 in New York gestorben.
"Alles hat in Ihm Bestand"

Beginnen wir mit dem biblischen Befund. An mehreren Stellen im Neuen Testament wird Christus als der Schöpfer gepriesen, als der, durch den Gott alles geschaffen hat. Neben dem Johannes-Prolog ist wohl der Hymnus im ersten Kapitel des Briefes an die Gemeinde von Kolossä der ausdrücklichste Text, der Christus gewissermaßen in kosmischen Dimensionen sieht. Hören wir zuerst die gewaltigen Worte dieses Hymnus:

"Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind.
Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes.
Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles erschaffen
im Himmel und auf Erden,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten;
alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
Er ist vor aller Schöpfung,
in ihm hat alles Bestand.
Er ist das Haupt des Leibes,
der Leib aber ist die Kirche.
Er ist der Ursprung,
der Erstgeborene der Toten;
so hat er in allem den Vorrang.
Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen,
um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen.
Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen,
der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut." (Kol 1,12-20)

Bevor wir dieses frühchristliche Lied zu deuten versuchen, müssen wir uns etwas Chronologisches vor Augen halten. Stellen wir uns das sozusagen "plastisch" vor: "Am Paschafest des Jahres 30 wird in Jerusalem ein galiläischer Jude wegen messianischer Umtriebe ans Kreuz genagelt. Etwa 25 Jahre später zitiert der ehemalige Pharisäer Paulus...einen Hymnus über diesen Gekreuzigten" (M. Hengel, Der Sohn Gottes, Tübingen 1977, S. 9). Er sieht den Galiläer als den "Erstgeborenen der Schöpfung", der vor allem war, "denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden". Der Gekreuzigte - ein gottgleiches Wesen, das wahrhaft kosmische, universale Bedeutung hat. "Alles hat in ihm Bestand." Er ist nicht nur der, der "die Welt im Innersten zusammenhält", er ist auch der universale Versöhner, "der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut", sodass alles "durch ihn versöhnt wird".

Wie kamen die kleinen Christengemeinden, die im Ozean der damaligen Welt verstreut waren, dazu, wenige Jahre nach dem Tod ihres Gründers diesen in einer so gewaltigen, universalen Perspektive zu sehen, - und sich selber dementsprechend als mit einer universalen Mission ausgerüstet zu sehen, als Seinen Leib, durch den Er sein universales Einigungs- und Versöhnungswerk verwirklicht?

Entweder diese "messianischen Gemeinden" waren "meschugge", verrückt, verblendete Sektierer mit versponnenen Ideen, oder sie waren die Träger eines großen Lichtes, einer Vision, die ganz neue, ungeahnte Einblicke in die Wirklichkeit der Welt boten. Es wird Sie nicht verwundern, dass ich von zweiterem überzeugt bin, und auch davon, dass diese große Vision des Christen, die Kreuz und Kosmos verbindet, auch heute ein unvergleichliches Potential an Sinneröffnung in sich birgt.

Es ist eine mitreißende, faszinierende Vision, deren Kraft durch die Riesenfortschritte der Naturwissenschaften nicht geringer geworden ist. Doch nun zu einer kurzen Auslegung.

Der Hymnus ist symmetrisch in zwei Strophen gegliedert. Die erste betrifft die Schöpfung, die zweite die erlöste Schöpfung, d.h. die Kirche. Die Funktion Christi ist in beiden Bereichen mit der dreifachen Kausalität bezeichnet: "in ihm, durch ihn, auf ihn hin": Kosmos und Kirche sind gleicherweise ganz in ihm geplant und gestiftet, durch ihn verwirklicht und auf ihn hin als Ziel von Anfang an entworfen und auf ihn als Ziel hin unterwegs.

Es ist eine mitreißende, begeisternde Vision, die Kosmos und Kirche unter dem einen Haupt vereint sieht. In beiden Strophen ist Christus in seiner Funktion als Haupt und Ursprung gesehen, der wirklich die Gesamtheit umfasst und leitet.
Nicht zu vergessen: in dieser Schau umfasst "das Ganze" sowohl im geschaffenen Universum wie im erlösten Universum, d.h. der Kirche, auch die Welt der himmlischen Mächte, also nicht nur "das Sichtbare", sondern auch "das Unsichtbare", d.h. "Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten", kurzum nicht nur alles "auf Erden", sondern auch "alles im Himmel" (zum Ganzen vgl. die anregenden Ausführungen von Kardinal Giacomo Biffi, Gesu di Nazaret centro del cosmo e della storia, Torino 2000, 135-152).

Bevor wir aus dieser großen Christus-Vision einige Folgerungen ziehen, sei noch auf einige ähnliche Stellen im NT hingewiesen, die diese Schau noch ausweiten. Da ist zuerst der in manchem parallele Hymnus am Anfang des Epheserbriefes, in dem Christus als der gesehen wird, durch den Gott seinen Plan verwirklicht, "das All in Christus wieder unter ein Haupt zusammenzufassen, das Himmlische und das Irdische" (Eph 1,10). Besonders eindrucksvoll aber sind die Anfangsworte des Hebräerbriefes:

"Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat; er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt; er ist um so viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt." (Hebr 1,1-4)

Auch in diesen Worten finden wir die drei Dimensionen, die im Kolosser-Brief-Hymnus ausgesprochen wurden. Der Sohn Gottes ist auch hier Ursprung, Mitte und Ziel des Universums:
- Durch ihn, den Sohn, hat Gott das All geschaffen.
- Zu jedem Moment trägt er, der Sohn, das All durch sein wirkmächtiges Wort.
- Ihn, den Sohn, hat Gott "zum Erben des Alles eingesetzt", das heißt, dass er die letzte Zielbestimmung von allem ist.

Wie im Kolosserbrief beziehen sich diese drei Dimensionen, Herkunft, Jetzt und Zielbestimmung, sowohl auf die Schöpfungsordnung wie auch auf die Heilsordnung ("er hat die Reinigung von den Sünden bewirkt"). Was folgt aus dieser Vision für das Gespräch von Naturwissenschaft und Glaube?

Ostern als Neue Schöpfung

Versuchen wir, ein wenig die wichtigsten Konsequenzen dieser Vision zu skizzieren. Sie ist nicht einfach "vom Himmel gefallen". Sie hat eine Vorgeschichte und einen ganz konkreten Erfahrungshintergrund. Ihre Vorgeschichte ist die lange geübte, durch schwere Prüfungen erprobte Hoffnungsvision des jüdischen Volkes. Kein anderes Volk hat so klar, so tief greifend die Überzeugung von der Geschaffenheit der Welt und des Menschen entwickelt bzw. durch Offenbarung empfangen. Kein anderes Volk war so tief überzeugt von der Weisheit und Vernünftigkeit der Werke des Schöpfers. Kein anderes Volk war so tief überzeugt von der Weisheit und Vernünftigkeit der Werke des Schöpfers. Aber auch kein anderes Volk hatte eine so realistische Sicht der Macht des Negativen, des Übels, des Bösen, die Welt und Geschichte vielfach entstellen und das Projekt Gottes zu zerstören drohen.
Nur auf dem Hintergrund dieses nüchternen und doch hoffnungsvollen Welt- und Geschichtsverständnisses wird erklärlich, warum es zu einer solchen "Explosion" der Hoffnung durch Jesus Christus kommen konnte.

Wir fragen uns, wie es möglich war, dass schon wenige Jahre nach dem Kreuzestod Jesu die kleinen Gemeinden seiner Jünger einen Hymnus wie den des Kolosserbriefes singen konnten. Darauf gibt es nur eine glaubwürdige Antwort: Die Auferstehung Jesu! Der Ostermorgen hat alles verändert. Er hat den uralten Hoffnungsbildern der Propheten von einer neuen Welt, einem versöhnten Kosmos, den konkreten und tragfähigen Grund gegeben. "Der Herr ist wahrhaft auferstanden": dieser Osterruf der verschreckten Apostel zeugt von der Initialzündung zu einer neuen Weltsicht. Wie in einem intensiv gebündelten weißen Licht waren hier bereits alle Farben des Spektrums enthalten, die sich dann im Nachdenken und Vertiefen des Erfahrenen ausfächern konnten.
Die erste Farbe, die aufleuchtet, war wohl die Antwort auf die bedrängendste Frage von uns Menschen: wieso das Leid und der Tod? Die tausendfach erlebte Negativität spricht deutlich gegen einen Schöpfer, der sein Werk mit einer liebenden Absicht und aus einem liebenden Willen geschaffen haben soll. So aber sah die Erfahrung der Urkirche aus: "Dankt dem Vater mit Freude! ... Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes" (Kol 1,12f).

Die Erlösung aus der "Macht der Finsternis" ist mit der Auferstehung Jesu gewonnen. Er ist der "Erstgeborene der Toten" (Kol 1,18) und damit der Anfang der neuen Schöpfung (vgl. 2 Kor 5,17). Hymnisch sind deshalb auch die Worte des Paulus über die Konsequenzen der Auferstehung: "Wenn sich dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? ... Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus, unseren Herrn" (1 Kor 15,54-55.57).

Aus der Gewissheit der Auferstehung Jesu erwächst der Urkirche die Gewissheit, dass der Auferstandene das Ziel des Universums ist, dass er der ist, auf den hin alles geschaffen ist. Die Auferstehung Jesu ist sozusagen die letzte Garantie der "Negentropie": Es geht nicht dem Tod entgegen, sondern dem Leben. Das Universum ist nicht ein sinnloses Spiel blinder Kräfte, sondern ein "progetto intelligente", wie Papst Benedikt XVI. es genannt hat, ein Projekt, das gut ausgeht, sozusagen ein "happy end" zugesagt bekommen hat.

Diese hoffnungsvolle Sicht geht aber nicht an der Negativität vorbei, muss sie nicht verleugnen, ausblenden oder als ein "so genanntes Böses" (K. Lorenz, +1989) wegerklären. Die christliche Sicht trennt die Hoffnung nicht von dem Leid, sie sieht Kosmos und Kreuz zusammen; sie betrachtet - besonders eindrucksvoll in der Karfreitagsliturgie - das Kreuz als Baum des Lebens, an dem das Leben den Tod, die Liebe das Böse besiegt hat. Das "progetto intelligente des Kosmos", von dem Papst Benedikt sprach, ist ein "progetto di amore", ein Plan der Liebe.
Dass dies nicht eine Illusion ist, eine Projektion von unerfüllbaren Sehnsüchten des Menschen, kann nur Christus uns gewiss machen. In Christus fand ein Paulus die unerschütterliche Gewissheit, dass die Liebe siegt, Seine Liebe. Deshalb hat uns Papst Johannes Paul II. so nachdrücklich daran erinnert: "Nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes klärt sich das Geheimnis des Menschen wahrhaftig auf" (GS 22,1).

Der Hymnus des Kolosserbriefes sieht deshalb in Christus das Urbild des Menschen, gewissermaßen das Modell, auf das hin der Mensch erschaffen wurde. Christus "ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes". Deshalb ist jeder Mensch "Ikone Christi" (vgl. G. Biffi, op cit., S. 143). Deshalb sind meines Erachtens Spekulationen wie die von Hoimar von Ditfurth müßig, die den heutigen Menschen "nur" als "Übergangsfeld" der Evolution hin zu einem "Über-Menschen" sehen wollen. In Christus ist uns das wahre Ziel der "Evolution" des Menschen geschenkt: Ihm gleichgestaltet zu werden ist das Erlangen der vollen, erfüllten, gelungenen Menschlichkeit. Wir haben nicht eine utopische "posthumane" Gestalt des homo sapiens zu erwarten, sondern die gnadenhafte Vollgestalt des Menschen, wie sie uns in den Heiligen aufleuchtet und in Christus ganz verwirklicht ist.

Wenn Christus das Ziel des "Projektes" ist, dann ist es auch schon von Anfang an "in ihm" geplant und "durch ihn" verwirklicht. Johannes sieht in seinem Prolog zum Evangelium Christus als den Logos: "Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und der Logos war Gott". Was heißt, was bedeutet Logos? Wort, gewiss, aber auch Sinn, Vernunft, Wesensbestimmung. "Alles ist durch den Logos geworden, und ohne den Logos wurde nichts, was geworden ist". Die große christliche Denktradition hat das so verstanden, dass zwischen dem Logos und den Logoi der Dinge ein innerer Zusammenhang besteht. Der Logos eines Dinges ist das, was es zuinnerst ausmacht und bestimmt, seine Eigenheit und Wesenbestimmung. Wenn jedes Geschöpf so seinen eigenen Logos hat, dann ist in jedem die Spur des Schöpfer-Logos. Das meint die Lehre von den Vestigia dei, den Spuren Gottes in den Geschöpfen. Gottes Spuren in der Schöpfung sind die Spuren des Logos, des Christus, in dem und durch den und auf den hin alles geschaffen ist.
Deshalb kommt der Logos-Christus in diese Welt auch nicht als ein Fremdling, eine Art "Eindringling". Vielmehr sagt uns Johannes: "Er kam in sein Eigentum". "Alles ist dein Eigentum", singen wir in der dritten Strophe der deutschen Fassung des Te Deum. Johannes sagt zudem, vom Logos-Christus: "In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen ... Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war das Licht und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht" (Joh 1,4.9-10).

Sagt damit Johannes nicht in etwa Folgendes: Der Logos ist das Schöpferwort, das im Innersten jedes Geschöpfes nachklingt, die schöpferische Vernunft, die allen Dingen Sinn gibt, ihnen ihr Wesen und ihr Wirken verleiht. Und der Logos ist das Licht, das in unserer Vernunft wirkt, sie hell und klar macht, sodass sie in die Welt der Geschöpfe eindringen und in den Dingen die Spuren des Schöpfers erkennen kann. Der Logos Gottes wirkt in beiden, als die Spur des Schöpfers in den Geschöpfen, und als Licht in der menschlichen Vernunft, sodass sie die Spuren des Schöpfers wahrnehmen und erkennen kann.

Der hl. Thomas von Aquin (+1274) sagt, die (geschaffenen) Dinge seien zwischen zwei "Vernünften" positioniert (res inter duos intellectus constituta): zwischen der göttlichen Vernunft, die sie geschaffen hat, und der menschlichen Vernunft, die sie erkennen kann. Die Dinge sind vernehmbar, weil sie vernünftig sind. Wir können sie vernehmen, weil wir an Gottes Vernunft in unserer Vernunft Anteil haben.

Nun mag man kritisch fragen: Was bedeuten diese hohen theologischen Gedanken für den Naturwissenschaftler, der nüchtern seiner Alltagsarbeit nachgeht, mühsam meist kleine und manchmal große Erkenntnisfortschritte macht?
Als rein philosophische Frage stellt sich die Gottesfrage selten. Nur auf induktivem Weg, von den Beobachtungen der Welt ausgehend, wird wohl kaum das gefunden und entdeckt werden, was wir in den Christushymnen der Urkirche gehört haben. Zwar halten wir vom katholischen Glauben her entschieden daran fest, dass wir Gottes "unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft" wahrnehmen können (Röm 1,19f). Aber die "alles überragende Erkenntnis Christi", von der Paulus spricht (Phil 3,8), ist ein reines Gnadengeschenk.

Christus erkennen, das heißt vor allem, von ihm erkannt sein. Ihm begegnen heißt von ihm gefunden werden: "In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen", sagt Paulus im selben Kolosserbrief (Kol 2,3). Christus finden, heißt den finden, in dem alles Bestand hat, der alles durch sein mächtiges Wort trägt. Die Erkenntnis Christi, die Verbundenheit mit ihm, die Gemeinschaft mit seinem Leiden und seinem auferstandenen Leben ersetzt nichts. Sie erspart nicht die Mühe der konkreten Arbeit, aber sie öffnet einen wunderbaren Sinnhorizont, sie stärkt das oft schwache, flackernde Licht der Vernunft und sie schenkt die Geradheit des Lebens, durch die auch die Vernunft klar und hell wird. Die Erkenntnis Christi schenkt schließlich jene Hoffnung, die nicht enttäuscht, die Hoffnung, dass alle die faszinierenden Schönheiten der Schöpfung, alle die wundersamen Komplexitäten, das feinstabgestimmte Zusammenspiel aller Kräfte und Elemente nicht ein leeres Spiel über dem unausweichlichen Abgrund des Todes ist, sondern die Vorahnung von einer kommenden, künftigen Welt, in der der Tod nicht mehr das Sagen hat. Vor allem aber ist Christus selber, mit seiner ganzen Existenz, mit seinem Leben und Leiden, die einzig wirklich tragfähige Antwort auf das bedrängende Rätsel des Bösen in der Welt. Nur in ihm findet das unruhige Herz Ruhe. Er allein konnte dem Leiden, dem Misserfolg, dem Scheitern, dem Tod einen ungeahnten Wert geben. Selten hat die ganze Welt dies so deutlich gespürt wie in den Tagen vor und nach dem 2. April 2005, als Papst Johannes Paul II. seinen Kreuzweg bis zu Ende gegangen war.

Was der Vernunft als Unwert erscheint, bekommt im Licht Christi eine Bedeutung, einen Sinn, beginnt im glaubwürdigen Zeugnis von Menschen zu leuchten. Heute vor einem Jahr hat dieser Sinn für viele Menschen, weit über die Kirche hinaus, geleuchtet.

Teilhard de Chardin - Zeuge Christi

Von einem muss heute noch - wenigstens kurz - gesprochen werden: P. Pierre Teilhard de Chardin SJ. Wie kaum ein anderer hat der Naturwissenschaftler (er war Paläontologe) und Theologe versucht, die Erkenntnis Christi mit dem Gedanken der Evolution zusammenzubringen. Seine faszinierende Vision blieb umstritten, doch hat sie für viele Menschen auch eine große Hoffnung dargestellt, die Hoffnung, eine Glaubensvision und einen naturwissenschaftlichen Zugang "unter ein Haupt" zusammenzufassen, unter Christus als "Evolutor".

Das Universum ist in einer großen Aufwärtsbewegung, zu immer höherer Komplexität und Innerlichkeit, von der Materie zum Leben bis zum Geist, verstanden. Es ist eine gerichtete Bewegung (darin unterscheidet sich Teilhard von denen, die eine richtungslose Evolution annehmen), die von der Geogenese zur Biogenese und zur Psychogenese führt. Vollendet aber wird diese Aufwärtsbewegung erst, wenn aus der Kosmogenese die "Christogenese" wird. In diesem Aufstieg ist mit dem Erscheinen des Menschen die passive Hinnahme der Evolution beendet und die Epoche der Autoevolution erreicht. Diese wiederum erreicht ihren Höhepunkt im Erscheinen Christi. Er wird zum sichtbaren Zentrum der Evolution, zu deren Pol und Ziel: dem Punkt Omega. Der menschgewordene Logos, der an einem bestimmten Punkt der evolutiven Achse sichtbar erscheint, war zuvor schon unsichtbar "der Motor der Evolution". Er ist für ihn wirklich das Haupt des kosmischen Leibes, sodass Christus wirklich alles erfüllt, alles lenkt, alles vollendet. "Das ganze Universum ist ipso facto von seinem Charakter geprägt, von seiner Wahl gezeichnet und von seiner Form beseelt". Christus wird von Teilhard de Chardin zur Energie des Kosmos selbst. Denn durch die Inkarnation ist Gott selber in die Materie "eingetaucht" und wirkt in ihr und aus ihrer Mitte "die Führung und den Plan dessen, was wir heute Evolution nennen". Die Inkarnation bewirkt eine Art "Christifizierung" des Kosmos. Teilhard de Chardin sieht auch das Kreuz Christi in dieser Perspektive. Es wird zum Moment der Überwindung der Not der kosmischen Entwicklung. Durch seine Auferstehung schließlich wird Christus zur vollen kosmischen unbegrenzten Wirkmächtigkeit befreit und kann die kosmische Entwicklung auf den Punkt Omega, die letzte "Amorisation" (Liebe-Werdung) der Welt, die in der Parusie, in der Wiederkunft Christi vollendet wird (Alle Zitate aus Leo Scheffczyk, Die Christogenese Teilhards de Chardin und der kosmische Christus bei Paulus, in ders., Schwerpunkte des Glaubens. Gesammelte Schriften zur Theologie, Einsiedeln 1977, 249-279).

Diese viel zu kurz skizzierten Hinweise zu Teilhard genügen sicher nicht, um seinem Bemühen gerecht zu werden. Die Faszination, die Teilhard de Chardin auf eine ganze Generation ausgeübt hat, kam meines Erachtens von seiner radikalen Zusammenschau von Naturwissenschaft und christlichem Glauben. Es war eine gewiss auch problematische Einheitsvision, in der Wissenschaft und Glaube verbunden sein sollten. Dass er damit beiden Seiten nicht vollständig gerecht werden konnte, haben die Kritiker genügend gezeigt. Seine Vision der Evolution als aufsteigende Bewegung, die bruchlos immer höhere Formen hervorbringt, ist mehr eine philosophische Spekulation als eine strenge wissenschaftliche Theorie. Seine "Naturalisierung" Christi als Motor der Evolution konnte nur auf theologischen Widerspruch stoßen. Trotz der Kritik von beiden Seiten haben viele sein Anliegen erspürt und geschätzt. Eines ist eindrucksvoll: seine Faszination für Christus. Seine Liebe zu Christus machte ihn zu einer Art "Mystiker der Evolution", darin weit entfernt von den materialistischen Konzepten eines heute weit verbreiteten Evolutionismus. Auf unser Thema angewandt, halte ich vor allem fest: Teilhard de Chardin hat etwas gewagt, was riskant und notwendig zugleich ist. Er hat es gewagt, die große Schau des christlichen Glaubens an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus als inspirierende Vision für sein Forschen und Denken als Naturwissenschaftler zu betrachten und anzuwenden. Umgekehrt hat er seine naturwissenschaftliche Forschertätigkeit stets auf die großen Horizonte hin geöffnet, die ihm sein christlicher Glaube erschlossen hatte.

Es stimmt, dass Glauben und Wissenschaft zu unterscheiden sind; es stimmt aber auch, dass sie nicht getrennt werden sollen. Die Wissenschaft braucht den weiten Horizont des Glaubens. Teilhard de Chardin hat dabei vielen Naturwissenschaftlern geholfen, das Vorurteil zu überwinden, der Glaube beenge die Wissenschaft. Der Glaube an Jesus Christus, in dem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind (Kol 2,3) wird sicher der Wissenschaft weder die Freiheit noch den Schwung, noch die Ehrlichkeit noch die Begeisterung rauben. Ganz im Gegenteil!

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