Dienstag 23. April 2024
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab.
Joh. 3,16
Katechesen von Kardinal Christoph Schönborn

9. Katechese 2004/05: Wie von Gott sprechen? - Das Evangelium der Kathedrale

Bei der neunten und letzen Katechese des Jahres am Sonntag, 5. Juni 2005, im Stephansdom stand die Frage "Wie von Gott sprechen?" im Zentrum der Betrachtungen und Erklärungen von Diözesanarchivarin Annemarie Fenzl.

Eminenz,
lieber Reinhard,
liebe im abendlichen Dom zu St. Stephan
versammelte "Katechesen-Gemeinde"!

In den vergangenen Monaten haben Reinhard Gruber und ich versucht, unter jeweils unterschiedlichen Themenstellungen gleichsam ein bisschen hinter die Dinge zu schauen, die oftmals vergessene Bedeutung alltäglich gewordener und daher oft gedankenlos ausgeführter heiliger Handlungen zutage zu fördern; ein Gefühl für die theologisch-religiöse Konzeption unseres Domes zu wecken, auf das "Evangelium der Kathedrale" zu hören, das sie uns in unentwegtem, stummem, aber eindringlichem Bemühen anbietet.
Die letzte Katechese dieser Jahresreihe will das im vergangenen Jahr Gesagte zusammenfassen und einen Schluss, daraus ziehen. Was ist der Sinn der Kathedrale? Von ihren Baumeistern einst als in Stein gegossene Theologie erdacht, wollte und will sie auch heute immer noch einfach an Jesus Christus erinnern, zum Glauben an ihn anleiten und die letzten Fragen der Menschen nach dem Woher, Wozu und Wohin auf ihre Weise beantworten. Die Kathedrale hat durch die Jahrhunderte hindurch immer nur ein Anliegen - sie möchte uns auf den Weg geistlicher Erfahrung führen, sie hat nur ein Thema - sie spricht zu uns von Gott und sie erwartet, dass wir hinausgehen und draußen, vor ihren Toren, ihre Botschaft weitergeben.

Hinausgehen und von Gott sprechen. Aber wie von Gott sprechen? Wie von Gott sprechen, sodass die Botschaft draußen auch ankommt und angenommen wird? Wir wissen alle, wie schwierig das ist. Nicht allein das Sprechen, sondern vor allem auch, dass die Botschaft ankommt, dort, wo sie ankommen soll. Sonst verliert sie sich im weiten Raum. Die Bücher, die sich mit diesem Problem beschäftigen, füllen Bibliotheken, gescheite Leute denken auf Symposien darüber nach, Bildungshäuser leben davon, Arbeitsgruppen erarbeiten mit großem Einsatz mehr oder weniger zielführende Strategien, alles das mit dem einen Ziel: dass die Botschaft ankommt.
I. Das Gespräch über Gott setzt das Gespräch mit Gott voraus
Aber wie von Gott recht sprechen? Die erste Voraussetzung, um recht von Gott sprechen zu können, ist, mit Gott zu sprechen. Von Gott recht sprechen kann nur jemand, der zuerst mit Gott gesprochen hat, der mit ihm spricht, der mit ihm im Gespräch ist. Sonst ist das, was immer er sagt, und wenn es noch so schön klingen mag, hohl und erreicht nicht das Ziel, das Herz des anderen, - ist, wie Paulus zu den Korinthern sagt "dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke". Wir sprechen vom Gebet und wir wollen uns heute Abend ein paar Gedanken darüber machen.
Kardinal König hat es immer wieder betont und er hat schon 1950 in seinem großen religionsgeschichtlichen Werk "Christus und die Religionen der Erde" die Überzeugung festgehalten, dass Religion zum Wesen des Menschen gehört und dass sie ihren Ausdruck findet in den vielfältigen Formen des Gebets. Und er erinnerte an die überwältigende Fülle nie endender Versuche im Lauf der Menschheitsgeschichte, mit Gott, mit der Gottheit, Verbindung aufzunehmen: "Überall, wo Menschen uns Zeichen, Denkmäler ihres religiösen Lebens hinterlassen haben, sehen wir darin Beweise dafür, dass sie gebetet haben. In allen Kontinenten und Zeiten haben Menschen im Gebet, bittend und lobend, dankend und sühnend, vor der Gottheit, den Göttern das Knie gebeugt, haben Formeln von Anrufungen und Gebeten hinterlassen, durch die wir heute noch einen Blick tun können in das Innerste der Menschen längst vergangener Zeiten."

Und der Kardinal nennt auch einen Grund dafür: Inmitten einer unglaublichen Fülle von gesammelten Aussagen großer Denker über das Gebet als wichtigste Kraftquelle zitiert er unter anderem auch Friedrich Novalis, den Dichter der Romantik, der sagte: "Beten ist das in der Religion, was Denken in der Philosophie ist. Beten ist Religion-Machen. Der religiöse Sinn betet, wie das Denkorgan denkt." (I, 69)

Mit anderen Worten: ob wir wollen oder nicht, unser Denkorgan denkt immer, irgendetwas, vielleicht nicht immer Weltbewegendes, aber es denkt; - und ähnlich verhält es sich mit dem religiösen Sinn: er ist immer da, im Hintergrund, verschüttet vielfach, aber grundsätzlich bereit. Das Gebet als Hintergrundbild gewissermaßen. Es muss nur, um mit Worten unserer Zeit zu sprechen, immer wieder aktiviert werden.

Wie kann man sagen, dass ein Mensch Religion hat? Nach Thomas von Aquin liegt im Gebet die wesentliche Lebensäußerung der Religion. Das heißt, ein Mensch, der betet, hat Religion, ein Mensch, der nicht betet, hat keine Religion. Zur Religion gehört das Gebet so unumgänglich, dass es ohne Gebet keine Religion gibt.

Der bayrisch-deutsche Religionsphilosoph Max Scheler (1874-1928) - so Kardinal König - bezeichnete den Menschen als "das alles Leben und in ihm auch sich selbst transzendierende Wesen". Der Mensch ist geradezu "die Intention und die Geste der Transzendenz selbst, das Wesen, das betet und sucht". Sein Geist und seine Liebe haben in all ihren Regungen und Akten "die Richtung auf ein Etwas, das den Namen Gott hat". Gott "ist das Meer"; und die zu Gott gehenden Akte des Menschen sind die Flüsse; "und von ihrem Ursprung an fühlen diese Flüsse schon das Meer, dahin sie fließen."

Und die Tragik dessen, für den das Gebet kein Weg mehr ist, um zu Gott aufzusteigen, kein Strom mehr, um in sein Meer zu fließen, enthüllt in ergreifender Ehrlichkeit Friedrich Nietzsche im 285. Aphorismus seiner Fröhlichen Wissenschaft:

"Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten,
niemals mehr im endlosen Vertrauen ausruhen. -
Du versagst es dir, vor einer letzten Weisheit,
letzten Güte, letzten Macht stehen zu bleiben
und deine Gedanken abzuschirren. -
Du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund
für deine sieben Einsamkeiten. -
Du lebst, ohne den Ausblick auf ein Gebirge,
das Schnee auf dem Haupte und Gluten in seinem Herzen trägt. - Es gibt für dich keinen Vergelter,
keinen Verbesserer letzter Hand mehr. -
Es gibt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht,
keine Liebe in dem, was dir geschehen wird. -
Deinem Herzen steht keine Ruhestatt mehr offen,
wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat.
Du wehrst dich gegen irgendeinen letzten Frieden...
Mensch der Entsagung, in alledem willst du entsagen?
Wer wird dir die Kraft dazu geben?
Noch hatte niemand diese Kraft."

Ein solches Bekenntnis sagt uns, dass jeder Mensch - so auch der Mensch von heute - Sehnsucht hat nach etwas, das noch kommen muss, worauf er wartet, - worauf er ungeduldig wartet, nämlich auf eine Antwort der Religion.

In jedem echten Gebet erschließt sich der Mensch einem Du und nicht einem Es, auch nicht einer unpersönlichen Macht. Wüsste sich der Beter nicht einem Du gegenüber, so wäre das Beten psychologisch unmöglich. So liegt im Gebet des Menschen - wegen seiner historischen und geographischen Universalität - ein unwiderlegbares Zeugnis für die Wirklichkeit und Realität eines jenseitigen, persönlichen göttlichen Wesens.

Das Gebet ist die Nahrung der Seele. Aber beten ist nicht immer leicht. Viele Heilige, ich denke besonders an Teresa von Avila, haben sich eingehend mit dem Gebet auseinandergesetzt und haben doch lange Zeiten "der Trockenheit", wie Teresa das nannte, durchmachen müssen, wo sie nicht beten konnten. Beten können ist ein Geschenk, um das man sich bemühen muss.

Der heilige Augustinus, der auch solche Zeiten des "nicht-beten-könnens" erlebt hatte, konnte schließlich voll Leidenschaft beten, wie zum Beispiel sein Gebet um Licht im X. Buch seiner Confessiones bezeugt, wo es aus ihm herausbricht: "Du Wahrheit, Licht meines Herzens, laß nicht meine Finsternisse zu mir sprechen. Zu ihnen bin ich abgeflossen und wurde verdunkelt; aber selbst von dort aus habe ich Dich geliebt. Noch in meiner Verirrung erinnerte ich mich Deiner. Ich vernahm Deine Stimme hinter mir, die mir zurief, ich solle umkehren, aber ich hörte sie kaum im Lärm meiner ungezähmten Lüste. Aber jetzt, sieh, kehre ich schweißtriefend und außer Atem zu Deinem Bronnen zurück. Keiner wehrt es mir: aus ihm will ich trinken und dann aufleben. Ich will nicht mein eigenes Leben sein; in mir habe ich mein Leben verfehlt, war mir tot; in Dir lebe ich auf. Sprich du zu mir und belehre mich..."

Und Augustinus konnte, wie wir wissen, in wunderbaren Worten von Gott sprechen.

Er war es auch, der auf die Unüberbietbarkeit jenes Gebetes hinwies, das wir das "Gebet des Herrn" nennen. Je größer und erhabener die Gottesvorstellung, desto tiefer und reicher ist das Gebet. So muss derjenige, der das Vaterunser - anerkanntermaßen das schönste Gebet - die Menschen beten lehrte, Jesus, darum auch das höchste Wissen von Gott unter allen Menschen auf Erden besessen haben. In einem seiner Briefe (Ep. Ad Prob., 130,12) schreibt der hl. Augustinus: "Wenn wir recht und in gebührender Weise beten, so werden wir um nichts anderes bitten, als was in diesem Gebet des Herrn enthalten ist. Es ist uns wohl freigestellt, mit anderen, abweichenden Worten um dasselbe zu bitten, was im Gebet des Herrn enthalten ist, aber es ist uns nicht freigestellt, um andere Dinge zu bitten."

II. Wegzeichen zum Gebet im Dom

Wie sollen nun wir aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts, die alles wissen, alles schon gesehen haben, alles in Sekundenschnelle per Bildschirm abrufen können, die wir versucht sind, ein wenig zu lächeln über die naive Vorstellungswelt unserer Vorfahren, wie sollen wir heute beten? Wie sollen wir uns einlassen auf das Risiko der Begegnung mit jemandem, der sich allen vergleichbaren Rankings mit Erfolg bis auf den heutigen Tag entzogen hat? Wir sind verhaltener, wir schämen uns, Gefühle zu zeigen, wir wollen auch nicht abhängig sein, von niemandem. Abhängig sein empfinden wir als ein Zeichen von Schwäche. Und schon gar nicht abhängig sein von einem Gott, über dessen tatsächliche Existenz weithin große Unsicherheit herrscht.

Hier kann uns die Kathedrale, der Dom, helfen. Seit über 850 Jahren ein durchbeteter Raum, zeigt er uns Wege zum Gebet, hat uns viele unauffällige Wegzeichen gesetzt, die vielleicht auf den ersten Blick anspruchsvoll und aufwendig, seltsam und daher gewöhnungsbedürftig sind, die aber, so glaube ich, schlussendlich in die Nähe des Zieles führen - wir müssen sie nur beachten und richtig deuten.

Der Dom ist der Ort, wo sich die positiven Lebensmodelle, Lebensbeispiele versammeln und verdichten und uns gleichsam sagen: Es ist möglich!

"Zieh deine Schuhe aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden", hat Gott dem Mose aus seinem brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch am Rande einer Steppe auf dem Berg Horeb zugerufen. (Ex 3,5)

Gott ist allgegenwärtig, man kann überall zu ihm beten, er kann dem Menschen auch inmitten gewöhnlichster Dinge unerwartet begegnen - und doch gibt es dem Alltagsleben entzogene Räume, die durch feierliche Weihe dem Gottesdienst gewidmet wurden. Das ist auch eine Konsequenz menschlicher Eigenschaften, die der Schöpfungsordnung entsprechen: Der Mensch sucht den Wechsel zwischen Räumen für die Konzentration auf irdische Wirklichkeiten und Räumen, in denen man sich Gott zuwendet. Die oftmals hohe künstlerische Qualität solcher für die Begegnung mit Gott ausgesparter Räume öffnet die Sinne leichter für das Geheimnis und erleichtert auch das Stillwerden.

"Sooft ich aus den lärmenden Straßen Roms kommend die Basilika Santa Maria Maggiore betrete, fühle ich mich an die Einladung des Psalmisten erinnert: "Werdet still und seht" (Ps 46,11). Wenn nicht gerade im Sommer Scharen von Touristen die Kirche durcheilen..., geht vom geheimnisvollen Dämmer dieses Raumes eine Einladung zum Stillewerden, zur Sammlung und zum Schauen aus, die das Laute des Alltags wie von selbst gewichtlos werden lässt. Es ist, als ob das Beten der Jahrhunderte anwesend geblieben wäre, um uns nun mit auf den Weg zu nehmen" sagte Papst Benedikt XVI., als er noch Kardinal Ratzinger war.

Und so ist es auch hier im Dom: immer, wenn wir uns anschicken, hier zu beten, dann wissen wir: wir beten nicht allein, das Beten der Jahrhunderte - um mit Kardinal Ratzinger zu sprechen - nimmt uns mit auf den Weg.

Schon die äußere Erscheinung der Kathedrale, des Domes, als Zeuge des Glaubens, signalisiert uns: die Bauleute des Domes waren gläubige Menschen, sonst wäre das Werk - bis hin ins kleinste, für fremde Augen gar nicht sichtbare Detail - nicht so geworden. Das Werk atmet den Glauben der Werkleute an den Schöpfer.

Beschützt von Heiligen, - Stephanus, dem Kirchenpatron, Laurentius, dem - nach Petrus und Paulus - meist verehrten Märtyrer und Michael, dem Gerichtsengel - hoch oben an der Westwand über dem Riesentor, - und Dämonen - Wasserspeiern, die den Teufel mit grimmigem Blick vom Dom vertreiben wollen oder die ihn auslachen, im Wissen, dass Gott ja schlussendlich mächtiger ist als er - ragt der romanische Dom, von außen, vom Westen her gesehen, wie ein mächtiges Gebirge, das mit seiner höchsten Erhebung, der Spitze des Südturmes, fast den Himmel berührt, aus dem umgebenden Häusermeer, in dem er doch fest verankert ist. Ein steinerner Zeuge des Unvergänglichen inmitten aller Vergänglichkeit.

Die hohen Giebel des Langhauses aus gotischer Zeit erinnern an die zeitgenössische Stadtvorstellung - so sahen auch die mittelalterlichen Städte mit ihren hohen Giebeln aus: indem sie die nebeneinander oder übereinander geordneten Häuserzeilen wiedergeben, vergegenwärtigen sie die Stadt Gottes, das Himmlische Jerusalem.

Eine feste Burg, eine himmlische Stadt, mit Christus, dem Hausherren, über dem Haupteingangstor.
Und wenn wir - unter seinem ernsten Blick hindurch - in das Innere eingetreten sind, dann wissen wir - von nun an hat alles eine Bedeutung - nichts ist von ungefähr. Und indem wir uns hier aufhalten, werden wir unmerklich ein Teil des Ganzen, mit hineingenommen in die große Idee, die den Bau zusammenhält.

Und wir fühlen - wortlos - die Abgehobenheit des Raumes im guten Sinn - ein Raum für das Außergewöhnliche, ein Raum für das Fest - ein großer Raum, in dem wir zusammenkommen können, wo wir uns verlieren können, aber auch ein Raum, der Nebenräume und verborgene Winkel bereit hält, wo jeder seinen eigenen Platz finden kann, um allein zu sein mit Gott.

Und mit allen Sinnen, unbewusst vielleicht, aber doch, nehmen wir die Schönheit des Raumes in uns auf, die nicht das Ergebnis irdischen Wettbewerbs allein ist, sondern die ihre Kraft ableitet von einem ruhigen Wissen um große Zusammenhänge, die Raum und Zeit übergreifen.

Ein international verständlicher Wegweiser zu Gott ist die Schönheit des Domes. Diese Schönheit spüren - mehr oder weniger - auch jene Besucher, die als Touristen, - je nach ihrer Fassungskraft - schauend und fotografierend - den Raum durchqueren. So sehr uns die fotografierenden Touristen manchmal ärgern, wir sollten auch daran denken: sie wollen auch unseren Dom mitnehmen. Neben all den anderen Prestigeobjekten, die ein Tourist - der ja in der Regel unter Fotografierzwang steht - in Form von Bildnachweisen mit nach Hause bringen muss, ist auch der Dom. Wir können es auch positiv sehen. Der Dom berührt auch die fotografierenden Touristen aus aller Welt - irgendwie - und sie wollen ihn mit nach Hause nehmen. Es liegt an uns, ihnen noch etwas darüber hinaus mitzugeben.

Die Menschen fotografieren auch die Oper, sie fotografieren Schönbrunn - und mir fällt dazu ein Wort von Viktor Frankl ein, der es in einer kurzen Abhandlung über den "unbewussten Gott" einmal so formuliert hat: "Drei Dinge gibt es, die uns aus unserer begrenzten Existenz hinausführen können in die Transzendenz: die Religion, die Kunst und die Liebe" - Das heißt, Gott, der ja die größte denkbare Harmonie ist, findet unter Umständen auch in das menschliche Herz über den Umweg der Schönheit der Kunst, die ja letztendlich ihren Ursprung auch in ihm hat. Denken wir daran, wenn wir geneigt sind, uns über die fotografierenden Touristen allzu sehr zu ärgern und ihnen jedes andächtige Gefühl abzusprechen.

Wir hören die - leider zumeist nur relative - Stille, die den großen Raum ausfüllt. Tag für Tag kämpft der Dom gegen den Lärm, der von außen hereindringen will, den die Menschen mit hineinbringen, der Dom setzt die ganze Kraft seiner dicken Mauern dagegen, die ganze Wucht seines großen Raumes... er will uns beeindrucken, uns zur Stille ermahnen, denn erst dann können wir anfangen, zu hören.

Wir befinden uns inmitten in der Gemeinschaft der Heiligen, die alle, allein durch ihre Lebensgeschichte, Wegweiser sind hin auf Gott.

Und wir sind mitten in der Gemeinschaft der vor uns hier Lebenden, die sich als Stifter und Beter - vor allem auf Bildwerken und Grabdenkmälern - in Erinnerung rufen. Und wenn wir genau schauen, dann fällt uns eines auf: keiner von ihnen sitzt, die Heiligen stehen auf ihren Podesten und die Stifter knien. Darauf werde ich noch zurückkommen.

Der Dom ist seit Jahrhunderten, eigentlich seit seiner Erbauung , ein durchbeteter Raum - ein Ort der Kraft, die man dann spürt, wenn man sich einfach in die Reihe der Beter einfügt.

Und der Dom vermittelt uns auch ein Gefühl von Konsequenz und Beständigkeit: der hohe Turm ist ein schönes Beispiel dafür. Da gab es zuerst die Idee, die Vorstellung eines wunderbaren Turmes, der in den Himmel reicht. Dann kam der gezeichnete Plan, kunstvoll und ganz genau ausgeführt.

Dann kam der entscheidende Akt - im Falle des Südturmes wird auf Rudolf IV. und seine Gemahlin Katharina verwiesen, die am 11. März des Jahres 1359 mit einer silbernen Maurerkelle den symbolischen ersten Spatenstich getan und am 7. April feierlich den Grundstein gesetzt hatten. Und dann erfolgte die Durchführung des Werkes. Und von diesem Zeitpunkt an bis zu seiner Vollendung im Jahr 1433 - immerhin insgesamt 74 Jahre hindurch, das waren damals ungefähr 3 Generationen - lösten mehrere prominente Baumeister einander ab - und sie alle ordneten sich im Großen und Ganzen dem Plan unter, der einmal beschlossen worden war. Und auch wenn am Bau selbst heute Hinweise auf wiederholte Planänderungen abzulesen sind, erweckt die einzigartige gleichmäßige Verjüngung des Stephansturmes den Eindruck "fugenloser Einheitlichkeit" - erreicht durch die Treue zu einer einmal als richtig erkannten Idee.

Aber das entscheidende Geheimnis des Domes, das er allen, die mit ihm in näherer Berührung kommen, vermittelt, ist grundsätzlich gleich dem jeder anderen Kirche, auch der Kleinsten und Unscheinbarsten: er und sie alle bergen den Schatz und vereinen die, die glauben, darum herum.

III. Beten im 21. Jahrhundert

So eingestimmt, fragen wir noch einmal: Wie können wir heute versuchen, mit und von Gott zu sprechen - ich sage bewusst: versuchen, denn es recht zu tun, ist nicht einfach, - und welches Ziel haben wir vor Augen?

Beim Versuch zu beten, finden wir oft die Worte nicht. Das ist nicht neu, auch Paulus kannte dieses Problem: "So nimmt sich der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist." (Röm 8,26)

Beim Versuch zu beten, merken wir oft, wie viel Mühe es kostet, auch nur ein paar Minuten lang bei der Sache zu bleiben, ohne an zehn andere Dinge zu denken, die Gedanken zu beherrschen oder sich ein Wort einzuprägen. Wir werden auch bemerken, dass unser Gebet oft fast nur oder vor allem aus Reden besteht.

Im Folgenden habe ich versucht, die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, ganz bewusst einzeln darzustellen; im Ernstfall des Gebets können dann alle in unterschiedlichen Kombinationen ineinander fließen, je nachdem.

DAS ATMENDE GEBET

Die Urbewegung des Lebens ist das Kommen und Gehen des Atems. Mit der Geburt hebt der erste Schnaufer an und im Sterben geht das letzte Ausatmen weg. Jedes Mal wenn wir atmen, berühren wir atmend Anfang und Ende. Jedes Einatmen schöpft neues Leben, jedes Ausatmen verabschiedet sich. Daher sollen wir auch unser Gebet mit dem Atem "betreiben". In dem Rhythmus unseres Atems schwingt das Gottesgedenken der Buddhisten, das Jesusgebet der Orthodoxen, der Rosenkranz der Katholiken. Der Atem, achtsam begleitet als innere Bewegung, ist Hingabe, Verehrung und Lehre in einem. Atem bekommen hat mit Gott zu tun - das ist Menschheitswissen seit je her. Im Dom neben einen Pfeiler treten, ihn mit der Hand berühren und warten. In der Stille des Domes können wir unseren Atem hören.

DAS HÖRENDE GEBET

Still werden als Voraussetzung für ein Gebet das, gelingt: still werden, um zu hören. Wenn wir aus dem Lärm kommend, uns in der Stille wiederfinden, hören wir plötzlich deutlich den Lärm in uns und müssen warten, manchmal ziemlich lange, bis er abebbt. Dann erst können wir hören. Wir werden merken, wie viel Lärm wir in uns haben. Das Wort "Lärm" hängt mit "Alarm" zusammen und das bedeutet wörtlich: "Zu den Waffen". Kein Wunder, dass wir Lärm oft als Angriff empfinden.

Stille kann man nicht herbeiführen, man kann sie aber vorbereiten, etwa wenn ein Gebetsvers im Raum stehen bleibt. Dann können auch wir still werden, stehen bleiben und warten. Warten, wie der ganze Raum wartet, stellvertretend für eine beschäftigte Christenheit.

Dann werden wir - vielleicht - Gott hören können, der sich hören lässt, der uns ein Ohr eingepflanzt hat, damit wir für ihn aufmerksam werden - wie es bei Jesaia heißt: "Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger. Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück" (Jes 50, 4-5)

Jesus selbst fordert uns zum Hören auf, wenn er sagt: "Wer Ohren hat zu hören, der höre" (Mt 11,15) und er preist seine Jünger selig, weil sie Ohren haben, "die hören, was ihr hört" (Mt 13,16). "Der Glaube kommt vom hören" sagt Paulus im Römerbrief (10,17)

Eine, die in diesem Sinn genau "hin - gehört" hat, war wohl Maria, die Mutter Jesu

Wohin der umgekehrte Vorgang hinführt, erzählt uns die Bibel auch: die Unfähigkeit von Menschen, sich hörend der Wahrheit zu stellen - betrifft uns hier in St. Stephan ganz besonders, denn es geht um unseren Patron. Als Stephanus nach seiner Verhaftung seine große Rede hielt, da verschlossen sich seine Gegner jeder Hörbereitschaft und "erhoben ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu und stürmten gemeinsam auf ihn los..." (Apg 7,57) Die Versperrung der Ohren baut eine Barrikade gegen die bessere Einsicht auf.

"Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schwiegen ist, sondern Hören.

So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören, beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört" sagt Sören Kierkegaard.

Der Dom bemüht sich, uns mitten im Lärm der Stadt so viel Stille als möglich zu schenken.

DAS SCHAUENDE GEBET

Der Weg des Menschen führt vom Dunkel ins Licht, auch an das erinnert uns der Dom - von der Westseite, der Zone des Todes hin nach Osten, wo Christus aus dem Licht kommt. Um Dunkel und Licht zu unterscheiden, brauchen wir das Auge. Das Auge gehört zu den größten Kostbarkeiten, die wir besitzen, deshalb bitten wir auch Gott: "Behüte mich wie den Augapfel, den Stern des Auges" (Ps 17,8). Mit dem Auge können wir die ganze Außenwelt nach innen holen.

Der Vorgang des Sehens ist hochkompliziert, schon allein im physiologischen Ablauf. Im Dom kann sich das Auge kaum satt sehen, kann sich verlieren in immer neuen Wundern. Wichtiger aber als die äußere ist die innere Schau, die die äußere ergänzt und vertieft. In diesem Sinn müssen wir sehen lernen, solange wir leben. Und immer wieder brauchen wir jemanden, der uns verlässlich unsere Augen öffnet: "Öffne mir die Augen, dass ich sehe" bittet der Psalmist (Ps 119,18). Und wer schaut, möchte auch selbst angeschaut werden. Denn letztlich geht unsere Sehnsucht dahin, Gott zu begegnen, das Gottesgeheimnis zu schauen.

Gott im Licht zu schauen, kann aber auch erschrecken. Von Paulus wird uns berichtet, dass die Begegnung mit dem Licht Gottes vor Damaskus, als er noch Saulaus war, die physiologische Kapazität seiner Augen überstieg. Nach dieser Begegnung war er drei Tage blind - die gegenwärtige wunderbare Darstellung der Bekehrung des Saulus stammt aus dem Singertor des Domes. -

Und für uns bedeutet das: Gott wahrzunehmen, übersteigt meist die Grenze der menschlichen Möglichkeiten. Zum Beten gehört daher manchmal ganz bewusst die Dunkelheit und manchmal ganz bewusst das Licht. Dunkelheit kann auch Schutz sein in der Begegnung mit dem Licht. -

Und doch können wir uns der Faszination des Lichts nicht entziehen und darum zünden wir immer wieder Lichter an, mit einer Bitte im Herzen, aus Dankbarkeit oder einfach nur so. Denn wir wissen: "Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst" (Jo 1,5)

DAS KNIEN VOR GOTT

In Vorbereitung auf diese Katechese ist mir etwas aufgefallen. Sieht man sich in Dom um, dann wird man - dargestellt - keinen Beter, keine Beterin sitzend finden. Wir finden sie - an den Pfeilern, auf den Grabmälern, auf den Altarblättern - entweder stehend oder kniend. Nie sitzend. Wir finden sie mit weit ausgebreiteten Armen oder mit gefalteten Händen, meist mit Rosenkränzen.

Der Grund dafür ist wohl ihre Entstehung zumeist in jener Zeit, da man zu Gott kaum aufzuschauen wagte, sein. Und daran könnte man diese Überlegung knüpfen:

Das Knien bedeutet Bitte, Dank und Verehrung, - um einen Größeren größer sein zu lassen, macht sich der Beter klein. Wer kniet versinkt in den Boden, verzichtet auf die Möglichkeit eigener Schritte, eigener Wege. Knien ist vor allem die Gebetshaltung bei der eucharistischen Anbetung. Knien kann auch Übernahme einer Beauftragung bedeuten, zum Beispiel bei der Priesterweihe.

DAS SITZEN VOR GOTT

Demgegenüber gilt das Sitzen als die Haltung des meditativen Hörens, sitzen dürfen bringt mich in Beziehung mit dem, der mir das Sitzen gestattet. In alten Zeiten war das Sitzen das Vorrecht von Königen, Priestern und Alten.

DAS LIEGEN VOR GOTT

Liegen, ganz ausgestreckt, wie bei der Priesterweihe oder auch am Karfreitag am Beginn der großen Liturgie, bedeutet Auslieferung und Übergabe, wie sie nicht größer sein kann.

Beten im Liegen auf dem Rücken ist Gebet des ganzen Wesens. Einmal, vielleicht bei Krankheit und Sterben, wird es als einzige Gebetshaltung übrigbleiben.

DAS STEHEN VOR GOTT

Eine Säule ruht nicht, sie hat den Sinn, zu tragen. Wenn wir stehen, sind wir wach und bereit, wir stehen immer vor jemandem. In der christlichen Liturgie stehen wir vor allem beim Hören des Evangeliums - denn dann sind wir angesprochen, wir stehen auch beim Hochgebet, denn dann sprechen wir jemanden an.

Ein Mittelpunkt unserer Frömmigkeit, das Zentralsymbol unserer Erlösungsgeschichte ist das Kreuz. Es ist der Inbegriff unseres Glaubens und kein anderes Zeichen wurde häufiger dargestellt, interpretiert und abgewandelt. Aber weil das Kreuz so sehr zum Urzeichen der christlichen Überlieferung geworden ist, ist uns kaum mehr bewusst, dass es auch ein jahrtausend altes Urzeichen der Menschheit ist, das uns schon in der vorchristlichen Welt begegnet. Das Kreuz als ein elementares Symbol als Treffpunkt der Horizontalen mit der Vertikalen. Das Kreuz - ein Begegnungszeichen.

Was bedeutet das Kreuz für das Gebet? Auch dem menschlichen Leib ist die Kreuzstruktur eingefügt. Die aufgerichtete Wirbelsäule betont die Vertikale, die Schultern mit den ausgestreckten Armen die Horizontale. Die Senkrechte unserer Leiberfahrung steht für unsere unverwechselbare Existenz, die Waagrechte setzt uns in Beziehung zu den anderen. "Stell dich auf deine Füße, Menschensohn, ich will mit dir reden" sagt der Herr zu Ezechiel, und ruft ihn in die Vertikale.

Die Christen der ersten Jahrhunderte haben vor allem in der Orantenhaltung gebetet, sie haben ihre Arme geöffnet und damit ihre Offenheit zum Ausdruck gebracht. Eine schlichte und eindrucksvolle Geste - sehr schön zu erkennen an dem Fresko aus der romanischen Stephanskirche auf der Westempore. - Beim Gebet auch nur einige Minuten mit ausgebreiteten Armen zu stehen, die Kreuzgestalt unseres Leibes zu betonen, verändert etwas in uns, lässt uns eine neue Mitte gewinnen - nach einiger Zeit spürt man die Arme nicht mehr und man hat das Gefühl, etwas zieht nach oben. Es ist jedenfalls den Versuch wert. -

Makarios, ein ägyptischer Mönchsvater hat die Auffassung vertreten: "Es ist nicht notwendig, viele Worte zu machen; es genügt, die Hände erhoben zu halten."

Heute ist es im Allgemeinen nicht üblich, öffentlich - zum Beispiel mit weit geöffneten Armen - zu beten. Man müsste zu viel dazu erklären. Erfahrene Lehrer des Gebets sagen: "Sieht man jemandem zu sehr an, dass er/sie meditiert, meditiert er/sie noch nicht." Damit ist gemeint, dass "die Rechte nicht wissen soll, was die Linke tut". Meinrad Dufner sagt in seinem schönen Buch über den vergessenen Schatz der Anbetung: "Auch das Bewusstsein über mein Gebet will sich verlieren. Wer merkt, wie fromm er ist, wie viel er an Gebet erbringt, wieviel er angeblich sühnt oder sonst was - diese Menschen darf man getrost dem frommen Narzissmus überlassen. - Gebet von der besprochenen Art braucht die Abgeschiedenheit, braucht Verschwiegenheit. Die im Leben von Liebe zu viel und zu laut reden, sind es nicht."

Aber auch dafür hat der Dom eine Lösung bereit: in der Barbarakapelle, einem zumeist verborgenen Ort, kann man manchmal Beter und Beterinnen sehen, die - im oben besprochenen Sinn - mit Gott allein sind.

BETEN MIT DEM HERZEN

Das Herz steht für den innersten Bereich der menschlichen Person. Es gibt in der Regel eine bedeutende Hilfestellung bei unseren Entscheidungen, es hat also etwas mit dem Gewissen zu tun. Ich treffe meine Entscheidungen womöglich aus der "Herzmitte". Im Verständnis der Bibel ist das Herz sogar die Instanz des klaren Denkens und des klugen Vorausschauens. Wenn König Salomo darum bittet ein "hörendes Herz" zu bekommen, (1 Könige 3,9), dann hoffte er auf einen wachen Verstand und einen aufmerksamen Geist, um sein Volk recht zu regieren.

Und König David bittet: "Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist!" (Ps 51,12)

In diesem Geist - mit dem Herzen - danken und bitten und loben wir Gott vor allem. Für andere Menschen sinnvoll beten können wir nur dann, wenn wir auch mit unserem Herzen an ihrem Schicksal teilnehmen können und wenn wir fähig sind, ohne Vorurteile zu sehen, was um uns her vorgeht.

Und doch - wir dürfen nie vergessen - wie Paulus im ersten Korintherbrief sagt: "Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht." (1Kor 13,12)

IM GEBET ZU SICH FINDEND

Grundsätzlich ist es das Schwierigste, ernsthaft mit dem Beten zu beginnen. Wenn man einmal begonnen hat, dann merkt man bald, dass man ein wirkliches Wunderwerkzeug in Händen hält, das geduldig macht und innerlich still, das den Dingen ihre richtige Größe gibt, das nicht so sehr die Welt rundum verändert, als unser eigenes Herz - und damit auch nach und nach die Welt rund um uns.

Ein Gebet, das sich betend ausbreitet, auch als Zeitmaß, das Zeit gibt zum denken, ist das Rosenkranzgebet. Es streckt sich längs, wie ein Mensch sich längs streckt im Bett. Und zugleich pickt es die Rosinen aus dem Evangelium heraus und reiht sie gleich einer Perlenkette aneinander. Das Rosenkranzgebet ist die betende Einverleibung der Heilsgeschichte, eine Bibellesung im Zeitraffer und - es geht den fraulichen Weg.

Das Rosenkranzgebet ist wie eine "alte Leier". Meinrad Dufner beschreibt sehr dicht seine Empfindungen, als er an einem schönen warmen Frühsommerabend eine kleine Landkirche betrat: "Schon unter der Tür bemerkte ich, nicht allein zu sein, es fühlte sich an, also ob der Raum schon voll wäre. Aber von was? Er war voll von Gebet, das eine handvoll Frauen daher "leierten". Die Tonlage konnte ich musikalisch nicht bestimmen. Es klang nicht hoch, es klang nicht tief, es klang nicht einstimmig, es klang auch nicht polyphon. Es hatte einen Ton, wie ihn der starke Wind im, Gebirge erzeugt. ... Und die ganze Kirche war voll davon, als stünden in allen Nischen Lautsprecher. Das Schwingen war körperlich fühlbar. ... Man merket den Worten, wie sie gesprochen waren, das gelebte Leben an. Sie hatten Furchen, wie die Hände, die sie beteten. ... Aber der Inhalt der Worte stammte nicht aus dem Alltag der Frauen. Sie sprachen Bibelworte, sie beteten den Rosenkranz."

Was ist dieses alte "Leiergebet"? Es stirbt, wenn es mit besonderer und bewusster Betonung gesprochen wird. Seine Texte müssen "geleiert" werden, einer Lyra gleich einen Singsang bilden. Das Geleier hat etwas Wiegendes, in dem sich das Herz ein wenig schaukeln lässt. Das Rosenkranzgebet singt uns hinein in den Heilsweg.

IV. Schlussfolgerung

Das alles zusammenfassend, lautet die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Wie von Gott sprechen? am Schluss und wir spüren es selbst:

Nur wenn unser Gespräch mit Gott gelungen ist, wenn das Gebet unser Leben durchlässig genug gemacht hat, dann können wir, dann haben wir den Wunsch, von Gott zu sprechen zu den anderen Menschen.

Und wir erfahren dann wie von selbst: am besten und am überzeugendsten von Gott sprechen können wir durch die Art und Weise, wie wir unser Leben gestalten, durch das einfache Beispiel unseres gelebten Lebens. Die Kraft dazu schenkt uns das Gebet.

Und wie die dunkle Schale der Muschel die Perle in ihrem Inneren umhüllt und schützt, so schützt der Dom das Geheimnis. Und er schützt auch die Beter in seinen Mauern. Er schützt auch jene, die nicht beten können oder wollen und die nur kommen, um sich auszuruhen.

Wir müssen keine großen Dinge tun, keine außerordentlichen frommen Demonstrationen, keine dramatischen Opfer, keine klug selbstquälerische Buße, kein ausgeklügeltes Programm. Wir setzen im Vertrauen auf den Hausherrn des Domes immer den nächsten Schritt, den wir eben schaffen können. Und wir wissen: wenn es Not tut, dann verlässt er seinen Dom und geht neben uns in unserem irdischen Nomadendasein. Wir müssen nur achtsam sein.

Wenn die Katechesen des vergangenen Arbeitsjahres ein wenig dazu beigetragen haben, dass wir in verschiedener Hinsicht achtsamer, bewusster und behutsamer geworden sind, dann war die Mühe nicht umsonst. Weil wir das aber - trotz aller Mühe - doch nie ganz von alleine können, erbitten wir dazu den Segen von oben in seiner ganzen Fülle!

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