Freitag 19. April 2024
Katechesen von Kardinal Christoph Schönborn

"Im Anfang schuf Gott..."

Zweite Katechese von Kardinal Christoph Schönborn aus der Katechesenreihe 2005/2006 "Schöpfung und Evolution" - Sonntag, 13. November 2005, Dom zu Stephan. 

"Die Reise der Pinguine" ist, so höre ich, ein wunderbarer Film. Ich habe ihn leider noch nicht gesehen. Er wurde in wenigen Wochen zum Welterfolg. Faszinierend wird das Leben, das Brutverhalten, das Meistern extremer Klimasituationen dieser "Watscheltiere" dargestellt.
Und dennoch schon wieder ein neuer Evolutionsstreit. Amerikanische christliche Kommentatoren sind begeistert über die Tugenden der Pinguine und meinen, dass ihre Fähigkeiten, den extremen Temperaturen, dem Meer, den Tierfeinden zu widerstehen und gleichzeitig vorbildliche, opferbereite, monogame Eltern zu sein, gegen Darwins Theorie und für ein "Intelligent Design" spricht. Also für die Schöpfung und gegen Darwin. So war vor kurzem zu lesen. Der Autor dieses Filmes, ein französischer Filmemacher, wehrt sich energisch gegen eine solche "Vereinnahmung". Er sei, so sagt er, "mit Darwins Milch aufgezogen worden" und habe "nur" einfach einen Tierfilm machen wollen (vgl. "Der Standard", 22./23. 10. 2005, Seite 43).

Ich denke, diese Kontroverse ist typisch für heute. Die Stimmung ist aufgeheizt, gereizt, die gegenseitigen Vorwürfe sind sofort zur Hand. Fast erinnern die Kontroversen an so etwas wie Kulturkampf. Da polemisiert etwa Salman Rushdie in der "New York Times" und auch in der "Zeit" heftigst gegen die Religionen, mit denen kein Frieden zu schließen sei, kein Kompromiss erreichbar wäre. So sagt er: "Auf der ganzen Welt erklären islamische Stimmen, dass die Evolutionslehre mit dem Islam nicht vereinbar sei." Die Theorie vom "Intelligent Design" ist für ihn "jene Theorie, die der Schönheit der Schöpfung im Nachhinein die antiquierte Vorstellung eines Schöpfers aufzwingen will". Er meint, ihr gegenüber "erscheint eine gewisse Grobheit geboten".
Viel Polemik, aggressive Töne gegen Menschen, "die behaupten, ein Gott habe sie geschaffen", so war neulich in der "Zeit" zu lesen ("Die Zeit", 29. 9. 2005, "Immer Ärger mit den Verwandten", von Urs Willmann). Menschen, die solches behaupten, werden als Fanatiker tituliert - vielleicht sind sie es wirklich oder benehmen sich als solche, aber zu glauben, dass Gott einen geschaffen habe, rechtfertigt noch nicht, dass eine solche Überzeugung auf so fanatische Ablehnung stößt. Zur Zeit Darwins hätten, so meint der eben zitierte Autor in der "Zeit", "die meisten Menschen kruden religiösen Schöpfungsmythen" angehangen, was heute offensichtlich längst überholt ist. Ganz ohne Polemik kann man die Gegenfrage stellen, ob Menschen, die von dem wunderbaren Oratorium von Joseph Haydn "Die Schöpfung" begeistert sind, "kruden Mythen" anhängen?
Ich denke, der rüde Ton, die aggressive Note in der Auseinandersetzung, vor allem von Seiten derer, die sich gegen jede Darwinismuskritik abschotten, ist kein gutes Zeichen. Aber, sagen wir es gleich dazu, auch religiöser Fanatismus ist es ebenso wenig.
Sind aber alle, die glauben, "ein Gott habe sie geschaffen", schon blinde Fanatiker? Oder ist die Freude an Haydns Schöpfung nur einfach romantische Seelenaufwallung? Kann überhaupt ein vernünftiger Mensch an einen Schöpfer glauben und sich und die Welt als geschaffen sehen? Das soll heute Thema der Katechese sein. Ich verspreche, ganz unpolemisch hineinzuhorchen in das, was der Glaube und die Vernunft zu diesem Thema sagen, was wir hier hören und sehen können. Als Reaktion auf meinen Artikel in der "New York Times" schrieb mir ein Wissenschaftler, er wolle gerne glauben, aber er könne einfach nicht "an einen Schöpfergott glauben, an einen alten Mann mit einem langen, weißen Bart". Ich antwortete ihm, dass das auch niemand von ihm erwarte. Im Gegenteil: Eine solche, vielleicht kindliche, aber sicher kindische Vorstellung vom Schöpfer hat nichts mit dem zu tun, was die Bibel über den Schöpfer sagt und was die Glaubenslehre der Kirche meint, wenn sie im Credo sagt: "Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde." Ich schrieb ihm in meinem Antwortbrief, es wäre doch wünschenswert, wenn sich sein naturwissenschaftliches Wissen und sein religiöses Wissen ein wenig im Niveau angleichen würden und nicht ein hohes Wissen als Wissenschaftler einem doch sehr kindlichen religiösen Wissen gegenüberstünde. Denn sicher ist mit dem Schöpfer nicht der alte Mann mit dem langen weißen Bart gemeint. Ich empfahl ihm, einfach einmal zu lesen, was zum Beispiel der Katechismus der Katholischen Kirche zu diesem Thema sagt.
Nun muss ich gleich am Anfang noch ein anderes Missverständnis nennen, weil es ständig in der andauernden Diskussion zu finden ist. Es geht um den so genannten "Kreationismus". Fast automatisch wird heute in der Polemik Schöpfungsglaube mit "Kreationismus" in einen Topf geworfen. An Gott, den Schöpfer, zu glauben, ist aber nicht identisch mit dem Versuch gewisser christlicher Kreise, die sechs Tage der Schöpfung wörtlich zu verstehen, als sechs chronologische Tage, und mit allen Mitteln auch wissenschaftlich zu versuchen, ein Erdalter von etwa 6.000 Jahren zu beweisen. Solche Versuche, die Bibel wortwörtlich zu nehmen, als würde sie hier auch chronologische und naturwissenschaftliche Aussagen machen - ich bin Vertretern dieser Überzeugung begegnet, die sich ehrlich und aufrichtig bemühen, sogar wissenschaftliche Argumente dafür zu finden -, nennt man "Fundamentalismus". Genauer gesagt: Im amerikanischen Protestantismus hat diese Sicht des christlichen Glaubens sich selber anfangs als Fundamentalismus bezeichnet: Von der Überzeugung ausgehend, dass die Bibel wortwörtlich von Gott inspiriert ist, also jedes Wort unmittelbar Gottes Inspiration ist, werden auch die sechs Tage der Schöpfung wortwörtlich genommen. Verständlich, dass etwa in den USA viele sich energisch und mit allen Mitteln der Polemik, aber auch mit Prozessen dagegen wehren, dass das in den Schulen gelehrt wird. Dass es umgekehrt Kreise gibt, die möchten, dass in Schulen auch die kritischen Fragen gegenüber dem "Darwinismus" behandelt werden, ist ein anderes Kapitel, und ich denke, es ist ein vernünftiges und legitimes Anliegen.
Die katholische Position diesbezüglich ist aber klar. Der hl. Thomas von Aquin sagt, "man dürfe den christlichen Glauben nicht mit Argumenten verteidigen wollen, die ihn lächerlich machen, weil sie offensichtlich der Vernunft widersprechen". Zu behaupten, die Welt sei nur 6.000 Jahre alt, ist einfach unsinnig. Ein solcher Versuch, das wissenschaftlich zu beweisen, ist das, was der hl. Thomas die "irrisio infidelium", den Spott der Ungläubigen zu provozieren nennt. Es ist nicht recht, es ist sogar ausdrücklich abzulehnen, den Glauben durch solche falschen Argumente dem Gespött der Ungläubigen auszusetzen. Das möge aber zu diesem Thema "Kreationismus" und "Fundamentalismus" für den ganzen Rest der Katechesen genügen. Ich denke, das müsste klar sein, und wir müssen darauf nicht zurückkommen.
Jetzt aber das Hauptthema: Was sagt der christliche Glaube an "Gott den Schöpfer" und die Schöpfung? Nach klassischer katholischer Lehre, wie sie im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) oder jetzt kurz gefasst im "Kompendium" zum Katechismus dargestellt wird: Sie enthält vier Grundelemente:
1) Die Schöpfungslehre besagt, dass es einen absoluten Anfang gibt - "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" - und dass dieser absolute Anfang die freie, souveräne Setzung des Seins aus dem Nichts ist. Das wird heute das Hauptthema sein: der absolute Anfang.
2) Zweitens gehört zur christlichen Schöpfungslehre, dass die Geschöpfe sich unterscheiden: die Unterscheidung der Geschöpfe, "jedes nach seiner Art", so heißt es im ersten Kapitel der Genesis. Es ist das Sechs-Tage-Werk der ersten Seite der Bibel. Darüber möchte ich in der nächsten Katechese sprechen. Was bedeutet das, dass der Schöpfungsglaube die Vielfalt der Geschöpfe als von Gott gewollt lehrt.
3) Das Dritte, über das auch heute schon die Rede sein wird, ist ganz grundlegend wichtig für den christlichen Schöpfungsglauben. Wir glauben nicht nur an einen absoluten Anfang, sondern auch an die Erhaltung der Schöpfung, Gott hält alles, was er geschaffen hat, im Sein. Das ist sein andauerndes Schöpfungswerk, das die Theologie die "creatio continua", die fortdauernde Schöpfung nennt.
4) Schließlich, und auch das wird Thema einer Katechese sein: Zur Schöpfung gehört unbedingt der Glaube an die Lenkung der Schöpfung. Gott hat nicht die Schöpfung einmal am Anfang angestoßen und lässt sie dann laufen, sondern die göttliche Lenkung der Schöpfung - wir nennen sie die Vorsehung - ist Teil der Schöpfungslehre. Gott führt sein Werk zum Ziel.
Das ist im Wesentlichen auch das Jahresprogramm der Katechesen. Es geht dabei aber nicht nur um die Glaubenslehre, sondern ich will bei jedem Thema auch versuchen, das Gespräch mit den Naturwissenschaften zu suchen, soweit mir das mit meiner Laienkenntnis möglich ist. Insbesondere geht es natürlich immer wieder um die Fragen des Verhältnisses von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie.
Beginnen wir also heute mit der Frage nach dem absoluten Anfang. Heute allgemein anerkannt ist die wissenschaftliche Theorie über den Anfang des Universums, es ist die verbreitetste These, die Theorie vom Urknall, dem "Big Bang". Vor 75 Jahren entdeckte der US-amerikanische Astronom Edwin Hubble, dass sich unser Universum in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit ausbreitet, expandiert, nämlich mit Lichtgeschwindigkeit. Inzwischen wird sogar angenommen, dass es sich noch schneller ausbreitet.
Es muss also einmal begonnen haben, sich zu expandieren, eben mit einem "Big Bang", von einem höchst konzentrierten, überaus dichten Anfang. Es hat sich sozusagen "explosionsartig" auszudehnen begonnen. Die Theorie ist durch Beobachtungen, vor allem etwa durch die so genannte "Hintergrundstrahlung" im Universum erhärtet, die als ein Nachbeben des "Big Bang" gedeutet wird. So viele Fragen bleiben allerdings rätselhaft, die wahrscheinlich auch von der Theorie als solcher gar nicht beantwortet werden können, aber wohl Fragen auch an die Vernunft der Forscher stellen.
Da ist zuerst die ganz einfache Frage: Wohin expandiert das Universum? In einen Raum? Aber es gibt ja gar keinen Raum "außerhalb" des Universums. Jenseits der gigantischen Dimensionen des Kosmos, 14 Milliarden Lichtjahre groß - so ist die allgemeine Annahme. Wir wissen, dass eine Lichtsekunde 300.000 Kilometer sind, also 14 Milliarden Lichtjahre. Allerneueste Forschungen meinen sogar, dass die Expansion des Universums bis zu 46 Milliarden Lichtjahre geht, aber bei diesen Größenordnungen spielt das schon fast keine Rolle mehr, denn sie sind absolut unvorstellbar. Allein unsere Galaxis, unsere Milchstraße ist 100.000 Lichtjahre groß. Wer kann sich das vorstellen? Jenseits dieser gigantischen Dimension des Kosmos gibt es keinen Raum. Der Raum, so las ich gerade vor kurzem im "Spektrum der Wissenschaft", in dem wir leben, "entstand mit dem Urknall und dehnt sich seitdem weiter aus" (Spektrum d. Wissenschaft, Mai 2005, S. 41). Es gibt nicht einen Raum außerhalb des Universums.
Die Zeitfrage ist ebenso ein großes Rätsel. Der "Urknall" bedeutet ja, dass das Universum einen Anfang hat und auf ein Ende zugeht. Nun ist die Versuchung groß zu fragen: Was war denn vor dem Anfang? Die Antwort kann nur sein: Wie es den Raum nur gibt, weil es die Expansion des Universums gibt, und wo es expandiert, da ist Raum, so ist es auch mit der Zeit. Es gibt sie nicht vor der Zeit. Sie entsteht, wie auch der Raum, mit dem "Big Bang". Es gibt sie nur innerhalb des Kosmos und mit ihm. Die Naturwissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten versucht, immer näher an diesen Ursprung heranzukommen. Der Nobelpreisträger für Physik, Steven Weinberg, schrieb 1977 ein Buch, das berühmt geworden ist: "Die ersten drei Minuten". Es handelt von den ersten drei Minuten des Universums. Es ist faszinierend zu erfahren, was die Forschung heute über die entscheidenden ersten Augenblicke nach dem "Big Bang" sagt. Alles, was sich später entwickelt, die Galaxien, Sterne, Planeten, das Leben auf unserer Erde, alles das hat sich in den allerersten Momenten entschieden.
Unser bekannter Physiker Prof. Walter Thirring schreibt in seinem vor einem Jahr erschienenen Buch "Kosmische Impressionen. Gottes Spuren in den Naturgesetzen" (Seite 48f): "Wenn der Urknall zu schwach wäre und das Ganze wieder zusammenbräche, dann gäbe es uns nicht. Wäre er zu stürmisch gewesen, würde sich alles zu schnell verdünnen", und wieder gäbe es uns nicht. Er vergleicht die Weltentstehung mit dem Start einer Rakete, um einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen. Er sagt: "Nimmt man zu wenig Treibsatz, fällt er gleich wieder herunter. Nimmt man zu viel, entflieht er ins All." Aber, fügt er hinzu, beim Urknall waren die Bedingungen der "Zielgenauigkeit" der ersten Augenblicke unvergleichlich höher als beim Start einer Rakete, um einen Satelliten in die Umlaufbahn zu bringen. Die Präzision dieses Geschehens, das sich in Bruchteilen von Bruchteilen der ersten Sekunde vollzogen hat, ist dermaßen "jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens", sagt Prof. Thirring, dass er dazu ausruft: "Das soll durch Zufall geschehen sein, was für eine absurde Idee!" (ebd. S. 49)
Haben wir jetzt hier den Punkt, wo der Schöpfungsglaube einsetzt, wir ihn sozusagen einführen können an der Grenze, die die Wissenschaft erreicht hat? Hinter dieser Schwelle beginne dann der Schöpfer? Vorsicht! Bitte nicht zu schnell mit der Idee kommen, also habe Gott den "Big Bang" "gemacht": Hier, in den ersten Bruchteilen von Bruchteilen der allerersten Sekunde stoßen wir sozusagen auf die letzte Mauer, hinter der wir den Schöpfer finden, wo nur mehr der Schöpfer erklären kann, wie es dazu kam. In vielen wissenschaftlichen, auch theologischen Diskussionen geistert diese Idee herum. Sie wird von manchen energisch vertreten, von anderen ganz entschieden bekämpft. Ist Gott in diesem Sinn am Anfang, dass er sozusagen den "Anpfiff" für das große Spiel des Universums gegeben hat?
Ich lade Sie jetzt ein (und verspreche, dass es etwas mühsam wird), dass wir ein wenig hineinschauen in das, was der Glaube wirklich lehrt. Und wir werden sehen, dass der kirchliche Schöpfungsglaube zugleich ganz einfach, aber auch sehr tief und anspruchsvoll ist. Und dass wir viele unserer Vorstellungen und Bilder immer wieder übersteigen müssen, um in das Geheimnis der Schöpfung einzudringen und uns im Glauben, aber auch in der Vernunft ihm zu nähern.
Beginnen wir noch einmal mit dem ersten Satz der Bibel. "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (Gen 1,1). "Bereschit bara" - heißt es im hebräischen Text. "Bara", dieses Wort kommt in der Bibel nur für Gott vor. Nur Gott schafft. Das hebräische Wort ist exklusiv, ausschließlich für Gottes Schöpfertätigkeit verwendet. Der Katechismus (Nr. 290) sagt, dass in diesen ersten Worten der Schrift dreierlei ausgesagt werde:
1) Der ewige Gott hat alles, was außer ihm existiert, ins Dasein gerufen. Alles, Himmel und Erde. Der erste Satz der Bibel sagt nicht, dass Gott einen Anpfiff gegeben hat, einen Anstoß am Anfang, sondern dass er grundsätzlich alles, was nur irgendwie ist, ins Dasein gerufen hat.
2) Dass er allein der Schöpfer ist. "Bara" hat im hebräischen stets Gott zum Subjekt. Er allein kann ins Dasein rufen.
3) Alles, was existiert - Himmel und Erde - , hängt von Gott ab, der das Dasein gibt.
Zu diesen drei ersten Aussagen müssen drei Missverständnisse ausgeräumt werden.
1. Das erste und häufigste Missverständnis ist, wie Gott als erste Ursache gesehen wird. Er ist die erste Ursache von allen Ursachen, aber er ist es nicht sozusagen am Anfang einer langen Kette von Ursachen. So als wäre Gott der Billardspieler, der eine Kugel anstößt, und diese Kugel läuft dann und diese stößt eine weitere Kugel an und diese eine dritte, als wäre Gott eine erste Ursache von einer langen Reihe von Ursachen.
Oder ein anderes Bild, das seit der Aufklärung gerne verwendet wurde: das Bild des Uhrmachers. Der Uhrmacher stellt die Uhr her, und wenn sie einmal gemacht ist und läuft, dann läuft sie und läuft sie, bis man sie wieder aufziehen muss, und gelegentlich muss der Uhrmacher sie reparieren, aber die Uhr läuft, wenn sie einmal gemacht ist. Richard Dawkins ist in unseren Augen nicht schon deshalb ein Atheist, weil er für diese unsere Welt keinen solchen Uhrmacher brauchen will.
Steven Weinberg, den ich vorher schon zitiert habe, formuliert die gängige Annahme der naturwissenschaftlichen Methode so: "Das einzig mögliche wissenschaftliche Verfahren besteht in der Annahme, dass eine göttliche Intervention nicht stattfindet, um dann zu sehen, wie weit man mit dieser Annahme kommt" (Der Traum von der Einheit des Universums, München 1993, S. 257. "Dreams of a Final Theory", New York, 1993). Die wissenschaftliche Methode, wie Weinberg und viele andere sie verstehen, ist also ein bewusster Verzicht auf eine "göttliche Intervention". Schauen wir, wie weit wir mit dieser Methode kommen, ohne einen Uhrmacher, einen Billardspieler oder einen "Anpfeifer" am Beginn des Spiels zu brauchen.
Dieser Ausschluss von göttlichem Eingreifen in der naturwissenschaftlichen Methode wird gelegentlich ein "methodischer Atheismus" genannt. Ich sehe das anders: Das hat nichts mit Atheismus zu tun, sondern das ist saubere naturwissenschaftliche Methode. Die naturwissenschaftliche Methode darf nicht einen Uhrmacher annehmen, der da eingreift. In ihrer Methode sucht sie die Mechanismen, die Zusammenhänge, die Bedingungszusammenhänge, die Abläufe und Vorgänge erklären können.
Wir glauben an einen Schöpfer, der nicht eine Ursache neben anderen ist, der gelegentlich interveniert, wenn es nicht mehr weitergeht, oder wo man an eine Grenze stößt. Gott greift nicht ein, wie eine Mutter in den Streit ihrer Kinder eingreift, die sie sonst spielen lässt; aber wenn sie streiten, greift sie ein. Natürlich gibt es wunderbare Eingriffe Gottes. Wir werden darauf noch zurückkommen. Gott ist seiner Schöpfung gegenüber souverän, und er kann ein Krebsgeschwür in seiner schöpferischen Macht souverän heilen - wir nennen das dann ein Wunder. Aber jetzt geht es um die Erschaffung überhaupt. Sie ist nicht der erste Anstoß in einer langen "Kausalkette" von Ursachen, sondern sie ist die souveräne Setzung des Seins überhaupt. "Gott sprach, und es war". Alles, was ist, verdankt sich diesem Ruf, diesem Wort, diesem schöpferischen Akt Gottes. Er hat alles geschaffen, Himmel und Erde, nichts, was besteht, ist unerschaffen. Alles, was ist, auf Erden und im Himmel, das Sichtbare und das Unsichtbare - wir glauben auch, dass es unsichtbare Geschöpfe gibt, die Engel. Alles ist geschaffene Wirklichkeit. Das ist die erste und wichtigste Aussage, noch bevor wir genauer fragen, wie das denn zu verstehen sei.
Bevor ich aber weitergehe, noch eine Zwischenfrage: Ist das eine reine Glaubensaussage oder kann das jeder Mensch mit seiner Vernunft erkennen? Dazu sagt der Katechismus (Nr. 286): "Gewiss kann schon der menschliche Verstand eine Antwort auf die Frage nach den Ursprüngen finden. Das Dasein eines Schöpfergottes lässt sich dank dem Licht der menschlichen Vernunft aus seinen Werken mit Gewissheit erkennen, wenn auch diese Erkenntnis oft durch Irrtum verdunkelt und entstellt wird. Darum bestärkt und erhellt der Glaube die Vernunft, damit sie diese Wahrheit richtig verstehen kann."
Grundsätzlich kann unsere Vernunft erkennen, dass die Dinge geschaffen sind, auch wenn wir das volle Licht über die Schöpfung erst durch die Offenbarung bekommen. Was kann die Vernunft erkennen? Dass die Welt und die ganze Wirklichkeit der Welt nicht aus sich selbst ist. Alles ist abhängig. Nichts hat sich selber gemacht. Ich lasse die viel diskutierte Frage der Selbstorganisation der Materie jetzt einmal beiseite. Zumindest soviel: Die Materie ist nicht "aus sich selbst". Wir haben weder die Welt noch uns selber gemacht. So weit unsere kleinen Möglichkeiten reichen, können wir immer nur Bestehendes verändern. Zum Guten, leider manchmal auch zum Schlechten. Aber wir setzen immer etwas voraus. Zuerst, dass es überhaupt diese Welt gibt und uns in dieser Welt. Es mag uns schmerzen, dass wir so abhängig sind und uns in unserem Stolz kränken, aber der Schöpfungsglaube sagt mir: Es ist keine Demütigung, wenn du anerkennst, dass du abhängig bist. Vom Schöpfer abhängig zu sein, ist keine Demütigung, sondern es gibt uns ungeahnte Möglichkeiten. Die positive Kehrseite dieser Abhängigkeit ist, dass der Schöpfer alles hält, trägt, umgreift, dass wir in seiner Hand geborgen sind.
2. Damit komme ich zur zweiten Aussage über den Schöpfer und sein Schöpfungswirken. Ich sage es vorweg, es klingt überraschend und vielleicht provozierend: Von Seiten Gottes ist die Schöpfung, der Schöpfungsakt, "keine Bewegung". Warum? Alles, was wir in der Welt beobachten an Schaffen, an Wirken, an Tun, ist ein Bewegen und Verändern von schon Vorhandenem. Der Tischler macht aus Holz einen Tisch, er verändert das Holz, er gestaltet es. Er gibt ihm aus vorgegebenem Material eine neue Gestalt. Die Hausfrau oder der Hausmann macht aus einem Haufen von noch undefinierbaren Details ein wunderbares Essen, gestaltet Vorgegebenes zu etwas Neuem. Aber es ist nicht etwas absolut Neues, es ist keine Neu-Schöpfung, sondern es ist eine Gestaltung. Es werden Dinge verändert, sodass sie essbar werden.
Nicht anders ist es beim Künstler, beim Techniker, ja selbst beim geistig Schaffenden. Auch meine besten Ideen sind keine absoluten Neuheiten. Sie setzen immer voraus, dass andere schon gedacht haben und dass ich vorher schon gedacht habe. Es sind Ideen, die aus dem Austausch von Ideen kommen, und wenn mir ein besonderes Licht aufgeht, dann ist es doch immer nur eine Gestaltung von Vorhandenem, Bestehendem. Vielleicht taucht gelegentlich auch wirklich Neues auf. Das ist eine Frage, die wir im Weiteren dieser Katechesen behandeln werden: Wie ist das mit dem Auftauchen von Neuem in der Welt? Besonders wenn neue Arten in der Evolution auftauchen.
Nun aber das entscheidend andere am Schöpfungsakt Gottes: Er ist ohne Bewegung. Er ändert nicht etwas Bestehendes. Er gestaltet nicht etwas Vorgegebenes. In den meisten Schöpfungsmythen der Religionen schaffen die Götter, indem sie Bestehendes umgestalten. Sie sind Demiurgen, Gestalter des Chaos, des Vorhandenen, der Urmaterie, sie sind Weltenbildner, Schöpfer ist nur der Gott, der uns in der Bibel begegnet. Gegen die alten Schöpfungsmythen, genauer gegen die alten Weltentstehungs-Mythen schreiben frühchristliche Autoren, die sich in der heidnischen Welt damit auseinander setzen mussten, dass es viele Schöpfungsmythen gab. So etwa der hl. Theophil von Antiochien um das Jahr 180: "Falls Gott die Welt aus einem schon vorher existierenden Stoff gezogen hätte, was wäre dann dabei außerordentlich? Wenn man einem menschlichen Handwerker das Material gibt, macht er daraus alles, was er will. Die Macht Gottes hingegen zeigt sich gerade darin, dass er vom Nichts ausgeht, um alles zu machen, was er will" (Autol. 2,4). Gott schafft "aus dem Nichts". Das heißt nicht, dass das Nichts etwas ist, aus dem er etwas macht, sondern das heißt, Gottes Schöpfungsakt ist ein souveränes Setzen. Wir können auch sagen: ein reines "Ins-Dasein-Rufen". Gott sprach, und es war! Das ist das Großartige und Einzigartige am biblischen Schöpfungsglauben.
3. Nun muss ich noch eine dritte Schwierigkeit nennen: Der Schöpfungsglaube sagt, dass Gott nicht in der Zeit schafft, irgendwann in einer Zeitlinie. Es ist nicht ein zeitlicher Akt. Ich weiß, das ist schwer zu fassen. Wir kennen alles nur auf der Zeitlinie, gestern, heute, morgen, der Anfang der Katechese, das Ende. Der Schöpfungsakt Gottes ist nicht ein erster Akt in einer langen Zeitreihe, der einmal getan und dann erledigt ist. Gott hat sozusagen seine Aufgabe getan und könnte jetzt die Hände in den Schoß legen.
Nein! "Im Anfang schuf Gott ..." Dieser Anfang ist immer in Gottes Ewigkeit. Für uns Geschöpfe ist es ein zeitlicher Anfang. Einmal hab ich begonnnen, vor 60 Jahren. Für Gott ist es nicht ein zeitlicher Anfang. Einmal hat das Universum begonnen, vor 14 Milliarden Jahren, aber Gottes Schöpfungsakt ist nicht in der Zeit, sondern Er schafft die Zeit. Er ist ewig. Und seine Schöpfung ist nicht punktuell, da einmal, dort einmal, sondern Er ruft ins Dasein und Er hält im Dasein. Schöpfung geschieht jetzt, im Jetzt Gottes.
Im Hebräerbrief heißt es: "Er hält alles durch sein mächtiges Wort" (Heb 1,3). Deshalb müssen wir sagen: Würde Gott auch nur einen einzigen Augenblick uns, die Schöpfung, loslassen, dann würden wir sofort zurückversinken in das, von wo wir herkommen, ins Nichts, aus dem er uns gerufen hat. Gestehen wir, das ist durchaus nicht leicht zu fassen. Es setzt nur voraus, dass wir versuchen, unsere zeitlichen und räumlichen Vorstellungen zu überschreiten. Dann treten wir in ein wunderbar kohärentes Weltbild ein.
Zum Schluss muss ich noch zwei ganz wichtige Punkte wenigstens andeuten, sozusagen als Ergänzung oder als Hintergrund:
1) Gott schafft absolut frei - nichts zwingt ihn dazu, nichts nötigt ihn. Er handelt nicht aus Notwendigkeit, so wie wir. Wir brauchen immer etwas, zum Essen, zum Schlafen, weil uns etwas fehlt oder weil wir etwas beziehungsweise uns selber verwirklichen wollen. Gott braucht sich nicht zu verwirklichen. Die Schöpfung ist nicht eine Ergänzung für ihn. Sie ist nicht ein Stück von ihm, wir sind nicht ein Teil von ihm, sondern wir sind frei von ihm gesetzt, geschaffen. Das heißt: von ihm gewollt.
2) Das hat ganz gewaltige Folgen für unser Welt- und Selbstverständnis. Weil Gott aus souveräner Freiheit geschaffen hat, deshalb hat er seinen Geschöpfen echte Selbständigkeit gegeben. Die Geschöpfe sind sie selber, sie haben wirklich ihr Dasein, ihr Wirken, ihre geschenkte Autonomie. Bis hin zur Freiheit des Menschen, dem überhaupt größten Wunder in der Schöpfung, dass Gott Freiheit geschaffen hat. Bevor wir die Konsequenzen ansehen, noch eine Abgrenzung gegen drei andere Lösungsversuche, die alle miteinander verwandt sind:
Die "emanatistische" Lösung heißt: Die Welt ist ein "Ausfluss" Gottes, sozusagen "ein Stück von ihm", von geringerem Wert, sozusagen ein "Abfall", eine mindere Form von Gott. Die "pantheistische" Lösung sieht alles in Gott und als Gott. Gott ist in allem, aber so, dass alles Gott ist, auch der Baum und das Tier. Die "monistische" Lösung sagt, es gäbe nur eine Substanz, ein Wesen, und das ist Gott; und alles andere ist entweder gar nicht oder Gott.
Alle drei "Lösungen", die auch heute viel in der esoterischen Literatur vertreten werden, haben einen Grundfehler: Sie machen, dass Gott nicht mehr Gott ist und die Geschöpfe nicht mehr selbständig sind, sondern nur ein "Teil Gottes". Diese drei Lösungen sehen fromm aus, und daher täuschen sie immer wieder Menschen. Sie scheinen das Geschöpf zu erheben, es auf göttlichen Rang zu erheben. In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Und das müssen wir uns genauer ansehen:
Ich sagte: Weil Gott die Welt und alle Geschöpfe aus souveräner Freiheit, ohne irgendeinen Zwang oder Drang geschaffen hat, das heißt ihnen Sein und Wirken geschenkt hat, deshalb gibt es die echte Selbständigkeit der Schöpfung. Wären die Geschöpfe ein "Ausfluss" von Gottes Wesen, dann wären sie nicht selbständig, dann hätten sie kein Eigen-Sein, keine Eigenwirklichkeit. Gerade weil wir aus völlig freien Stücken von Gott geschaffen wurden, können wir wirklich "wir selber sein".
In der nächsten Katechese werde ich darlegen, welche weitreichenden Konsequenzen das hat: Im "Evolutionismus" (ich erinnere nochmals daran: Ich unterscheide die wissenschaftliche Theorie der Evolution von der weltanschaulichen Ausweitung des Evolutionismus) tut man sich schwer, das Eigen-Sein der Geschöpfe anzunehmen. Alles ist im Strom der Evolution verschwommen, nichts scheint Halt zu haben, Selbststand, eigene Wirklichkeit. Alles ist nur Momentaufnahme im Fluss der Zeit.
Anders der Schöpfungsglaube: Er sieht in allen Geschöpfen ihr Eigen-Sein, ihre eigene Gestalt, ihr Wirken und - beim Menschen - ihre Freiheit. Doch darüber das nächste Mal mehr!
Nun eine ganz wichtige, wesentliche Schlussfolgerung: Weil Gott aus völliger Freiheit schafft, sind seine Geschöpfe eigenständig. Sie haben einen eigenen Stand und Bestand. Sie sind ja von Gott gewollt. Der hl. Thomas sagt das so: Gott gibt den Dingen nicht nur das Sein, sondern auch das eigene Wirken. Im höchsten Grad ist das im Menschen verwirklicht: Wir sind Geschöpfe, die nicht nur das Dasein erhalten haben, sondern auch Geist, Willen, Freiheit.
Ich sehe keine andere Lehre, die so einleuchtend und überzeugend die Abhängigkeit aller Geschöpfe von ihrem Schöpfer mit der Eigenständigkeit der Geschöpfe verbindet. Der Grund ist einfach: Weil Gott aus souveräner Freiheit schafft, gibt er seinen Geschöpfen souveräne Freiheit, sie selber zu sein. Weil Er keinen anderen Grund hat zu schaffen als seine Güte, gibt er seinen Geschöpfen Anteil an seiner Güte: "Und Gott sah, dass es gut war."
Ich hoffe, es ist mir ein wenig gelungen zu zeigen, dass der christliche Glaube an den Schöpfer etwas ganz anderes ist als die "deistische" Idee eines Uhrmachers, der nur am Anfang etwas in Gang setzt, wie von außen anstoßend. Geschaffen sein heißt: das Sein und das Dasein empfangen haben. Es heißt: vom Geber allen Seins, aller Bewegung, allen Lebens getragen sein. Es heißt: aus seiner Güte alles empfangen haben und von ihr umgeben und gehalten zu bleiben.
Der Glaube an den Schöpfer nimmt den Geschöpfen nichts, wie manche befürchten. Er gibt mit der Abhängigkeit auch die Freiheit, so paradox das klingen mag. Denn von Gott abhängig zu sein, ist keine Entwürdigung, keine Entmündigung. Denn Gott ist kein Willkürherrscher, sein Schöpfungswirken kein Tyrannenspiel. Von Ihm alles empfangen zu haben, ist die Würde des Geschöpfes. Der Glaube an den Schöpfer ist daher die beste Garantie für den Schutz der Würde seiner Geschöpfe. Wenn alles nur Produkt von Zufall und Notwendigkeit ist, ist nicht einzusehen, wie den Geschöpfen eine besondere Achtung und Würde zukommen soll. Aber gibt es überhaupt die eigene Würde der Geschöpfe, "jedes nach seiner Art"?
Über diese Frage wird es in der nächsten Katechese gehen:
"Jedes nach seiner Art" - gibt es "die Arten" - und sind sie vom Schöpfer gewollt?
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