Freitag 29. März 2024
Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht
Joh. 15, 5
Katechesen von Kardinal Christoph Schönborn

„Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst?“ Der Mensch – die „Krone der Schöpfung“?

Sechste Katechese von Kardinal Christoph Schönborn aus der Katechesenreihe 2005/2006 "Schöpfung und Evolution" - Großrußbach,  am 21. Februar 2008. English Version.

 

„Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nichtgläubigen, dass alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hinzuordnen ist". Das sagte das II. Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes" (Nr. 12).

Ist diese Position vierzig Jahre später noch zu halten? Ist wirklich alles auf dieser Erde auf den Menschen ausgerichtet und auszurichten? Sollte das die Auffassung der Gläubigen sein? (Sie ist es tatsächlich!) Wird sie auch von den „Nichtgläubigen" geteilt? Einmütigkeit darüber, dass der Mensch „die Krone der Schöpfung" sei, die das Konzil hier vermutet, scheint es ganz und gar nicht zu geben. Denn das hieße ja auch, dass die Evolution, die zum Menschen geführt hat, ein Ziel hat, und somit ein zielgerichteter Vorgang wäre, also einem Plan, einer Absicht, einem „design" entspräche, dass die Entstehung des Menschen einem zielgerichteten, also planmäßigen, und nicht einem bloß zufälligen Prozess entspräche. Wir sind wieder mitten in der aktuellen Debatte!

Der Mensch – Krone der Schöpfung: das klingt für viele heute wie eine hochmütige Selbstüberschätzung des Menschen. Häufig ist zu lesen und zu hören: Hat der Glaube den Menschen hoch hinausgehoben und über alle anderen Lebewesen erhöht, so habe die Wissenschaft ihn wieder von seinem hohen Podest herunter gestoßen.

Es ist schon fast ein Schema geworden, von „den drei großen Kränkungen der Menschheit" durch die Wissenschaft zu sprechen. Der bekannte Verhaltensforscher Antal Festetics schreibt über diese:

 

„Die erste Kränkung kam aus Krakau von Kopernikus (die Erde ist nicht Zentrum des Weltalls), die zweite aus London von Darwin (wir stammen aus dem Tierreich) und die dritte Kränkung kam aus Wien von Sigmund Freud (mit der Analyse unserer Psyche). Am schlimmsten traf uns Darwins ‚Gotteslästerung' mit der Primatenverwandtschaft, die wir als peinlich und empörend empfunden haben, denn gerade Affen sehen uns doch so ähnlich, und sie äffen uns auch noch nach" (Die Presse, 30.1. 2006, Seite 30).

 

Um die „Kränkung" des Menschen durch den wissenschaftlichen Fortschritt zu verstärken, sei noch ein Beispiel angeführt: Vor wenigen Monaten ist es gelungen, die Genomsequenz der Schimpansen zu entschlüsseln. Sie ist zu über 98% identisch mit der des Menschen, so wird uns gesagt. „Die Krone der Schöpfung" wackelt. Sie hat starke Konkurrenz. Ist es nicht besser mit der englischen Evolutionsbiologin Olivia Judson zu sagen:

 

"Some people want to think of humans as the product of humans as the product of a special creation, separate from other living things. I am not among them; I am glad it is not so. I am proud to be part of the riot of nature, to know that the same forces that produced me also produced bees, giant ferns and microbes that live at the bottom of the sea" (Herald Tribune, 3.1. 2006).

 

„Manche Menschen möchten denken, dass wir Menschen ein Produkt einer speziellen Schöpfung sind, losgelöst von den anderen Lebewesen. Ich denke nicht so, ich bin froh, dass es nicht so ist. Ich bin stolz, ein Teil von diesem Tumult der Natur zu sein, zu wissen, dass dieselben Kräfte, die mich hervorgebracht haben, auch die Bienen, die Riesenfarne und die Mikroben hervorgebracht haben." (Herald Tribune, 3.1.2006)

Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

 

Dreifach also ist der Mensch als Krone der Schöpfung in Frage gestellt:

Die Erde ist aus der Mitte gerückt, irgendwo an den Rand einer Galaxis von über hundert Milliarden Sternen, diese wiederum am Rand von über hundert Milliarden Galaxien des Universums.

 

Der Mensch ist aus dem Tierreich hervorgegangen. Das wäre an sich für den Glauben kein Problem und auch nicht für die Vernunft, wie wir noch sehen werden. Anstößig ist daran, dass er gewissermaßen nahtlos aus der Natur hervorgegangen sein soll. Dass es also zwischen Tier und Mensch keine wesensmäßige Diskontinuität, keinen metaphysischen Unterschied geben soll. Der Mensch als geistbegabtes Wesen wird in der großen Welt des Lebendigen als etwas nicht radikal Neues gesehen.

 

Schließlich die dritte Kränkung: Die Seele des Menschen wird von ihrer geistigen Höhe heruntergestoßen und als Maske von unbewussten Trieben entlarvt. Nicht der Geist, sondern die Libido bestimmt ihn. Durch diese drei großen „Entthronungen" soll die Krone der Schöpfung gewissermaßen in den Staub rollen. Bleibt sie im Staub liegen, dann hat die Wissenschaft den Menschen endgültig entthront. Ist er König oder Knecht? Was ist der Mensch? Der Psalm 8 betet:

 

„Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, / Mond und Sterne, die du befestigt:

Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, / des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?" (Ps 8,4-5).

 

Ist der Mensch Teil der Natur oder Krone der Schöpfung? Oder ist er beides? Ist er der Abstammung nach aus dem Tierreich oder einzigartige Schöpfung Gottes oder ist er beides? Von der modernen Wissenschaft wurde er an den Rand des Universums gedrängt zum winzigen Punkt auf einem winzigen Planeten. Oder ist er doch das innerste Ziel des ganzen gigantischen Werdeprozesses unserer Welt? Oder ist er beides? Ist er gedemütigt, weil er seiner Verlorenheit im Universum gewahr geworden ist, oder erhöht, weil der Punkt im Universum, der er ist, der winzige Punkt ist, an dem das Universum seiner selbst bewusst wird und über sich nachdenken kann? Oder ist der Mensch beides?

 

Nun fährt der Psalmist in seinem Lobgebet fort:

„Du hast den Menschen nur wenig geringer gemacht als Gott,

hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.

Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, /

hast ihm alles zu Füßen gelegt: All die Schafe, Ziegen und Rinder /

und auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, /

alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht.

Herr, unser Herrscher, /

wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde! (Ps 8,6-10)

 

Die Welt ist um des Menschen willen geschaffen

Was die Bibel über den Menschen sagt, hat die christliche und vorher schon die jüdische Tradition reichlich ausgestaltet. Ich nenne einige Zeugnisse aus der christlichen Tradition. So heißt es im frühchristlichen „Brief an Diognet" (frühes 2. Jahrhunderts): „Gott hat die Menschen geliebt. Ihretwegen schuf er den Kosmos, ihnen ordnete er alles unter, was auf der Erde ist, ihnen gab er Redefähigkeit und Einsicht, ihnen allein gestattete er, empor zum Himmel zu blicken; sie gestaltete er nach seinem Ebenbild, zu ihnen sandte er seinen Sohn, ihnen versprach er das Himmelreich und er wird es denen geben, die ihn lieben" (10, 1-2; Übers. B. Lorenz, Einsiedeln 1982, S. 27f).

 

Es ist eine ganz „anthropozentrische" Sicht der Welt und eine ganz „theozentrische" Sicht des Menschen. Der Mensch ist Mittel- und Höhepunkt der Schöpfung. Alles ist für ihn, um seinetwillen geschaffen. Dafür spricht seine beobachtbare, körperlich-geistige Überlegenheit (Sprache, Vernunft, aufrechte Haltung) wie auch seine besondere Begnadung durch Gott (als Sein Ebenbild, als Ziel der Menschwerdung Gottes, als zum ewigen Glück Berufener).

 

Diese Überzeugung teilt das Christentum mit dem Judentum. Im Talmud steht das schöne Gleichnis, die Welt sei von Gott geschaffen wie ein Hochzeitsgemach, das ein Vater für seinen Sohn vorbereitet. Als er alles fertig bereitet hatte, führte er seinen Sohn in das Hochzeitsgemach ein (Sanhedrin, 108a, zit. bei Billerbeck III, 248).

So schön dies Bild ist, hält diese Glorifizierung des Menschen stand? An der Schwelle zur Neuzeit hat ein junges Genie, Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), ganz im Sinne der christlich zu verstehenden Renaissance, die überragende Würde und Größe des Menschen besungen. Er lässt Gott zum Menschen sprechen und ihn an seine Einzigartigkeit erinnern:

 

„Oh Adam, wir haben dir weder einen bestimmten Wohnsitz, noch ein bestimmtes Gesicht, noch irgendeine besondere Gabe verliehen, damit du jeden Wohnsitz, jedes Aussehen, jede Gabe, wie du sie dir wünschest, nach deinem eigenen Belieben dir selber verschaffen mögest. Die übrigen Wesen sind nach dem von uns vorgeschriebenen Gesetzen ihrer Natur nach bestimmt; sie werden dadurch in ihren Grenzen gehalten. Du hingegen bist durch keinerlei Schranke begrenzt, vielmehr sollst du nach deinem eigenen freien Willen, in dessen Hand ich dein Geschick gelegt habe, deine eigene Natur festlegen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gesetzt, damit du von hier aus bequem um dich schauest, was es alles in der Welt gibt. Wir haben dich weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen, weder als einen Sterblichen, noch als einen Unsterblichen geschaffen, damit du, Herr, deiner selbst, mit der Ehre und der Pflicht begabt seiest, dein eigenes Wesen zu modellieren, in dem zu leben du vorziehst. Es steht dir ebenso frei, in untermenschliche Formen zu entarten, es steht dir ebenso frei, durch eigenen Entschluss in höheren göttlichen Formen wiedergeboren zu werden" (G. Pico della Mirandola, Die Würde des Menschen, Pantheon Verlag, Fribourg-Frankfurt-Wien, o.J. S. 52; zitiert in meinem Buch „Existenz im Übergang", Einsiedeln 1987, S. 36).

 

Hier wird schon einiges vorweggenommen, was in der modernen Anthropologie besonders herausgearbeitet wird: Die Offenheit und Unbestimmbarkeit des Menschen ist seine Schwäche und seine Stärke zugleich; vor allem aber zeichnet ihn die Selbstbestimmung aus, das wunderbare und einzigartige Gut der Freiheit. Sie birgt das Risiko des Missbrauchs und der Möglichkeit,  „zu höheren göttlichen Formen wiedergeboren zu werden". Mit der ganzen christlichen Tradition sieht der junge Pico das einzigartige Ziel des Menschen in der Vergöttlichung, im Gott-Ähnlich-Werden. Sie hebt den Menschen aus allen Geschöpfen in die Einmaligkeit empor.

 

Seit der Entdeckung, dass die Erde nicht mehr der Mittelpunkt ist, dass die Sonne sich nicht um sie dreht, sondern umgekehrt, seit der „kopernikanischen Wende" war auch der Glaube an die zentrale Stellung des Menschen tief erschüttert worden. Je weiter die Dimensionen des Alls sich dem forschenden Eindringen des Menschen öffneten, desto unglaubwürdiger wurde der christliche Glaube an eine privilegierte Stellung der Erde als Ort des Menschen, als jene Mitte, die Gott erwählt hat, um ihr seinen Sohn als Retter zu senden. Wieso sollte dieser kleine Planet eine besondere Rolle spielen? Wieso dem Menschen auf diesem Planeten eine besondere Stellung einräumen?

 

Der berühmte Prozess gegen Galileo Galilei im Jahre 1633 kam zu dem Schluss, dass das heliozentrische Weltbild nicht mit der Bibel vereinbar sei. Wir wissen, es ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Kirche. Dieser Prozess, den manche Legenden umhüllt und umkleidet haben, ist bis heute für viele geradezu das Symbol der Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche, als wolle das Lehramt, das Dogma der Kirche die Wissenschaft beherrschen und ihr vorschreiben, was sie entdecken darf und was nicht. Die Sonderstellung der Erde und des Menschen auf ihr, die der Glaube zu fordern scheint, scheint die Wissenschaft nicht halten zu können.

 

Wer ist der Mensch? „Ein Zigeuner am Rande Weltalls"? So hat der Nobelpreisträger für Physik Jacques Monod in seinem berühmten Buch „Zufall oder Notwendigkeit?" den Menschen genannt. Fast um dieselbe Zeit, als Monod sein Buch schrieb, hat das II. Vaticanum noch einmal mit aller Feierlichkeit die hohe Stellung des Menschen behauptet. Wenn es in der „Konzilskonstitution über die Kirche in der Welt von heute" heißt: „Der Mensch sei die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur" (II. Vat., GS 24,3; KKK 356). Eine privilegierte Stellung des Menschen?

 

Wer ist der Mensch? Ist der Mensch ein Jemand oder ein Etwas? Ist er mit unveräußerlicher Würde ausgestattet, nicht weil sie jemand ihm zugestanden hätte, sie ihm verliehen hätte, sondern weil er sie als Mensch immer schon besitzt, weil er Mensch ist? Oder ist der Mensch ein Etwas, das sich nur als Teil eines größeren Ganzen empfinden darf? Alle großen Fragen bezüglich der Menschenwürde, der Menschenrechte kreisen letztlich um diese Frage. Von ihrer Beantwortung hängt ab, wie mit der Menschenwürde und den Menschenrechten umzugehen ist. Eines sei vorweg gesagt: die Antwort auf diese entscheidende Frage kann nicht in einem Gegeneinander von Glauben und Wissen, von Religion und Wissenschaft gefunden werden, sondern nur in einem gemeinsamen Bemühen des Denkens, des Forschens und auch des Glaubens.

 

Der Mensch – ein Teil der Natur

Durch die ganze Geschichte des Denkens gibt es immer wieder „Pendelschläge". Der eine Pendelschlag will den Menschen ganz zurücknehmen in die Natur, ihm jegliche Sonderstellung streitig machen. Der andere Pendelschlag hebt den Menschen so sehr heraus und isoliert ihn vom Rest der Natur, dass er gewissermaßen die „Bodenhaftung" verliert, dass er in ein striktes Gegenüber zur untermenschlichen Natur gerät. Ich glaube, in der Neuzeit sind die Pendelausschläge besonders extrem. Da ist Descartes und sein Einfluss auf das moderne Denken, der den Menschen einseitig aus dem ganzen Rest der Natur heraushebt als, wie er sagt „denkende Sache", als „res cogitans" und alles andere nur mehr als „res extensa", als quantitave Welt mechanisch versteht. Auf der anderen Seite stehen die Versuche, den Menschen untergehen zu lassen im Ganzen der Natur.

 

Gehen wir diesen Pendelausschlägen nach, um die christliche Sicht deutlicher zu machen, die beide Aspekte in ausgewogener Weise zusammenbringt: einerseits die Einbindung des Menschen in das Ganze der Natur durch den Gedanken, dass wir alle Geschöpfe sind, andererseits die Einmaligkeit des Menschen mit dem Gedanken, dass er nach dem Bild Gottes geschaffen ist.

 

Ist also, zuerst gefragt, der Mensch ein Teil der Natur? Natürlich! Aber in welchem Sinne? Es ist interessant, in die Frühgeschichte dieser Diskussion hineinzuschauen, die nicht erst heute geführt wird. Als das Judentum und das Christentum in der antiken Welt auftraten, haben damalige heidnische Philosophen energisch dagegen Stellung genommen und gesagt: Die Idee, Gott habe die Welt um des Menschen willen geschaffen, sei absurd. So sagt etwa der antichristliche Philosoph Kelsos im 2. Jahrhundert: „Die Welt sei genauso gut um der Tiere willen wie um der Menschen willen entstanden" (vgl. Origenes, Gegen Kelsos IV, 74). Er meint, der Mensch sei zu Unrecht stolz auf eine Sonderposition. „Wir Menschen ernähren uns mit viel Mühe und mit menschlichem Leid, während die Tiere alle ohne Säen und Ackern sich ernähren" (ebd., IV, 76).

 

Fast ist man an die Worte Jesu erinnert, der sagt: „Die Vögel des Himmels säen nicht und ernten nicht, und trotzdem ernährt sie der himmlische Vater" (Mt 6,26) und „die Lilien des Feldes seien prächtiger als Salomo in all seiner Pracht" (Mt 6,28). Hat Jesus da nicht selber den Menschen ein wenig von seiner Selbstüberschätzung heruntergeholt? Hat Jesus nicht immer wieder darauf hingewiesen, wie wunderbar Gott sich um alle Geschöpfe kümmert, „selbst um die Spatzen"? Ganz ähnlich übrigens der heidnische Philosoph Kelsos, wenn er fragt: „Wächst die Nahrung nur für den Menschen und nicht vielmehr für alle Lebewesen?" (ebd. IV, 75). Dass wir Herren der Schöpfung seien, nur weil uns die Tiere untertan sind, das widerlegt er mit dem durchaus eindrucksvollen Argument, nicht nur die Menschen fressen die Tiere, sondern auch die Tiere die Menschen. Unsere Angst vor der Vogelgrippe erinnert uns daran, dass wir durchaus in die Natur eingebunden sind. Dass wir großartige Städte planen und bauen, sei kein Grund, uns zu überheben, sagt Kelsos, „denn die Bienen und Ameisen schaffen ebenso wunderbare Staaten und Gebäude". Schließlich: „Nicht um des Menschen willen ist alles geschaffen, genauso wenig wie für den Löwen, den Adler, den Delphin", denn, so das Kernargument, es geht um das Ganze. Gott habe das Ganze geschaffen, und Gott sorge sich um das Ganze. Jedes in diesem Ganzen habe sein Geschick, seinen Platz, der Mensch nicht mehr als der Affe und die Ratte, so Kelsos (vgl. IV,99).

Was dieser antike Philosoph der jüdisch-christlichen Sicht entgegenhält, ist höchst aktuell: Der Mensch ist Teil des Ganzen, das ist das Kernargument von der Antike bis heute. Eingetaucht in den Strom des Lebens ist der Mensch nicht anders als die anderen Geschöpfe, kein Geist, keine Kraft, keine besondere Berufung heben ihn heraus. Er soll sich damit begnügen, „demütig" soll er seinen Anspruch, „etwas Besseres" zu sein, endlich aufgeben.

 

Diese Sicht, die den Menschen im Ganzen aufgehen lässt, hat auch etwas Faszinierendes, und sie fand und findet immer neue, oft begeisterte und fanatische Zustimmung. Manche totalitäre Ideologien des 20. Jahrhunderts, die nur das Ganze des Staates, der Partei, der Rasse, der Klasse gelten lassen und den Einzelnen bloß als Glied des Ganzen, als Teil, aber nicht als Subjekt ansehen, haben dementsprechend die Menschenwürde und die Menschenrechte dem Ganzen untergeordnet. Der ideologische Evolutionismus, den ich immer deutlich von der wissenschaftlichen Theorie der Evolution unterscheide, ist durchaus mit der Sicht des Kelsos verwandt, mit dem einen Unterschied, dass damals „das Ganze" statisch gesehen wurde, und jetzt dynamisch. Alles ist ein einziger großer Prozess, der Strom der Evolution. So schreibt der Mikrobiologe Reinhard W. Kaplan am Schluss seines Buches „Der Ursprung des Lebens", indem er einige weltanschauliche Konsequenzen zieht:

 

„So sehen wir heute Lebendigkeit nicht mehr als etwas Unbegreifbares an, sondern als eine verstehbare Stufe der Selbstentwicklung des Stofflichen und damit eingebettet in die gigantische Evolution des Kosmos insgesamt" (Stuttgart 1972, 252).

Ich glaube nicht, dass diese Aussage falsch ist, ich denke aber, dass sie einseitig ist, zumindest was den Menschen betrifft, und dass eine wesentliche Seite des menschlichen Phänomens hier nicht zur Sprache kommt. Es stimmt: alles auf Erden, das Materielle, das Lebendige und selbst der Mensch, ist „eingebettet" in diesen gigantischen Vorgang des Werdens des Kosmos insgesamt. Ob wir diesen Werdevorgang zu Recht Evolution nennen, ist eine andere Diskussion. Aber sicher ist: Wir verdanken unsere leibliche Existenz dem Werden der Welt, von den Elementen angefangen, die im Prozess des Werdens des Alls entstanden sind, bis zu den Bedingungen, die auf unserem „sanften Planeten" das Leben möglich gemacht haben.

 

Eingetaucht in den Strom des Werdens

Dieses „Eingetauchtsein" in den Strom des Werdens ist durchaus vereinbar mit der biblischen Sicht des Menschen. Es gehört zu den wunderbaren Seiten unserer irdischen Existenz, dass wir als Menschen mit allen Geschöpfen wirklich verwandt sind. Wir teilen mit ihnen dieselben Gesetze der Materie, dieselben Bausteine des Lebens. Wir haben keinen anderen Lebensraum als alle anderen Lebewesen. Wir sind gemeinsam in der „Arche Noah" dieses Planeten.

 

Wie tief wir in unserer leiblichen Existenz in die Geschichte des Universums hineinverwoben sind, zeigt Arnold Benz, Professor für Astrophysik an der ETH Zürich, sehr anschaulich. Die Materie, die Elemente, die unseren Körper bilden, sind in den gewaltigen Kernfusionen in den Sternen entstanden:

 

„Der Kohlenstoff und der Sauerstoff in unseren Körpern stammen aus der Heliumbrennzone eines alten Sterns. Zwei Siliziumkerne verschmolzen kurz vor und während einer Supernova zum Eisen im Hämoglobin unseres Blutes. Das Kalzium unserer Zähne bildete sich während einer Supernova aus Sauerstoff und Silizium. Fluor, mit dem wir täglich die Zähne putzen, wurde in einer seltenen Neutrino-Wechselwirkung mit Neon produziert, und das Jod in unseren Schilddrüsen entstand durch Neutroneneinfang im Kollaps vor einer Supernova. Wir sind direkt mit der Sternentwicklung verbunden und selbst ein Teil der kosmischen Geschichte (Arnold Benz, Die Zukunft des Universums. Zufall, Chaos, Gott?, München 2001, S. 35).

Der Astrophysiker der Universität Mailand, Marco Bersanelli, fügt hinzu: „Wir sind im wörtlichen Sinne ‚Kinder der Sterne'" (aus einem Vortragsmanuskript 2004).

 

Dies zu erkennen, ist keine Demütigung. Es ist keine Schande, Teil des Universums zu sein. Die Alten bezeichneten den Menschen gerne als Mikrokosmos. In ihm ist die Gesamtheit des Kosmos präsent, und er in ihr. Es ist etwas Faszinierendes, die Entsprechungen zu erforschen, die den Menschen mit dem Kleinsten und dem Größten verbinden, mit der unendlich kleinen Welt der Atome und der unermesslich weiten Welt der Galaxien.

 

Insofern ist es auch keine Demütigung, wenn es sich zeigt, dass das Auftreten des Menschen auf unserer Erde eine lange Geschichte hat. Der lange Weg der „Hominisation" ist Gegenstand intensiver Forschung, Die Rekonstruktion eines genauen Stammbaumes wurde freilich umso unsicherer, je größer das Wissen wurde. Ist es ein gemeinsamer Stamm? Gibt es mehrere „Ursprünge"? Vor allem aber: Ab wann kann man vom Menschen sprechen? Kann es zwischen Tier und Mensch einen gleitenden Übergang geben? Wenn sich der Mensch, der „homo sapiens", aus „Hominiden", menschenartigen Spezien entwickelt hat, wie wurden aus Hominiden Menschen?

Die Anthropologen nennen anatomische und kulturelle Merkmale, an denen die Sonderstellung des Menschen erkennbar wird (vgl. R. Koltermann, Grundzüge der modernen Naturphilosophie. Ein kritischer Gesamtentwurf. Frankfurt 1994, 212-265): die Gehirngröße, der aufrechte Gang, der Gebrauch des Feuers, die Bildung von Traditionen, die Herstellung und der Gebrauch von Werkzeugen und schließlich die Sprache. Wie ist das alles entstanden? Was hat den Menschen zum Menschen gemacht? Liegt es an den Genen? Aber wenn der Schimpanse einen fast gleichen genetischen Code wie der Mensch hat – worin liegt der Unterschied?

 

Der kleine Unterschied

Doch: Muss man denn einen Unterschied machen? Viele wollen dies heute einfach nicht einsehen, nicht annehmen. Sie weisen, wie schon der antike Philosoph Kelsos, auf die so frappierenden Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier hin, die bisweilen ja auch die Tiere als uns überlegen erscheinen lassen.

 

Eine kleine Anekdote soll beleuchten, warum der Unterschied – bei aller Verwandtschaft – nicht zu leugnen ist, ja warum er bei ehrlichem Hinsehen jedem völlig klar einleuchtet.

 

Ein Kollege und Mitbruder im Dominikanerorden „erfreute" uns in den täglichen Tischgesprächen mit seinem Projekt, ein philosophisches Werk zu schreiben, in dem er den Nachweis führen wollte, dass der Mensch sich nicht vom Tier unterscheidet. Nachdem er uns immer wieder davon erzählte, wurde es eines Tages einem Mitbruder zu bunt, und er fragte ihn: „Pater X, ist dieses Buch autobiografisch?"

 

Unser Lachen – und sein betretenes Schweigen waren die klare Antwort. Es gibt einen Unterschied, einen Wesensunterschied zwischen Tier und Mensch. Wir wissen nicht, wann dieser Unterschied in der Entwicklung hin zum Menschen aufgetreten ist. Wir wissen mit klarer Evidenz der Vernunft, dass es ihn gibt. Worin besteht er? Im Bewusstsein? Auch Tiere haben eine Art Sebstwahrnehmung. Im Beziehung-Haben? Auch Tiere kennen eine Art von Beziehung, untereinander und in oft bewegender Weise auch zu den Menschen. Im Person-Sein? Gewiss, aber was macht Person aus? Mir gefällt besonders gut der Zugang, den der deutsche Philosoph Hans-Eduard Hengstenberg entwickelt hat: nach ihm ist das Specificum des Menschen „die Fähigkeit zur Sachlichkeit", d.h. die Möglichkeit, über unmittelbare vitale Interessen und Bedürfnisse hinauszugehen und sich selber und Andere als sie selber und Anderes als es selber wahrzunehmen. Ich empfinde nicht nur, ich kann auch meine Empfindungen betrachten, sie „sachlich" angehen, sie „bearbeiten". Ich bin nicht „eingetaucht" in meine Welt, ich kann sie mir ansehen, sie verändern, sie vergleichen, ihr kritisch gegenübertreten. Ich kann über sie und über mich selber nachdenken. Das aber kann nicht aus dem Lebensstoff, der belebten Materie stammen. Sie kann sich nicht sozusagen „selber betrachten" und ihr selber gegenübertreten.

 

Es stimmt sicher: Schimpansen und Menschen haben weitgehend ein gleiches Genom. Aber kein Schimpanse wird sich jemals für sein Genom interessieren, geschweige denn es entziffern können. Seine Welt endet bei der Banane, bei der Fortpflanzung, bei seiner Umwelt und seinen Bedürfnissen. Der Mensch kann sein Genom erforschen, und das des Schimpansen dazu. Er kann sich für seine Verwandtschaft mit dem Schimpansen interessieren und sie studieren. Er hat sogar die Freiheit, seinen Unterschied zum Schimpansen zu leugnen. Aber das kann er nur, weil er mit Geist begabt ist. Nur ein Mensch kann auf die Idee kommen, Bücher zu schreiben, die sein Anderssein zum Tier abstreiten. Auch dazu braucht es den Geist, die Vernunft und den Willen.

 

Der (ideologische) Evolutionismus basiert auf dieser Freiheit. Er kann – dank der Geistigkeit des Menschen – Theorien entwickeln, die eben diesen Geist auf Materie zurückführen wollen. So tut es die evolutionäre Erkenntnistheorie, die die menschliche Erkenntnisfähigkeit nur aus evolutiven Anpassungs- und Überlebensvorteilen herleiten will. So tut es die evolutionäre Ethik, die ethisches Verhalten nur aus evolutiver Nützlichkeit erklären will. Dass alle diese Versuche nicht gelingen können, ist oft genug gezeigt worden. Geist lässt sich nicht aus der Materie herleiten, auch wenn unsere geistigen Funktionen materielle Rahmenbedingungen brauchen. Das Denken bedarf des Gehirns, aber das Gehirn produziert nicht das Denken, so wie das Klavier nicht Mozarts Klavierkonzerte produziert. Ohne Klavier können sie nicht ertönen, aber das Klavier ist nur das notwendige Instrument, es ist nicht der Komponist und nicht das Klavierkonzert.

 

Hier ist die Wasserscheide zwischen einer materialistischen und einer dem Geist Raum gebenden Sicht. Es ist nicht primär eine Scheidelinie zwischen Glauben und Wissenschaft, sondern zwischen einer unvernünftigen und einer vernünftigen Sicht. Der Materialismus ist denkerisch nicht zu halten, er ist in sich widersprüchlich. Man kann methodisch-wissenschaftlich die Frage des Geistes und der Vernunft ausblenden und nur nach materiellen Ursachen und Zusammenhängen suchen. Aber diese methodologische Einschränkung ist eine geistige Entscheidung. Sie ist nur möglich bei freien Subjekten, nur Menschen können mit ihrer Vernunft den Geist methodisch ausklammern, sie können das aber nicht ohne Vernunft tun. Nur Vernunft kann Vernunft leugnen – und zeigt sich damit als unvernünftig!

 

Die Wahl zwischen Vernunft und Unvernunft

Das klingt etwas kompliziert, ist aber im Grunde völlig klar und einsichtig. Ich möchte diese – im Übrigen ganz klassische – Widerlegung des Materialismus an einem schönen Beispiel verdeutlichen, das der jüdische Philosoph Hans Jonas erwähnt hat. Als er seine große „Ethik der Verantwortung" schrieb, wurde ihm klar, dass es keinen Sinn hat, von Ethik und Verantwortung zu sprechen, wenn es den Geist, die Seele, die Vernunft und den freien Willen nicht gibt. Gene übernehmen keine Verantwortung. Sie werden ja auch nicht vor Gericht gestellt, wenn sie Krebszellen produzieren. Auch Tiere werden nicht zur Verantwortung gezogen. Nur Menschen tragen Verantwortung, weil sie für ihre Taten (im Normalfall) zur Rechenschaft gezogen werden. Jeder Wirtschaftsbetrieb ist die glatte Widerlegung des Materialismus. Denn in der Wirtschaft muss ich Verantwortung tragen, anders als die Ameisen und die Bienen, die arbeiten, aber für Fehler keine Verantwortung tragen müssen. Sie können keine Fehler machen, weil ihr Verhalten instinktgeleitet ist. Nur freie Wesen können Fehler machen. Der Alltag widerlegt eine materialistische Auffassung vom Menschen. Dennoch fallen auch sehr gescheite Menschen in den Irrtum materialistischer Deutungen des Menschen. Hier nun das Beispiel, das Hans Jonas erzählt, um damit den Materialismus zu widerlegen:

„Etwa um das Jahr 1845 bildete sich in Berlin eine Gruppe gleichgesinnter junger Physiologen, Schüler des berühmten Johannes Müller, die die Physiologie in eine ‚exakte' Wissenschaft umgestalten wollten und sich zu wöchentlichen Zusammenkünften im Hause des Physikers Gustav Magnus einfanden. Zwei von ihnen, Ernst Brücke und Emil du Bois-Reymond, ‚verschworen' sich förmlich, ‚die Wahrheit geltend zu machen, dass im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind als die gemein physikalisch-chemischen'. Bald trat dem Bunde als dritter der junge Helmholtz bei, den sie 1845 bei Magnus kennen lernten. Alle drei, jeder zu hohem Ruhm aufsteigend, blieben dem Ziel ihrer Jugend treu – mit glanzvollem wissenschaftlichem Erfolg. Was ihnen entging, war die Tatsache, dass sie mit dem Eingehen eines Versprechens diesem bereits zuwider handelten...In der Tatsache des Gelöbnisses trauten sie einem ganz und gar Nichtphysischen, ihrem Verhältnis zur Wahrheit, eben die Macht über das Benehmen ihrer Gehirne zu, die sie im Inhalt des Gelöbnisses generell verneinten...Etwas versprechen, mit dem Glauben an die Fähigkeit, es zu halten, und an die gleicherweise eingeschlossene Alternative, es auch brechen zu können: das räumt eine Kraft in der Summe der Wirklichkeit ein, die verschieden ist von den in der Wechselwirkung inorganischer Körper wirksamen, ‚der Materie inhärenten' Kräften‚" (Macht und Ohnmacht der Subjektivität, Frankfurt 1981, 13 f.)

Was folgt daraus? Die drei Gelehrten hatten Recht, für ihre wissenschaftliche Forschung nur „physikalisch-chemische Kräfte" zuzulassen. Sie irrten aber, wenn sie annahmen, damit sei alles über den Menschen gesagt. Ihr „Versprechen" zeigt, dass es die Dimension des Geistes, der Seele, der Vernunft, der Freiheit gibt, die nicht selber wieder Produkt der materiellen Bedingungen des Wirkens des Geistes sein kann.

 

Wenn aber der Geist des Menschen nicht aus seinen materiellen Bedingungen stammen kann, woher kommt er dann? Die Vernunft gebietet uns, im Menschen ein geistiges Prinzip anzunehmen, das die philosophischen Traditionen meist „Seele" nennen. Die Seele erst macht den Menschen zum Menschen. Sie kann nicht naturwissenschaftlich „bewiesen" werden, doch ohne sie, ohne geistiges Prinzip, das die Materie überragt, gäbe es keine Wissenschaft, die ja ein „geistiges Geschäft" ist.

 

Die Seele ist unsterblich. Zu dieser Einsicht kamen die Philosophen seit Sokrates. Manche nahmen freilich auch an, dass sie deshalb ewig sein müsse. Dem gegenüber lehrt die Kirche, dass „die Seelen unmittelbar von Gott geschaffen werden" (Pius XII, Humani Genesis, 1950, DS 3896). Diese Aussage steht in der berühmten Stelle der Enzyklika „Humani Generis" von 1950, in der Papst Pius XII. sagt, dass die Auffassung, der menschliche Leib habe seinen Ursprung in schon existierender und lebender Materie, nicht mit dem Glauben in Widerspruch stehe. Nicht Produkt der Evolution kann dagegen die menschliche Geistseele sein. Sie wird auch nicht von den Eltern „hervorgebracht" (vgl. KKK 366). Sie ist unmittelbar von Gott erschaffen. Dies ist feste und klare Glaubenslehre der Kirche. Diese Lehre ist nur die konkrete Anwendung der biblischen Lehre von der besonderen Erschaffung des Menschen, als einzigem Lebewesen, „nach Gottes Bild und Ähnlichkeit" (vgl. Gen 1,26). Der Mensch ist zwar nach dem zweiten Schöpfungsbericht von der Erde genommen, aus ihr von Gott geformt, aber zum lebendigen Wesen, zum Menschen wurde er erst durch den „Lebensatem", den Gott ihm einhauchte (Gen 2,7).

 

Er ist mit allen Lebewesen durch seine irdische Herkunft verbunden, aber erst durch seine von Gott „eingehauchte" Seele ist er Mensch. Das verleiht ihm seine unverwechselbare Würde, aber auch seine einmalige Verantwortung, die ihn über alle anderen Lebewesen erhebt und zugleich zu deren Hirten bestellt.

 

„Die Fliege wurde von dir erschaffen"

Ist der Mensch „die Krone der Schöpfung"? Sind die „drei Kränkungen" noch aufrecht?

  • Es stimmt, unsere Erde ist ein Staubkörnchen im Universum. Aber immer deutlicher kommt ans Licht, wie unfassbar privilegiert dieser Planet ist, wie sehr das Leben auf diesem Planeten, unserer Heimat, ein Fall unglaublicher Unwahrscheinlichkeit ist. Die Erde ist nicht die Mitte, aber wir leben auf einem höchst bewundernswerten „privileged Planet" (so der Titel des Buches von G. Gonzales und J.W. Richards, Washington 2001). Was wir nie vergessen dürfen: Wir sind – so sieht es aus – die einzigen Wesen auf diesem Planeten, die davon wissen können und mehr und mehr Staunenswertes wissen.
  • Es stimmt, wir sind ein Teil der Natur, eingefügt in den großen Werdeprozess der Welt. Doch wissen wir davon, und können unseren Platz in diesem Werden erforschen, reflektieren und Konsequenzen daraus ziehen – verantwortliche oder schädliche – in einzigartiger Freiheit;
  • Es stimmt, wir sind auch instinktgeleitet, von Trieben bestimmt – und doch können wir uns auch darüber forschend im Klaren werden. Zudem sind wir verpflichtet, uns über unsere Triebe zu erheben und mit ihnen verantwortlich hauszuhalten.
  • Kurzum: Bei näherem Zusehen wurde die „Krone" der Schöpfung nicht entthront. Das ungeheuer angewachsene Wissen sollte uns nur demütiger, dankbarer und verantwortungsbewusster machen.

 

Ich schließe diese Katechese mit zwei rabbinischen Worten. Die jüdische Weisheit ist oft so anschaulich – und immer hat sie eine humorvolle Note und der Humor rückt uns zurecht, wenn wir uns zu wichtig nehmen.

 

Das erste: „Warum wurde der Mensch erst am sechsten Tag erschaffen? Um ihm antworten zu können, falls er sich als zu hochmütig zeigt: Du hast keinen Grund, hochmütig zu sein, die Fliege ist vor dir erschaffen worden" (Tosefta Sanhedrin VII, 4-5; zit. Nach E. Urbach, The Sages, Jerusalem 1975, 218).

 

Das zweite: „Der Mensch wiegt das ganze Werk der Schöpfung auf" (Avot von R. Nathan, zit. nach E. Urbach, op cit. 214)

 

Aus beiden folgt ein drittes rabbinisches Wort, das Pater Georg Sporschill, der großartige Freund der Strassenkinder, gerne zitiert: „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt."

Fotos
20 Jahre Erzbischof von Wien
Bildeindrücke aus dem Stephansdom und dem...
Nach dem Weltjugendtag in Rio nützt Kardinal...
Erzb. Sekretariat
Wollzeile 2
1010 Wien

E-Mail schreiben
Datenschutzerklärung
Darstellung: Standard - Mobil