Gelobt sei Jesus Christus!
"Niemand hat Gott je geschaut" Das waren die letzten Worte des großen Prologs des Johannesevangeliums, den wir eben als das Festtagsevangelium am Christtag gehört haben. Niemand hat Gott je geschaut. Man kann es nicht deutlicher sagen. Deshalb kann man ja auch so leicht daraus schließen: Also gibt es ihn gar nicht! Denn wenn man ihn nicht sehen kann, wenn ihn niemand gesehen hat, ist er vielleicht eine Illusion, eine Projektion. Heuer waren es 50 Jahre, dass der erste Mensch im Weltall war. Es war eine Sensation damals am 12. April 1961, als Juri Gagarin als Held der Sowjetunion zum ersten Mal im Weltall um die Erde kreiste. Als er zurückkam, sagte er, er habe im Weltall Gott nicht gefunden, Gott nicht gesehen. Zweifellos! Gott ist unsichtbar. Aber Gagarin hat das damals als offizielle Bestätigung des Atheismus des Sowjetkommunismus gesehen. Man sieht ihn nicht, also gibt es keinen Gott. Gewiss kann man sagen: ein primitives Argument! So primitiv wie das Argument des berühmten Arztes in Berlin im 19. Jahrhundert, Rudolf Virchow (1821-1902), der gesagt haben soll, er habe beim Operieren nie eine Seele gesehen. Also gibt es keine Seele! Nein, weil etwas unsichtbar ist, heißt es noch nicht, dass es das nicht gibt.
"Niemand hat Gott je geschaut" (Joh 1,18). Das sagt Johannes am Schluss dieses großen Prologs. Es ist das Festtagsevangelium heute und auch am Oktavtag von Weihnachten werden wir es wieder hören. Ein andermal sagt derselbe Johannes in einem Brief: "Wir werden Gott schauen, wie er ist" (1Joh 3,2). Aber das ist nicht in dieser Welt möglich, nicht in diesem Leben. Woraus manche schließen, dass es eben doch eine Täuschung, eine Vertröstung ist, einmal, irgendwann. Einmal wirst du sehen, dass es doch Gott gibt! Aber wird das wirklich so sein? Wer weiß, was nach dem Tod ist? Wenn Gott unsichtbar ist, wie sollen wir ihn je sehen, auch nach dem Tod? Johannes gibt darauf eine Antwort: Doch einer, ein einziger, hat Gott gesehen. Er, so heißt es am Schluss des Prologs: "… er hat Kunde gebracht" (Joh 1,18). Er allein kann wirklich von Gott reden, weil er Gott kennt, Jesus, den wir den Christus nennen, den Sohn Gottes. Jesus hat nicht nur eine Ahnung von Gott, wie die meisten Menschen sie haben. Er hat nicht nur geglaubt, dass es Gott gibt, wie die Mehrheit der Menschen seit eh und je glauben. Selbst der Österreicher in seiner etwas vagen Religiosität sagt: "Irgendetwas gibt es schon!"
Nein, Jesus weiß von Gott. Er kennt Gott. Er hat unmittelbare Kenntnis und deshalb kann er uns Kenntnis geben. Johannes nennt auch den Grund dafür: Er, der einzig bezeugte, der einzig geborene, Er, der Sohn, hat Kunde gebracht, weil er am Herzen des Vaters ruht. Er kennt Gott nicht nur vom Hörensagen, nicht nur irgendwie, er hat nicht nur eine Ahnung, sondern er stammt aus dem Herzen. Er kommt aus Gottes Innersten. Jesus kann uns von Gott Kunde bringen, weil Gott ihm kein Fremder ist, kein Unbekannter und Unsichtbarer.
Aber wie ist das zu verstehen? Johannes hat dafür einen berühmt gewordenen Ausdruck gefunden, der am Anfang des Prologs steht: Das Wort, der Logos. Jesus ist der Logos, das Wort Gottes. Und dieses Wort ist bei Gott und es ist Gott. So wie das Wort im Herzen des Menschen ist, in mir ist, ehe ich es ausspreche. So ist der Logos, so ist Christus bei Gott immer schon. Er ist das Wort, das Wort im Herzen hat, noch ehe es uns bekannt geworden ist, ist es in Gott, ist es Gott selber. Deshalb sagt Johannes: "Durch dieses Wort hat er alles geschaffen" (Joh 1,3), deshalb ist es auch möglich, dieses Wort im Geschaffenen zu hören. Die Schöpfung spricht zu uns von dem Wort Gottes. Sie hält gewissermaßen für jeden von uns ein Wort bereit, das wir hören können.
Die Schöpfung ist Gottes erste Sprache. Wer die Schöpfung mit wachem Herzen betrachtet, der kann dieses Wort vernehmen. Aber diese erste Sprache Gottes ist auch zwiespältig, man kann sie missdeuten, man kann sie überhören, man kann sie einfach auch nicht beachten. Deshalb ist Gott einen Schritt weiter gegangen, einen unglaublichen Schritt: Dieses Wort ist Fleisch geworden, dieses Wort ist Mensch geworden. Es ist zum Niederknien. Deshalb werden wir heute auch im Glaubensbekenntnis bei dieser Stelle niederknien: "et verbum caro factum est", Gott ist Mensch geworden, er hat Fleisch angenommen. Deshalb können wir Gott schauen, nicht wie er in sich ist, aber so wie er zu uns gekommen ist. Deshalb hat Jesus gesagt: "Wer mich sieht, sieht den Vater (Joh 14,9).
So können wir in diesem kleinen Kind, Jesus, Gott schauen. Gott schauen, nicht wie er in seinem ewigen unendlichen Wesen ist, sondern so wie er sich uns gezeigt hat. So wie er sich uns geschenkt hat. Deshalb können wir zu Gott beten, zu Gott kommen, zu Gott flehen, wenn wir zu diesem Kind kommen. Eben haben wir in so bewegenden Tönen das "suscipe"-"Nimm an unser Gebet", das Haydn in dieser Messe in bedrängter Kriegszeit, in tempore belli, in dreimaliger Steigerung ganz dramatisch uns ans Herz gelegt hat: Suscipe, suscipe, suscipe deprecationem nostram" - Nimm unser Gebet an! In dieser Zeit, die sicher nicht einfacher wird, die uns vielleicht manche schwere Bürde bereitet, in diese Zeit wollen wir hineingehen im Vertrauen, das Haydn so wunderbar in dem ‚suscipe‘ des Gloria zum Ausdruck gebracht hat, Nimm an unser Gebet! Möge dann unser Glaube sich ausdrücken in diesem wunderbaren Schluss des Gloria, das wir eben gehört haben: "Tu solus Sanctus, tu solus Dominus, tu solus Altissimus". Das sagen wir zu diesem kleinen Kind, dem großen Gott, der Mensch geworden ist. Du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste! Ihm vertrauen wir auch die kommende Zeit an. Amen.