„Fenster öffnen und Luft reinlassen“
Wenn zwei Menschen miteinander im Streit liegen und keinen Ausweg sehen, bietet Mediation oft einen Schlüssel zur Lösung. Jacob Nwabor, Pfarrer und erfahrener Mediator, erläutert, wie diese Methode funktioniert und warum einfach Zuhören oft schon Wunder bewirken kann.
IRIS DORN
Movi: Was ist Mediation eigentlich?
Jacob Nwabor: Ich mag den Spruch „Überall, wo es Menschen gibt, menschelt’s“. Es ist wahr, aber es muss nicht so sein! Mediation erkennt an: Ja, es gibt Missverständnisse und verschiedene Meinungen, aber um weiterzukommen, müssen wir harmonisch miteinander arbeiten. Mediation schaut auf zwei Menschen, die streiten, und fragt: Was ist los zwischen euch? Man nimmt die Emotionen wahr, versucht aber, die Dinge auf einer Sachebene anzuschauen und überlegt gemeinsam, wie man weitergehen kann.
Wie läuft so ein Mediationsprozess ab?
Es beginnt damit, dass zwei Menschen, die zueinander im Konflikt stehen, zu mir kommen. Manchmal tun sie das freiwillig, oft werden sie aber von ihrem Arbeitgeber geschickt. Der sagt dann: Ihr beide sollt zur Mediation gehen, damit bei uns in der Firma, im Geschäft, in der Pfarre wieder Ruhe einkehrt. Wenn sie dann da sind, begrüße ich die Konfliktpartner, erkläre ihnen Mediation und die Gesprächsregeln. Eine Regel ist zum Beispiel, dass man nicht unterbrechen darf, wenn einer redet. Erst, wenn beide geredet haben, schauen wir uns das Ganze an und die Konfliktpartner suchen eine Lösung. Am Ende werden gemeinsam Lösungsschritte aufgestellt, das ist wie ein Vertrag, den auch beide Konfliktparteien unterschreiben.
Wie lange dauert eine Mediation? Wann ist sie beendet?
Die erste Einheit dauert bis zu zwei Stunden, meistens hat man drei bis fünf Einheiten. Wenn ein Konflikt besonders tief liegt und der vereinbarte Vertrag eingehalten wird, kann der Mediator bis zu einem Jahr lang begleiten. Zu lange sollte eine Mediation aber nicht hinausgezogen werden.
Was ist dabei Ihre Rolle als Mediator?
Als Mediator bin ich neutral und stehe den Konfliktparteien begleitend zur Seite. Wenn sie nicht weiterkommen und keine Lösung finden, kann ich Impulse geben. Aber im Grunde geht es darum, die Menschen sprechen zu lassen und zuzuhören. Das ist oft schon eine erste Hilfe. Es wirkt Wunder, wenn man einfach nur fragt: „Sie fühlen sich so verletzt. Was brauchen Sie jetzt?“ Wenn Menschen das aussprechen dürfen, ist das schon der Beginn der Heilung.
Einfach zuhören – das hilft wirklich?
Stellen Sie sich ein Auto vor, das in der Hitze steht. Es wird immer heißer, immer unerträglicher. Was tut man? Man öffnet die Fenster und lässt Luft rein. Diese Wirkung hat Mediation. Als nicht involvierte Person hat der Mediator oder die Mediatorin eine andere Perspektive. Wenn ein Mediator da ist – also jemand der zuhört, ohne zu unterbrechen, ohne zu verurteilen – sprechen die Menschen ihre Probleme oft das erste Mal aus. Einfach zuzuhören ist wie Fenster öffnen in einem Auto: Es bringt frische Luft rein. Und wenn die Menschen dann anfangen zu erzählen, kommen sie oft selbst zur Einsicht, dass es unlogisch ist, was sie im Streit gesagt haben. Als Mediator schenke ich Zeit – und Zeit heilt bekanntlich Wunden.
Sie begleiten als Mediator auch Pfarren und Gemeinden im Konfliktfall. Was sind typische Konflikte im Pfarrumfeld?
Meistens geht es um die zwei Gruppen, die in einer Pfarre arbeiten – die Hauptamtlichen und die Ehrenamtlichen. Es kann sein, dass jemand eine Tätigkeit schon seit 30 Jahren ehrenamtlich macht und nicht will, dass sich jemand anderes einmischt. Und dann kommt ein neuer Hauptamtlicher in die Pfarre, der neue Ideen hat und das anders machen will. In solchen Situationen kommt es oft zum Streit. Zu Konflikten kann es aber auch zwischen zwei Ehrenamtlichen kommen.
Sie sind jetzt seit zehn Jahren Mediator. Welche Mediation war für Sie bis heute am einprägsamsten?
Das war ein Konflikt in einer Pfarre, bei dem ein Hauptamtlicher häufig abwesend war und wichtige Aufgaben vernachlässigt wurden. Der Pfarrgemeinderat hat damit gedroht, sich zurückzuziehen. Wir wissen alle: Ohne Ehrenamtliche kann keine Pfarre funktionieren. Also wurden eine zweite Mediatorin und ich dorthin geschickt. Wir haben die Lage überprüft und schlussendlich empfohlen, dass der Hauptamtliche versetzt werden sollte, damit Ruhe einkehrt.
Warum ist Ihnen genau dieser Fall in Erinnerung geblieben?
Das ist ein ganz typischer Pfarrkonflikt, der aber zeigt, wie komplex solche Situationen sind. Der Konflikt ist ja nicht beendet, sobald die eine Person weg war. Wir haben die Pfarre noch lange nachher begleitet. Die Freunde und Freundinnen der fraglichen Person hatten das Gefühl, sie hätten ‚verloren‘ und wollten weiterkämpfen. Die Pfarre war in zwei Lager eingeteilt, es gab viele Spannungen. Es war wichtig, die Menschen dort in diesem Prozess zu begleiten, damit eine Lösung für die Zukunft gefunden werden konnte.
Info:
Das ist eine gekürzte Version des Artikels „Fenster öffnen und Luft reinlassen“, der in der Ausgabe 1/2025 „Vom Streiten und Versöhnen“ des Movi – Die Zeitschrift der Jungen Kirche Wien in seiner Langversion erschienen ist.