Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 11. Mai 2025
Ich schreibe die Gedanken zum heutigen Evangelium in Rom. Es ist eine eigenartige Situation. Wenn Sie diese Nummer der „Krone bunt“ in der Hand halten, wird wohl schon feststehen, wer der neue Papst ist. Wir alle wissen es zur Zeit noch nicht, auch nicht die Kardinäle, die am 7. Mai das Konklave beginnen, um vermutlich in mehreren Wahlgängen den neuen Papst zu wählen, den 267. Nachfolger des Apostels Petrus. Das Medieninteresse an diesem Ereignis ist erstaunlich. Was fasziniert so sehr an der Wahl des Papstes, dass etwa 4.000 Journalisten sich akkreditiert haben? „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ – soll Stalin seinerzeit gefragt haben. Wie viel Geld hat der Vatikan? Darüber wird gerne spekuliert. Ich kenne mich ein wenig in dessen Finanzlage aus. Sie ist wirklich nicht rosig. Nein, der Papst ist nicht einer der Mächtigen dieser Welt. Und doch sind viele von ihnen zum Begräbnis von Papst Franziskus eigens angereist. Ein Foto mit dem Papst ist immer noch etwas höchst Begehrtes, selbst für gekrönte Häupter. Ihm zu begegnen, und wäre es nur ganz kurz, ist für viele ein unvergesslicher Moment. Was ist das Geheimnis dieses Mannes im weißen Gewand? Im heutigen Evangelium finde ich den Schlüssel, um es ein wenig zu lüften.
Jesus hat sich und seine Aufgabe gerne mit dem Bild des Hirten beschrieben: „Meine Schafe hören auf meine Stimme: Ich kenne sie und sie folgen mir.“ Er hat deutlich unterschieden zwischen guten Hirten und bezahlten Knechten, denen die Schafe nicht gehören. „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.“ Dem bezahlten Knecht liegt nichts an den Schafen. Wenn Gefahr droht, lässt er die Schafe im Stich und flieht. Das Bild des guten Hirten, der das verlorene Schaf sucht und auf seinen Schultern heimträgt, war in der Antike ein beliebter Ausdruck für einen guten Herrscher oder einfach für einen liebevoll sorgenden Menschen. Die frühen Christen haben dieses Motiv gerne für Jesus verwendet.
Simon Petrus hat von Jesus einen einzigartigen Auftrag erhalten. Die Worte Jesu stehen im Petersdom in großen Lettern um die Kuppel geschrieben: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Für mich ist die zweitausendjährige Geschichte der Nachfolger des Petrus eine immer neue, erstaunliche Bestätigung dieser Zusage Jesu. Die vielen Päpste waren bei weitem nicht immer felsenfeste Persönlichkeiten, angefangen mit Petrus selber. Doch in einem Punkt waren sie immer felsenfest: Im Glauben, den Petrus als erster bekannt hat: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Die Päpste waren oft große Persönlichkeiten, beeindruckende Menschen und Christen. Sie waren nicht immer Heilige. Sie hatten menschliche Schwächen, moralische Mängel, sie machten politische und wirtschaftliche Fehler. Sie waren Menschen und daher Sünder. Erstaunlich ist, dass keiner gegen den Glauben verstoßen hat, dass Jesus, der Christus, der Sohn Gottes ist.
Warum ist das so wichtig, ja entscheidend? Weil der Papst nicht der Herrscher über 1,4 Milliarden katholischer Christen ist. Er ist der von Jesus, dem guten Hirten, beauftragte Stellvertreter. Nicht er baut die Kirche auf. Sie ist nicht sein Eigentum, seine Sache. Sie ist die Kirche Jesu. Christus baut sie auf, er trägt sie durch die Zeit. Ist das der Schlüssel zur geheimnisvollen Anziehung des Mannes im weißen Gewand? Der Papst steht nicht für sich da, er verweist auf den, der ihm, seit Petrus, den Auftrag gibt: „Weide meine Schafe!“ Wer auch immer aus dem Konklave als Papst herauskommt, das wird sein Dienst sein.
Johannes 10,27-30
In jener Zeit sprach Jesus: Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.