Gedanken zum Evangelium am Sonntag, den 26. Oktober 2025
Heute ist unser Staatsfeiertag. Vor 70 Jahren hat der Staatsvertrag unserem Land Freiheit und Neutralität abgesichert. Seither hat Österreich eine Zeit des Friedens und des Wohlstands erlebt, wie es sie wohl noch nie in unserer Geschichte gab. Es ist gut, nicht nur heute dafür zu danken. Nie sollen wir vergessen, dass es gar nicht selbstverständlich ist, in Freiheit und Frieden leben zu dürfen. Deshalb lohnt es sich zu fragen, nicht was Österreich für mich, sondern was ich für Österreich tun kann. In den Reden zum Nationalfeiertag wird viel über die Werte gesprochen, die unsere Gesellschaft braucht, um zusammenzuhalten und gut in die Zukunft zu gehen. Die Aussichten sind ja nicht nur rosig.
Im September 2001 hat Hans Dichand, der legendäre Gründer und Gestalter dieser Zeitung, mich gefragt, ob ich bereit wäre, jeden Sonntag über das jeweilige Evangelium zu schreiben. Seither komme ich dieser Bitte nach. Sein Anliegen war sehr einfach: Das Evangelium Jesu ist eine unvergleichliche Orientierungshilfe. Ich glaube das auch und deshalb denke ich so gerne über das Evangelium nach, nicht um andere zu belehren, sondern um mich selber zu orientieren. Ich stelle immer wieder fest, dass Jesus mir für mein Leben anschaulich und praktisch Hilfe gibt, wenn ich mich auf sein Evangelium einlasse. Deshalb schreibe ich oft darüber, wie es mir persönlich mit seinen Worten geht, die manchmal recht streng, meist sehr tröstlich und immer ganz treffend sind.
Betrifft mich das heutige Evangelium überhaupt? Jesus erzählt das Gleichnis von den beiden Betern im Tempel, „einigen, die von ihrer Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten“. Gehöre ich zu diesen „Einigen“? Spontan sage ich mir: So bin ich nicht! Trotzdem muss ich immer wieder feststellen, dass ich sehr wohl zu den Adressaten der Worte Jesu gehöre. Wie schnell kommen mir Urteile über andere Menschen! Ohne sie zu kennen, habe ich abschätzige Gedanken: „Gott ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin…“ Wem sind noch nie solche Gedanken gekommen? Meist merken wir es gar nicht bewusst, wie selbstverständlich uns abfällige Gedanken und Worte über andere kommen. Gegenfrage: Erwartet Jesus von mir, dass ich über „Räuber, Betrüger, Ehebrecher“ gut denke? Müssen wir die Übel nicht beim Namen nennen? Darin liegt das Herausfordernde an der Art, wie Jesus uns orientiert: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, sagt er klar und deutlich. Das Gebet des Pharisäers im Tempel trieft vor Selbstgefälligkeit: So wie diese Leute bin ich nicht! Ich bin fromm und zahle mehr als ich müsste für den Tempel, faste mehr als vorgeschrieben ist. Jesus sagt, was er von einer solchen Haltung denkt: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt“. Diese Art von Frömmigkeit wirkt abstoßend. Eigentlich betet der Pharisäer gar nicht. Er lobt sich selber. Er sieht bloß sich selber. Für die anderen hat er nur Verachtung. Ich bin versucht zu sagen: So schlimm wie bei ihm ist es bei mir nicht! Damit gebe ich aber zu, dass manches von seinem Verhalten auch in mir steckt. Genau darauf will Jesus mich hinweisen.
Der Zöllner bleibt hinten stehen und traut sich nicht aufzuschauen. Er schlägt nicht an die Brust der anderen, sondern an die eigene. Er rühmt sich nicht selber, denn er weiß, dass er nicht viel Rühmenswertes vorzuweisen hat. Jesus Schlussfolgerung ist provokant: „Dieser ging gerechtfertigt nach Hause, der andere nicht.“ Nicht nur für uns persönlich lohnt es sich, heute das Gleichnis Jesu zu betrachten. Wir tun für Österreich etwas Gutes, wenn wir es befolgen.
Lk 18, 9–14
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Gleichnis: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.