Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 20. Sonntag im Jahreskreis 14. August 2005,
(Mt 15,21-28)
„Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.“ Dieses Wort fasst Jesu ganze Lehre zusammen. Wenn wir fragen, welche Haltung Jesus am besten kennzeichnet, so werden zu Recht viele, die sein Evangelium kennen, ohne zu zögern sagen: Seine Barmherzigkeit. Genau diese Haltung empfiehlt er seinen Jüngern. Unbarmherzigkeit wird daher oft mit gutem Grund als Zeichen dafür verstanden, dass das Evangelium nicht ins Leben umgesetzt wird.
Heute sieht es im Evangelium genau umgekehrt aus. Die Jünger Jesu erscheinen als die menschlicheren, Jesus selber als erschreckend hart und unbarmherzig. Vergegenwärtigen wir uns die Szene. Jesus zieht sich mit seinen Jüngern ins Küstengebiet von Tyrus und Sidon zurück, das heißt in das heidnische Gebiet am Mittelmeer. Was will er dort? Ein wenig Rast suchen, nach den immer schwierigeren Missionsversuchen in seiner galiläischen Heimat?
Wie dem auch sei, er bleibt nicht unerkannt. Sein Name ist in aller Mund, auch außerhalb seiner jüdischen Glaubensgemeinschaft. Es eilt ihm der Ruf voraus, er heile Kranke und befreie von Dämonen. Da kommt eine Mutter, laut um Hilfe schreiend, nicht für sich, sondern für ihre gequälte Tochter. Jesus rührt sich nicht, würdigt sie keiner Antwort. Sie scheit weiter, die Leute kommen schauen, es entsteht ein Wirbel. Den Jüngern wird es in dieser fremden Umgebung unheimlich. Das Geschrei der Frau ist ihnen peinlich: „Befrei sie von ihrer Sorge!“ So bitten sie Jesus. Das klingt sehr barmherzig. Doch was bewegt die Jünger wirklich? Dass „sie hinter uns herschreit“. Sie wollen Ruhe haben. Jesus soll ihr geben, was sie will, und die Frau endlich schnell wegschicken!
Diese Barmherzigkeit ist nicht nach Jesu Art. Wie leicht verfallen wir in diese Fehlform der Güte! Damit ein Kind endlich Ruhe gibt, werden die Zuckerl oder das Ei gekauft, wird der Fernseher aufgedreht oder die Playstation gekauft.
Jesus geht einen andern Weg. Er zieht Grenzen. Er wagt es, nein zusagen. Das klingt hart und ist es auch - auf´s Erste gesehen. Jesus erklärt, er sei zuerst für sein eigenes Volk da, nicht für die Fremden. Die Frau gibt sich mit dieser Abgrenzung nicht zufrieden. Sie wirft sich ihm zu Füßen und fleht um Hilfe. Spätestens da müsste sich Jesus erweichen lassen. Im Gegenteil. Er sagt ein Wort, das schockiert. Das Brot ist für die Kinder da, nicht die Hunde. Er nennt die Heiden Hunde. Unerträglich hart? Jesus spricht eine unbequeme aber wahre Regel aus: Jeder Vater gibt zuerst den eigenen Kindern zu essen.
Die Frau könnte ihn empört einen Rassisten nennen. Ihre Reaktion ist ganz anders: Ja, du hast Recht, Herr! Ich habe kein Anrecht auf deine Hilfe. Keiner hat ein Recht auf Gottes Hilfe. Sie ist immer ein Geschenk. Wunderbar ist, wie sie Jesu scheinbar hartes „Hunde-Wort“ umwendet: Immer fallen doch auch Brösel vom Tisch. Die sind für die Hunde!
Jetzt ist es an Jesus, zu staunen: So einen Glauben, so ein Vertrauen habe ich in meiner Heimat nicht gefunden. Und er heilt ihre Tochter durch sein bloßes Wort. Wer war hier barmherzig?
Die Jünger wollten die „billige Barmherzigkeit“, die letztlich nur eine Form des Egoismus ist. Jesu Barmherzigkeit ist anspruchsvoll. Sie erfordert einen geduldigen, ja manchmal harten Weg. Aber nur so wird sie echt und befreiend.
In jener Zeit zog Jesus sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr keine Antwort.
Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her.
Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!
Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.
Da entgegnete sie: Ja, du hast Recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheil