Christus der Weltenherrscher (Koptische Ikone, Wien)
Christus der Weltenherrscher (Koptische Ikone, Wien)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 6. Juli 2014 (Mt 11,25-30)
Von einem vierzehnjährigen Mädchen hörte ich vor kurzem die Bemerkung: "Dieser Jesus, der nimmt sich schon ganz schön wichtig!" Die kritische junge Dame hat sehr nüchtern beobachtet: Jesus sagt von sich selber Sachen, die reichlich anmaßend klingen. Überschätzt er sich? Stellt er nicht maßlose Ansprüche? Macht er sich nicht letztlich selber zum Mittelpunkt von allem?
Ich bin dieser Vierzehnjährigen dankbar, dass sie sich traut, solche Fragen zu stellen. Sie sind nicht nur nicht verboten, sie sind dringend notwendig. Wenn einer Gott seinen Vater nennt, und noch dazu behauptet, dass Gott ihm "alles übergeben" hat, dann muss sich eigentlich jeder vernünftige Mensch die Frage stellen, ob Jesus nicht größenwahnsinnig ist. Hat nicht Jesus anderswo gesagt: "Mir ist alle Macht gegeben, im Himmel und auf Erden?" Alle Macht? Ist das nicht eine gefährliche Allmachtsphantasie, wie man sie bei Geistesgestörten findet?
Was kann ich diesem sehr selbständig und kritisch nachdenkenden Mädchen sagen? Eines wird sie sicher nicht überzeugen: der Versuch, diese Worte Jesu abzuschwächen, etwa in der Art: Jesus hat das nicht wörtlich gemeint. Oder: In Wirklichkeit war Jesus gar nicht so anspruchsvoll. Erst seine Anhänger haben ihn so dargestellt, aus ihm den mächtigen Gottessohn gemacht. Das alles sei nur das Machtstreben der Kirche von Anfang an. Sie mache Jesus so mächtig, um ihre eigene Macht zu festigen. Alle solche Versuche, Jesus "abzuschwächen", scheitern an der einfachen historischen Tatsache, dass Jesus genau deswegen zum Tode verurteilt wurde. Das war der große Vorwurf gegen ihn: Du machst dich selbst zu Gott! Deshalb starb er am Kreuz.
Das heutige Evangelium gehört zu den Stellen, in denen am deutlichsten zum Ausdruck kommt, wie Jesus sich selber sah. Er hat uns in dem kurzen Gebet, mit dem die Stelle beginnt, tief in sein Herz blicken lassen. Und da ist offensichtlich keinerlei Anmaßung oder Hochmut zu spüren. Es ist kein Moment bekannt, wo Jesus sich über Gott erhoben hätte. Immer ist Jesus ganz auf Gott ausgerichtet. Er nennt ihn vertrauensvoll "Vater", in seiner aramäischen Muttersprache "Abba", was unserem "Papa" entspricht. Es ist die Art, wie ein Kind zu seinem Vater spricht. Es ist die Haltung eines Sohnes, der mit seinem Vater völlig harmoniert und dem der Vater völlig vertraut.
Deshalb kann Jesus sagen: "Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden." Zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Müttern und Töchtern ist das Verhältnis ja oft nicht so vertrauensvoll. Wie oft haben Väter Vorbehalte, trauen ihren Söhnen nicht zu, dass auf sie Verlass ist! Wie oft tun sich Väter schwer, alles ihren Söhnen zu übergeben! Zwischen Jesus und Gott, den er Vater nennt, besteht so ein inniges Vertrauen, dass jeder sich ganz und gar auf den anderen verlassen kann.
Und deshalb kann Jesus auch sagen: "Kommt alle zu mir", mit allen euren Mühen, Plagen und Sorgen. Es ist keine Anmaßung, wenn er sagt: "Lernt von mir!" Denn Jesus ist wirklich nicht hochmütig und eingebildet. Bei ihm können wir ein tiefes, ja kindliches Gottvertrauen lernen, das dem Herzen Frieden schenkt.
Das wäre mein Versuch, dem sympathischen Mädchen eine Antwort auf seine kritische Frage zu geben. Ich bin gespannt, ob ich sie überzeugen konnte.
In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.