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17.10.2008
Sehr geehrte Damen und Herren!
Geschätztes Auditorium!

Es ehrt und freut mich, heute an Ihrer Fakultät zu einem Vortrag eingeladen zu sein. Als ehemaliger Universitätsprofessor ist es mir eine vertraute Umgebung, eine Gastvorlesung zu halten, auch wenn es erst das dritte Mal ist, dass ich an einer islamischen Fakultät spreche, nach Vorträgen in Teheran und in Djakarta.
Das Thema, das ich gewählt habe, greift mitten in eine der brennendsten Fragen der heutigen Weltpolitik hinein: Es geht um die Frage, wie Religion und Politik, Religionsgemeinschaften und staatliche Gemeinschaften sich zueinander verhalten. Ich werde darüber nicht in abstrakten Begriffen sprechen, sondern die Sicht der Katholischen Kirche darlegen, aber auch das nicht in einem ungeschichtlich - überzeitlichen Sinne, sondern in der Perspektive der neueren Lehrentwicklung der Katholischen Kirche, wie sie vor allem durch das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) repräsentiert wird, das für die Gegenwart die Lehrposition der Katholischen Kirche verbindlich dargelegt hat.
Denn die Frage des Verhältnisses von Religion und Politik, von Kirche und Staat, begleitet das Christentum von seinen Anfängen an. Die Frage stellt sich aber natürlich auch für alle andere Religionen, und sie hat heute eine besondere Aktualität, in einer Zeit, in der zwei Extrempositionen sich gegenseitig zu verstärken drohen: der radikale Fundamentalismus und der radikale Relativismus. In allen großen Religionen gibt es heute fundamentalistische Tendenzen: in gewissen christliche Gruppen, im Islam, im Hinduismus (denken wir an die jüngsten gewalttätigen Ausschreitungen gegen Christen und Muslime in manchen indischen Staaten) und selbst im sonst als besonders friedfertig geltenden Buddhismus (in Sri Lanka behindert die buddhistische Mönchspartei die Beendigung des Bürgerkrieges).

Die Gegenbewegung ist bekannt: der radikale Relativismus sieht in den Religionen vor allem Unruheherde, Störfaktoren; er wirft den Religionen ihr Gewaltpotential vor. Die Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten in Europa  waren sicher eine der Hauptursachen für den modernen europäischen Atheismus: da die Religionen keine Frieden bringen, soll die Vernunft die gemeinsame Basis sein, und nicht mehr die Absolutheitsansprüche der Religionen. Toleranz heißt dann Relativierung der Religionen. Keine besitzt die absolute Wahrheit, weil es keine absolute Wahrheit gibt. Der klassische Ausdruck der aufklärerischen, relativistischen Position in Europa bringt Lessings "Ringparabel" in seinem Stück "Nathan der Weise" zum Ausdruck: der Vater, Nathan, gibt seinen drei Söhnen drei Ringe, völlig gleich, aber nur einer ist das Original, die beiden anderen sind Kopien. Niemand kann wissen, welcher Ring der originale ist. Alle drei monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum, Islam, sollen also darauf verzichten, zu behaupten, dass sie die wahre Religion seien. Jede sei damit zufrieden, eine Ahnung von der wahren Religion zu sein.

Die Aufklärung hoffte, so die Religionskonflikte aus der Welt zu schaffen. Die Geschichte zeigt, dass dieses Programm nicht funktioniert. Keine unserer drei Religionen kann einfach darauf verzichten, sich als die wahre Religion zu betrachten. Das Judentum betrachtet sich als Empfänger von Gottes Offenbarung und als von Gott erwählt, um das Licht der Thora allen Völkern scheinen zu lassen. Das Christentum sieht in Jesus Christus den endgültigen Boten Gottes, Gottes Sohn, der gesandt ist, alle Völker zum Glauben an ihn zu rufen und sie durch die Taufe in das endgültige Volk Gottes aufzunehmen. Der Islam betrachtet den Koran als die endgültige, wahre, weil ursprüngliche Gottesoffenbarung. Alle Menschen sollen zum Islam, zur Anerkennung Gottes und seines Propheten kommen. Die Frage stellt sich heute wieder, wie sie sich im Europa des 16. Jahrhunderts gestellt hat: Wie ist mit solchen Religionen ein Staat zu machen? Wie kann ein moderner, pluralistischer Staat mit solchen Religionen zusammenleben? Werden sie nicht versuchen, den Staat ganz der (wahren) Religion zu unterwerfen, um so das zu verwirklichen, was Ziel der Religion ist: dass alle Menschen sich den Geboten Gottes unterwerfen?
Können Religionen mit absolutem Gültigkeitsanspruch in einem modernen Staat Platz finden, ohne diesen heimlich oder offen zu einem "Gottesstaat" umwandeln zu wollen? Wie aber sollte ein solcher "Gottesstaat" mit anderen Staaten kooperieren? Ist überhaupt das Konzept eines "monoreligiösen" Staates möglich, oder gar wünschenswert? Wo bliebe in einem solchen Staat die Freiheit, deren kostbarstes Stück die Religionsfreiheit ist? Denn sie ist der Garant der Gewissensfreiheit, die höher steht als alle staatlichen Verpflichtungen.

Fragen stellen sich aber auch bezüglich des modernen säkularen Staates, der sich selber als "weltanschaulich neutral" versteht. Heißt das, dass Religion im modernen Staat überhaupt aus der Öffentlichkeit verbannt werden muss? Gehört Religion bloß in den Privatbereich? Muss der laikale Staat jegliche Verbindung zur Religion ablehnen? Die Frage stellt sich heute in Europa mit neuer Dringlichkeit. Was trägt heute eine Demokratie? Welche Werte braucht der Staat, um bestehen zu können? Und woher nimmt er diese Werte? Der deutsche Verfassungsrechtler Böckenförde hat diesbezüglich ein Axiom formuliert, das weithin bekannt und mit seinem Namen verbunden ist. Er meint, die Demokratie lebe von Werten, die sie sich nicht selber geben kann. Die Grundrechte des Menschen, seine Würde, seine ihm als Mensch zukommenden Rechte und Pflichten hat nicht der Staat seinen Bürgern gegeben, sondern sie besitzen sie einfach deshalb, weil sie Menschen sind. Die Menschenrechte werden durch Mehrheitsbeschluss eines Parlaments weder verliehen noch können sie genommen werden. Sie sind jeder staatlichen Ordnung vorgegeben. Sie sind die Voraussetzung jeder menschenwürdigen staatlichen Ordnung. Ist es nicht Aufgabe der Religion, im Staat darauf zu sehen, dass die Werte gesichert und gelebt werden? Aber wenn das Aufgabe der Religion ist, darf sie dann versuchen, mit den staatlichen Zwangsmitteln auch die Einhaltung dieser Werte einzufordern? Darf sie gar versuchen, ihre eigenen religiösen Gesetze zur Grundlage der staatlichen Gesetze zu machen? Sie soll ja die menschlichen Werte im Staat sichern. Kann sie das "nur" durch die Freitagspredigt in der Moschee oder die Sonntagspredigt in der Kirche? Ist sie ohne die staatliche Gesetzesmacht nicht selber ohnmächtig gegenüber dem liberalen, pluralistischen Staat westlicher Prägung? Ich brauche diese Spannungen nicht näher auszuführen. Sie sind uns allen bekannt. Was ich im Folgenden tun kann, ist Ihnen einen - viel zu summarischen - Einblick in die Sichtweise der Katholischen Kirche geben, die seit fast 2.000 Jahren mit dieser Spannung lebt und in vielen Variationen das Grundthema der christlichen Antwort durchgespielt hat.

I. Der Mensch, die Kirche und der Staat

Im Psalm 8 der Bibel heißt es: "Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Oder des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Wenig geringer als Engel hast du ihn gemacht, mit Ehre und Herrlichkeit ihn gekrönt und ihn über die Werke deiner Hände gesetzt. Alles hast du ihm unter die Füße gelegt" (Ps 8,5-7).

Die Bibel sieht den Menschen in einer einzigartigen Position: "Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nicht gläubigen, dass alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hin zuordnen ist" (Gaudium et spes 12,1). Der Mensch - die Krone der Schöpfung Gottes! Diese einmalige Würde kommt dem Menschen zu, da er, nach dem Bericht der ersten Seite der Bibel (Gen 1,26), als einziges unter allen Lebewesen "nach dem Bild Gottes" geschaffen ist. Der Mensch ist deshalb, so sagt das Konzil, "fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben, von dem er zum Herrn über alle irdischen Geschöpfe gesetzt ist, um sie in Verherrlichung Gottes zu beherrschen und zu nutzen" (Gaudium et spes, 12).

Im biblischen Verständnis ist der Mensch der "Vezier" Gottes in der Welt, sein Beauftragter, sein Mandatar. Sein Auftrag ist ein doppelter: er hat diese Welt zu gestalten. Und er hat ein transzendentes Ziel zu erreichen, das ewige Leben, die Seligkeit in Gott. Schon durch seine Doppelnatur, aus Leib und Seele einer zu sein (vgl. GS 14), zeigt sich, dass der Mensch "Bürger zweier Welten" ist, dieser irdischen Welt, in der sich unser zeitliches Leben abspielt, und der jenseitigen Welt Gottes, in der nach dem biblischen Zeugnis die wahre und endgültige Heimat des Menschen liegt.

"Der Mensch überragt unendlich den Menschen" sagt ein berühmtes Wort von Blaise Pascal, dem französischen Philosophen und Mathematiker (1623 - 1662). Als freies Wesen, von Gott mit Geist, Seele, freiem Willen und Gewissen beschenkt, ist der Mensch immer mehr als nur ein Erdenbürger. Er hat sich ganz, mit allen Kräften, seinen irdischen Aufgaben zu widmen. Aber er geht nicht ganz in ihnen auf. Sie sind nicht der einzige Lebenssinn. Das ewige Ziel bleibt in allen irdischen Dingen der Horizont, die Dimension, die das Leben offenhält auf seine größere, ewige Bestimmung hin.

Jeder Versuch eines Staates, den Menschen ganz in Beschlag zu nehmen, ist daher abzulehnen. Wir sind Bürger unseres Landes, wir sind Bürger unseres Staates, aber der Staat hat kein Anrecht auf unsere Seelen. Er muss unser Gewissen achten. Unsere Seelen sind für Gott bestimmt, nicht für den Staat. Die Gemeinschaft des Staates darf vom Einzelnen die notwendigen Solidarleistungen fordern, aber nicht den Verzicht auf das eigene Gewissen.

Die Lehre vom Gewissen und seiner Würde ist ein wesentlicher Teil der Lehren des II. Vatikanischen Konzils. Sie ist auch die Grundlage für das so zentrale Thema der Religionsfreiheit. Was ist das Gewissen? "Es ist die verborgene Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist" (GS 16). Diese innere Stimme sagt mir: Tu dies, meide jenes! Diese Stimme gibt mir Zustimmung, wenn ich das Gute tue. Sie tadelt mich, wenn ich gegen das Gute handle.

Ist die Betonung des Gewissens nicht in Gefahr, Subjektivismus und Beliebigkeit zu fördern? Wenn jeder sich auf sein Gewissen beruft wie auf eine letzte Instanz, entsteht dann nicht ein willkürliches Chaos? Gerade bezüglich der Religionsfreiheit stellt sich diese Frage. Darf, muss ich das Gewissen des anderen respektieren, wenn er im Irrtum ist? Die Frage stellte sich in den Religionskonflikten Europas: Wenn ich überzeugt bin, dass die andere Religion im Irrtum ist, wie kann dann dieser Irrtum toleriert werden?

Der "Katechismus der Katholischen Kirche"; eine umfassende Darstellung der Katholischen Lehre, sagt dazu: Die Religionsfreiheit sei nicht "ein Recht auf Irrtum", sondern " sie ist ein natürliches Recht des Menschen auf die bürgerliche Freiheit, das heißt darauf, dass im religiösen Bereich - innerhalb der gebührenden Grenzen - von der politischen Gewalt kein äußerer Zwang ausgeübt wird" (KKK 2108). Dieses natürliche Recht müsse im staatlichen Recht verankert werden. Mit anderen Worten: niemand darf zu einer Religion gezwungen oder an der privaten und öffentlichen Ausübung seiner Religion gehindert werden. Nicht umsonst war deshalb die Religionsfreiheit das Herzstück in der Entwicklung der Menschenrechte.

Die Katholische Kirche ist aber auch zuversichtlich, dass die Gewissens- und Religionsfreiheit nicht zu einem willkürlichen Chaos führt. Im Gegenteil: die Treue zum Gewissen ist geradezu die Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben der Menschen, auch der verschiedenen Religionen. Wer aufrichtig seinem Gewissen folgt, wird mit anderen Menschen guten Willens gute Lösungen für die Probleme unserer Zeit suchen und die in allen Menschen im Gewissen verankerten objektiven Normen befolgen, zum Wohl der Allgemeinheit. Ich nehme, als aktuelles Beispiel, die Zusammenbrüche ganzer Großbanken. Die hemmungslosen Spekulationen mit dem Geld anderer Menschen sind sicher Fehlentwicklungen, die nur dort möglich sind, wo Menschen nicht mehr auf die Stimme ihres Gewissens hören. Deshalb ist die Bildung und Sensibilisierung des Gewissens eine vorrangige Aufgabe für ein gutes Zusammenleben. Gewissenlose Machtmenschen haben immer wieder die Menschheit gefährdet. Ist Gewissensbildung nicht eine vorrangige gemeinsame Aufgabe der Religionen? Gerade deshalb muss der Staat ihnen die notwendige Freiheit sicherstellen. In Österreich hat die Kirche nach den schrecklichen Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges als ihre Leitidee formuliert: "Die freie Kirche im freien Staat".

II. Die Autonomie des Weltlichen und ihr Verhältnis zur Religion
Oft wird die moderne europäische Entwicklung als eine zunehmende Emanzipation der Gesellschaft von der Kirche beschrieben. Tatsächlich hatte die Kirche in fast allen Bereichen einen großen Einfluss, oft eine entscheidende Macht. Das gesamte europäische Bildungswesen war lange kirchlich bestimmt. Die Universitäten waren meist Stiftungen der Kirche, die Schulen waren weitgehend konfessionell, kirchlich. Die Wissenschaft war kirchlich geprägt, aber auch kontrolliert. Und so war es mit den meisten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Da alles irgendwie auch einen Bezug zur Religion hat, muss nicht die Religion auch alles kontrollieren oder wenigstens inspirieren?

Die europäische Aufklärung verstand sich weitgehend als Befreiung aus der Abhängigkeit von der Religion. Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur sollten vom "Gängelband" der Religion befreit werden. Die Religion wurde und wird von vielen als eine Fessel empfunden, die die Freiheit dieser Bereiche bedroht. Der militante Laizismus will daher jeglichen Einfluss der Religion aus dem öffentlichen Leben fernhalten. Der militante Fundamentalismus der Religionen fördert seinerseits diese Angst. Viele befürchten, religiöser Zwang könnte sich ausbreiten und die freie Ausübung von Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik behindern.

Beide Haltungen, der kämpferische Laizismus und der kämpferische Fundamentalismus, bedingen und bestärken sich gegenseitig. Beide irren sich, weil sie voreinander Angst haben, statt den Weg der Kooperation in gegenseitigem Respekt zu gehen. Ich glaube, dass zur Zeit in Österreich in dieser Hinsicht ein guter Weg des Miteinander von Religion(en) und Gesellschaft gegangen wird.

Wie sieht die katholische Kirche dieses Miteinander? Im II. Vatikanischen Konzil lehrt sie ausdrücklich "die Autonomie der irdischen Wirklichkeiten" (GS 36). Davon möchte ich kurz berichten.

"Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, dass die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muss, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern. Das ist nicht nur eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers" (GS 36).

Alle Bereiche haben ihre eigenen Gesetze und Werte. Diese sind auch von der Religion zu achten und zu beachten. Es tut nie gut, wenn die Religionsverantwortlichen sich direkt in die Politik oder die Wirtschaft einmischen. Sie sollen inspirieren, Rat geben, die Gewissen bilden, aber sie sollen nicht versuchen, wirtschaftliche oder militärische Entscheidungen selber treffen zu können.

Das Konzil begründet diese "Autonomie der Sachbereiche mit dem Willen des Schöpfers selbst: "Durch ihr Geschaffensein selber haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muss" (GS 36).

Wird dadurch nicht doch die Religion letztlich aus allen Bereichen herausgedrängt? Hat sie eigentlich nirgend mehr etwas zu sagen? Lässt dieses Verständnis von Autonomie der Religion nur mehr eine Randexistenz übrig, ohne Einfluss, ohne Macht, im Grunde überflüssig für das, was im Leben heute wichtig ist? So wünschen sich manche laizistische Kreise die Religion: eine Privatsache für die, die diesen Schmuck in ihrem Leben brauchen, vielleicht weil sie noch zu wenig emanzipiert sind.

Das Konzil spielt diese Frage an einem Beispiel durch, das besonders heikel ist: das Verhältnis von Wissenschaft und Religion. Seit dem "Fall Galilei" bzw. dem, was eine kirchenfeindliche Propaganda daraus gemacht hat, gilt bei vielen "Aufgeklärten" die Katholische Kirche als Feind der Wissenschaft, als die ewige Nein-Sagerin zu allem wissenschaftlichen Fortschritt. Gerade angesichts der großen Bedrohungen etwa durch die Atomenergienutzung oder die Biotechnologie werden viele wieder vorsichtiger und suchen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion.

Dazu sagt schon das II. Vatikanum ganz Wesentliches:

"Vorausgesetzt, dass die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben. Ja wer bescheiden und ausdauernd die Geheimnisse der Wirklichkeit zu erforschen versucht, wird, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist, von dem Gott an der Hand geführt, der alle Wirklichkeit trägt und sie in sein Eigensein einsetzt (GS 36).

Die Kirche hat mit der Anerkennung dieser Art von Autonomie der verschiedenen Bereiche vor allem gute Erfahrungen gemacht. Sie hat gelernt, dass sie viel von den eigenständigen Bereichen lernen kann, und dass sie als Orientierungshilfe sehr gefragt ist, wenn sie die Autonomie der anderen Bereiche achtet.

Es gibt freilich auch ein falsches Verständnis von Autonomie, das die Kirche nicht anerkennen kann, wenn nämlich unter der Autonomie eine Unabhängigkeit von Gott gemeint wird, und wenn wir Menschen meinen, wir könnten die Dinge ohne Bezug zu Gott gebrauchen, als wären sie unser Eigentum und nicht ein uns anvertrautes Gut.. "Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts", sagt das Konzil, und ohne Bezug auf den Schöpfer werden die Geschöpfe unverständlich. Eine Emanzipation, die Gott als Ursprung vergisst, wendet sich letztlich gegen den Menschen und wird menschenzerstörend. Das haben die Ideologien des 20. Jahrhunderts gezeigt.

III. Das Modell der Kooperation

Religion und Staat: Kommt es zum Konflikt zwischen zwei Fundamentalismen, dem religiösen und dem laizistischen? Das kann nur zu einem Krieg führen, bei dem entweder eine Art "Gottesstaat" oder ein "gottloser" Laizismus siegt. Beides wäre eine Niederlage für beide Seiten. "Gottesstaaten" führten immer zu Diktaturen, besonders schlimmen, da im Namen der Religion errichteten. Sie diskreditieren die Religion und erzeugen nur Hass auf die Religionsvertreter. Sie führen meist zu religionsfeindlichen Gegenreaktionen, wenn nicht gar zum Atheismus. Der Laizismus gewinnt nichts mit der völligen Eliminierung der Religion. Er beraubt sich selber der stärksten Motivationsquelle. Und er sieht sich genötigt, selber Motivation zu produzieren, wozu er nicht in der Lage ist. Auch dieser Weg führt fast immer zur Diktatur, weil die Religion mit Gewalt aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wird.

Es ist an der Zeit, dass nach den schrecklichen gottlosen und menschenmordenden Ideologien des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert Religion und Gesellschaft, die Religion und der Staat ein Miteinander in gegenseitigem Respekt, in Respekt vor den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen entwickeln. Jesus Christus hat vor 2.000 Jahren dazu das wegweisende Wort gesprochen. Jemand wollte ihn testen, ob dem (römischen) Kaiser von den Juden Steuern zu zahlen seien oder nicht. Sagte er ja, galt er als Kollaborateur mit der römischen Besatzungsmacht. Sagt er nein, so galt er als Revolutionär gegen den Besetzer. Die Wahl also zwischen zwei Extremen. Jesus löst das Problem: Er lässt sich eine Steuermünze zeigen. Er fragt, wessen Bild sie trage. "Das des Kaisers", ist die Antwort. Darauf sagt Jesus: "So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört" (Mt 22, 15-22). Mit diesem Wort hat Jesus endgültig zwischen Gott und Kaiser unterschieden. Niemals ist der Kaiser Gott. Kein Staat, keine Macht, kein Führer steht an Gottes Platz. Der Staat und seine Führer sind weltliche, menschliche Autoritäten. Gott allein ist anzubeten. Ihm allein gehören wir ganz. Geben wir dem Staat unsere Steuern und Gott unser Herz. Dann, so zeigt es uns Jesus, geben wir beiden das Richtige. Und dann passen Staat und Religion zusammen, zu beider Nutzen und Segen!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!


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