Montag 29. April 2024
Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.
Mk. 1,11
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Gelobt sei Jesus Christus!
Liebe Brüder und Schwestern!

"Die Dreifaltigkeit ist unser Sozialprogramm": Das hat ein russischer Philosoph des 19. Jahrhunderts, Nikolai Fjodorov, ein Freund Dostojewskis, gesagt.

Wir haben eben einen Abschnitt aus dem großen Gebet gehört, das Jesus im Abendmahlsaal in der Nacht vor seinem Leiden gebetet hat, nachdem er die Eucharistie, das Abendmahl, eingesetzt hatte: "Alle sollen eins sein: Wie du in mir und ich in dir bin, Vater, so sollen sie alle eins sein, in uns, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast". Ein Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist: So eins mögen wir sein, wie Jesus in Gott dem Vater eins ist im Heiligen Geist. "Und dieses Eins sein", so sagt uns der hl. Irenäus von Lyon, ein Kirchenvater der Frühzeit (2. Jh), "lernen wir, wenn wir auf die Eucharistie schauen. Unsere Lehre stimmt mit der Eucharistie überein, und die Eucharistie wiederum bestätigt unsere Lehre" (Adv. Haer, IV, 18,5).

Aber klingt das nicht alles ein bisschen schwierig, abstrakt und spekulativ? Was hat das mit dem praktischen Leben zu tun? Aber genau das hat es zu tun, das Maß der Einheit Gottes, des Dreifaltigen, das soll das Maß unseres Miteinanders sein und das Maß unseres Miteinanders ist der Ort, an dem unser Glaube glaubwürdig ist. Unser Gegeneinander macht uns nicht glaubwürdig!

Eins sein wie Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, das ist etwas sehr konkretes und etwas sehr dringendes. In einer Zeit, in der das Miteinander auseinander läuft, wo Gräben sich neu auftun, die überwunden schienen, wo die sozialen Kluften schneller wachsen, als das soziale Miteinander. Die Kluft zwischen denen, die Arbeit haben und den Arbeitslosen, den Chancenreichen und den Chancenarmen, zwischen den Schönen und Reichen und den unauffälligen Armen. Ein Nebeneinander, das nicht mehr ein Miteinander ist und vielleicht in Gefahr ist, ein Gegeneinander zu werden.

Genau da trifft Jesu inständige Bitte an den Vater für heute zu, auf unsere Situation, und diese Bitte ist ein Auftrag an uns – "Sie sollen eins sein": wenn Jesus gerade im Abendmahlsaal so inständig den Vater bittet um die Einheit aller, die an ihn glauben, so tut er es, "damit die Welt glauben kann". Es ist also ein riesiges Hoffnungspotential, das Jesus in seine Jüngerinnen und Jünger legt. "Damit die Welt glauben kann", möget ihr eins sein. Eure Einheit soll gewissermaßen der große Gegentrend gegen den Trend der Zeit sein, gegen den Trend einer Welt, in der die Kluft zwischen Arm und Reich nicht aufhört, größer zu werden: Tut euer Möglichstes, jeder an seinem Platz, um einen Gegentrend zu setzen, das Miteinander, statt das Gegeneinander. Seid mutig gegen diesen Trend des Gegeneinanders. Es ist schon hoffnungsvoll, dass in unserem Land die Caritas – und bei den Evangelischen die Diakonie –, vielleicht der glaubwürdigste Teil der Kirche ist, wo ganz konkret gelebt wird dieses füreinander und miteinander da sein. Für viele ist die gelebte, praktizierte Caritas der Zugang auch zum Glauben.

"Sie sollen eins sein" – auch über die Zeit hinweg, wir leben nicht nur heute. Viele Generationen vor uns haben Fronleichnamsprozessionen gemacht durch unsere Stadt, die damals ihre Stadt war und die heute unsere Stadt ist und in Zukunft die Stadt der kommenden Generationen sein wird und sein möge. Es schmerzt zu erleben, wie wenig wir mit den Generationen vor uns und nach uns eins sind. Wie schnell wird dieses Miteinander der Geschichte vergessen! Da wird heute Griechenland einfach nur als der Pleitestaat hingestellt und vergessen ist, was Europa Griechenland verdankt. Da werden Länder global einfach mit einer Etikette versehen und das Gegeneinander in Europa geschürt. Wo bleibt da das eins sein in der Geschichte? Ist es nicht Zeit, in diesem Moment daran zu erinnern, was die Gründungsväter der Europäischen Einigung nach den schrecklichen Kriegen des 20. Jahrhunderts gesagt und gewusst haben, dass diese christlichen Wurzeln, "dass sie eins seien wie du Vater und ich eins sind, damit die Welt glauben kann", dass diese christlichen Wurzeln auch in Zukunft tragen werden! Dass Europa nicht wieder in ein Gegeneinander auseinander fällt, sondern in einem Miteinander und Füreinander auch in schwierigeren Zeiten bestehen bleibt.

"Sie sollen eins sein" – die Bitte Jesu ist das Herz jeder Ökumene, die in unserem Land so viel Gutes miteinander gebracht hat. Aber gerade Fronleichnam war auch ein Zeichen des Gegeneinanders, so erinnern wir uns, als Zeichen katholischer Identität in der Gegenreformation. Sind wir nicht heute eingeladen, hier, vor dem Allerheiligsten, auf den Herrn zu schauen, der uns im Sakrament das Zeichen der Einheit gibt, der sein Leben hingegeben hat am Kreuz, damit wir eins sind? Sehen wir nicht hier den tiefsten Grund der Ökumene?

"Sie sollen eins sein" – Auch in der weltweiten Solidarität gegen Armut, Not und Hunger. Vor wenigen Tagen haben der Herr Bundespräsident und ich gemeinsam von der Notwendigkeit gesprochen, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit nicht zu kürzen. Nur miteinander können wir auch die Solidarität in der Weltgemeinschaft leben. Der Glaube an Christus, das Hinschauen auf den, der sein Leben für uns gegeben hat, ist auch die Verpflichtung zum Miteinander mit den Notleidenden, den Hungernden.

Schließlich: "Sie sollen eins sein" – das ist die innige Bitte Jesu an den Vater. Zuerst einmal für seine eigenen Jünger, ihre Uneinigkeit ist ein solcher Schmerz für Jesus, der sein Leben gegeben hat, damit sie eins sind. Heute im Angesicht des eucharistischen Herrn, der unter uns gegenwärtig ist im Sakrament, lade ich ein, dass wir als Glaubensgemeinschaft der katholischen Kirche die Bitte Jesu um Einheit auch im Herzen tragen. Einheit mit dem Heiligen Vater, gerade in Momenten, wo es schwierig ist und wo wir uns vorstellen und ahnen können, wie schwer es für ihn ist, Schwierigkeiten dieser Art durchzuleben. Einheit untereinander, in der Ortskirche, zwischen den Richtungen, die einander oft das Misstrauen aussprechen. Einheit in Geduld, in der gemeinsamen und nicht gegeneinander gerichteten Sorge für die Kirche und für das Wohl der Menschen. In unserem Land sind die Spannungen in der Kirche auch ein Lebenszeichen, aber sie erfordern ein immer neues Miteinander, das sich orientiert an der Bitte Jesu, dass "sie eins seien".

Überfordert uns Jesus, wenn er sagt: "Sie sollen in der Einheit vollendet sein"? Ist das nicht eine unmögliche Bitte Jesu? Aber Jesus richtet diese Bitte an den Vater im Vertrauen darauf, dass Gott allein diese Hindernisse, die in uns und unter uns sind, überwinden kann. Es geht nicht um ein "bisserl" Einheit und ein "bisserl" nett sein miteinander. Es geht um die Einheit, die zwischen dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist besteht. Die göttliche Einheit! Billiger geht es nicht! Aber es geht nur, weil er für uns bittet, für uns eintritt, weil er uns segnet und uns zusammenhält in seiner Liebe, die unsere Hoffnung ist. Amen.

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