Freitag 3. Mai 2024
Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht
Joh. 15, 5
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zur Chrisammesse 2018

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn zur Chrisammesse, am Montag, 26. März 2018, im Dom zu St. Stephan im Wortlaut:

Liebe Brüder und Schwestern!

 

Was für eine verrückte Geste! Ein Pfund kostbaren echten Narbenöls, und das auf die Füße Jesu! Man versteht, dass manche empört waren. So eine Verschwendung, so ein Leichtsinn! Für 300 Denare hätte man das verkaufen können! Das ist ein ganzer Jahreslohn! Ein ganzer Jahreslohn auf die Füße Jesu ausgeschüttet. Aber der Duft erfüllte das ganze Haus. Diese Geste der Maria, der Schwester des Lazarus, ist unser Tagesevangelium. Je mehr ich darüber nachdenke, desto passender scheint es mir, dass wir heute in der Chrisammesse dieses Evangelium betrachten. Diese Großzügigkeit, diese Verschwendung! Was ist das für eine Haltung, für eine Geste? Was steht da dahinter? Das ist nicht Leichtfertigkeit. Das ist nicht sinnlose Verschwendung, wie manche Leute ihr Geld im Casino verschwenden, oder für irgendwelche Luxusartikel Unsummen sinnlos ausgeben. Es ist eine Geste ganz großer Weitherzigkeit, Großherzigkeit. Die Alten nannten das die Magnanimitas, ein weites, ein großes Herz haben. Nicht kleinlich. Wir sind oft so kleinlich. Ein bisschen was wollen wir schon geben, aber sich verströmen, sich verschwenden, das Maria Jesus gegenüber macht, das ist eine Geste ganz großer Liebe und Großherzigkeit.

 

Liebe Brüder im priesterlichen Dienst, die wir heute unsere Versprechen erneuern. Ich möchte über diese Großherzigkeit mit Euch und allen anderen nachdenken. Ich habe es sicher schon erwähnt und es hat mich so beeindruckt, diese Geschichte von unserem Mitbruder Leo Maasburg zu hören, und ich glaube, dass sie stimmt. Mutter Teresa von Kalkutta hat einmal einen ganz großen Rubin geschenkt bekommen. Das ist ein sehr teurer Edelstein. Sie hat ganz spontan gesagt: „Dieser Rubin kommt auf den Tabernakel in der Kapelle in Kalkutta!“ Da hat man ihr gesagt: „Aber Mutter Teresa, diesen Rubin könnte man verkaufen und damit könnte man so vielen Armen helfen“. Da soll Mutter Teresa gesagt haben: „Wenn Christus nicht geliebt wird, dann werden auch die Armen nicht mehr geliebt!“ Genau darum geht es. Was macht es, dass die Kirche den Wohlgeruch Christi hat, dass es duftet, dass man hier spürt, Gott ist gegenwärtig? Was macht es, dass die Kirche nicht ein enges, verschlossenes und ängstliches Gehäuse ist, sondern dass man hier die Weite des Herzens und der Liebe spürt?

 

Vor wenigen Tagen war der fünfte Jahrestag der Wahl von Papst Franziskus. Ich durfte an jenem unvergesslichen 13. März 2013 dabei sein. So habe ich noch einmal zu Evangelii gaudium gegriffen, seiner ersten Schrift als Papst, diesem wunderbaren Dokument der leidenschaftlichen Freude und Liebe zum Evangelium und zu den Menschen. Ich habe mir angeschaut, was kann uns Papst Franziskus heute über diese Weitherzigkeit sagen, die wir so dringend brauchen. Natürlich habe ich drei Punkte gefunden.

 

Das erste, was Papst Franziskus uns sagt, wir müssen jeden Tag Jesus anflehen, seine Gnade erbitten, dass er unser kaltes Herz aufbreche und unser laues und oberflächliches Leben aufrüttle. Alle, die das Stundengebet beten, kennen den ersten Psalm, den wir in der Früh beten, den Psalm 95: „Heute, wenn wir seine Stimme hören, verhärtet euer Herz nicht“. Die größte Gefahr für uns sind nicht die vielen Sünden, die wir begehen, sondern die größte Gefahr ist das harte Herz, dass das Herz porös wird, dass es nicht mehr lebt, nicht mehr mitfühlt, dass es sich verschließt, dass es hart wird. Herzensverhärtung ist der Tod der Seele. Eine Kirche, in der wir hartherzig erleben, dort ist nicht der Wohlgeruch Christi, da ist nicht diese Haltung der Maria von Bethanien mit ihrer, menschlich gesehen, verrückten Großzügigkeit, Großzügigkeit der Liebe. Wie können wir die gewinnen? Papst Franziskus sagt: Die Kirche braucht dringend die Lunge des Gebetes.

 

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Mitbrüder im priesterlichen, bischöflichen und diakonalen Dienst, die Kirche braucht dringend die Lunge des Gebets. Ich erinnere mich an unseren ersten Besuch bei Papst Franziskus mit den österreichischen Bischöfen beim Ad limina-Besuch im Herbst 2013. Der Papst hatte sich schon verabschiedet, wir waren in der Runde der österreichischen Bischöfe und er ging schon zur Tür. Plötzlich dreht er sich noch einmal um und sagt: „Etwas muss ich Euch noch sagen. Vernachlässigt nicht das Gebet!“ Er hat hinzugefügt: „Ihr könnt vieles vernachlässigen, aber vernachlässigt nicht das Gebet“.  Er hat sich umgedreht und ist gegangen.

 

Fest verankert im Gebet, sagt Papst Franziskus, ohne das alles Tun ins Leere läuft und die Verkündigung letztlich keine Seele hat. Wir müssen kämpfen um das Gebet. Die Zeit, die wir dem Gebet widmen, geht sicher nicht verloren, aber ohne die Zeit des Gebetes ist der Rest verlorene Zeit. Ich bitte Euch, betrachten wir das Gebet Jesu. Mich bewegt das mehr und mehr, mich hineinzudenken, was es heißt, wenn Jesus gebetet hat. Wir sehen ihn so oft, wie er alleine hinauf auf den Berg geht, manchmal die ganze Nacht. Was tut er da, wenn er betet? Es tut gut, wenn ein Priester in einer Pfarrgemeinde gelegentlich beim Gebet ertappt wird.

 

Das zweite: Die Begegnung mit den Armen. Die Herzenshärte zeigt sich ganz konkret, ob wir ein Herz haben für die Armen. Es ist nicht immer angenehm, sich mit Armut und armen Menschen zu befassen. Aber ohne das Herz für die Armen sind wir herzlose Priester. Ich zitiere noch einmal Papst Franziskus aus Evangelii gaudium: „Ich kann wohl sagen, dass die schönsten und spontansten Freuden, die ich im Lauf meines Lebens gesehen habe, die ganz armen Leute waren, die wenig haben, an das sie sich klammern können“. Freude, Nähe zu den Armen.

 

Papst Franziskus sagt, er will eine arme Kirche für die Armen, dann ist das nicht so sehr ein soziales und politisches Programm, es ist ein Programm des Evangeliums. Die Armen habt ihr immer bei euch, sagt Jesus. Das heißt, wir haben immer die Gelegenheit, wir müssen nur hinschauen.

 

Ich bin schon beim dritten Punkt. Ein Wort über unsere priesterliche Identität. Es wurde viel darüber geredet. Was macht eigentlich die Identität des Priesters aus? Was macht es aus, Priester zu sein? Papst Franziskus sagt das ganz einfach: Wir sind aus dem Volk genommen und für das Volk da. Jeder von uns kommt aus einer Familie, aus einem Milieu, aus einer Geschichte, aus einem Land, aus einer Kultur. Wenn wir herausgenommen sind, dann sind wir nicht herausgenommen, um erhoben zu werden, sondern um da zu sein. Aus dem Volk genommen, um für das Volk Gottes da zu sein. Die Freude unseres priesterlichen Dienstes ist es, unter den Menschen zu sein. Warum freut sich Gott darüber, unter den Menschen zu sein? Wenn wir uns nicht darüber freuen, wie wollen wir dann von Gott darüber Zeugnis geben? Man sagt sehr oft von einem guten Priester, das ist einer, der auf die Menschen zugeht. Ich glaube, das ist schön und wichtig, auf die Menschen zugehen.

 

Aber es geht noch um etwas anderes. Sich darauf sich einzulassen. Papst Franziskus sagt: Sind wir bereit, uns auf das Drama der Menschen einzulassen? Martin Rupprecht hat in seinem so berührenden Zeugnis über seinen Unfall, - ein Wunder, dass er es überlebt hat -, etwas sehr Wichtiges in der Recollectio heute Nachmittag gesagt. Er hat gesagt, wie privilegiert wir sind und daran erinnert. Liebe Mitbrüder, ich habe das neulich bei einer Priesterweihe gesagt, im Blick auf mich selber. Ich bin mit 18 ins Kloster gegangen und ich musste mich bis heute nie um ein Dach über meinen Kopf kümmern, musste mich nie darum kümmern, ob ich etwas zum Essen habe, eine Arbeit habe. Ich weiß, dass ich auch im Alter abgesichert bin. Ist uns bewusst, ich sage das jetzt im Großen und Ganzen, wie abgesichert wir sind und wir vorsichtig wir sein müssen, im Urteil über die Leute. Es tut uns gut daran zu erinnern, was es heißt, täglich zur Arbeit zu pendeln und nicht zu wissen, ob man die Arbeit behält, nicht zu wissen, wie es mit der Familie weitergeht, nicht die Sicherheit zu haben, die wir haben.

 

Auf die Menschen zugehen, ist gut. Aber es geht noch um etwas mehr. Es geht um ein Spüren, um das, was die wirklichen Sorgen eines Großteils der Menschen sind, von denen wir auch Dank der Großzügigkeit der Gläubigen, die uns das ermöglichen, weitgehend verschont bleiben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir behutsam sind in den Urteilen, behutsam in dem, was wir über andere vielleicht manchmal zu leichtfertig urteilen.

 

Ich möchte schließen mit dem, was wir jetzt mit der Erneuerung unserer priesterlichen Versprechen machen. Wir werden das wiederholen, was wir bei der Weihe gesagt haben, wir werden das wiederholen, was die meisten von euch bei der Chrisammese machen. Aber ich möchte an einen Text von Papst Franziskus erinnern, ganz am Anfang von Evangelii gaudium. Ich lade nicht nur uns Priester, sondern uns alle ein, auf diese Einladung zu hören, was Papst Franziskus sagt. Hören wir, was er sagt. „Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen. Ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, weshalb jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm, denn niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt“. So lade ich Euch ein, jetzt in diesem Sinn in der persönlichen Begegnung mit Jesus unsere Weiheversprechen zu erneuern.

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