Freitag 29. März 2024
Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.
Mk. 1,11
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zur Priesterweihe am 17. Oktober 2020

Predigt zur Priesterweihe am 17. Oktober 2020 von Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn

Liebe Brüder, die ihr heute die Priesterweihe empfangt!
Liebe Eltern, Verwandte, Freunde, Geschwister, Mitglieder der Pfarrgemeinden, in denen ihr jetzt schon tätig seid!
Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst!
Liebe Weihbischöfe, Diakone, Ordensleute!
Liebe Teilnehmer über den Live-Stream, jetzt mit uns verbunden oder über Radio Maria!


Wir feiern das Fest des heiligen Ignatius von Antiochien. Seine sieben Briefe, die er unterwegs zum Martyrium geschrieben hat, gehören zu den Kostbarkeiten der frühen Kirche. Dort finden wir auch die Dreigliederung des Amtes, wie es bis heute existiert: der Bischof, die Presbyter und die Diakone.


Das Thema der beiden Lesungen vom Fest des heiligen Ignatius ist das Thema der Fruchtbarkeit: der Fruchtbarkeit des Lebens. „Reiche Frucht bringen“, sagt Jesus heute im kleinen Gleichnis vom Weizenkorn. Ihr steht am Anfang eures priesterlichen Dienstes, ich stehe im fünfzigsten Jahr meines priesterlichen Dienstes. Die entscheidende Lebensfrage – nicht nur für uns Priester, sondern für uns alle, Christinnen und Christen, für jeden Menschen, ist die Frage: Wird mein Leben fruchtbar? Ist es am Ende meines Lebens möglich zu sagen: Ja, mein Leben hat Frucht gebracht? Und was heißt das?


„Leben gewinnen und Leben verlieren“, sagt Jesus heute im Evangelium. Loss and gain. Verlust und Gewinn. Aber was ist Gewinn, was ist Fruchtbarkeit? Paulus ist heute ganz drastisch in diesem Abschnitt aus dem Philipperbrief. Unter Tränen sagt er: „Viele von euch leben als Feinde des Kreuzes.“ Ja, es ist ihm zum Weinen zumute. Es ist einem zum Weinen zumute. Die Skandale im Klerus. Es ist kein Zufall, dass in der öffentlichen Meinung wir Priester ganz unten stehen. Das tut weh. Unter Tränen. Wirklich. Weinen nicht nur über die anderen, sondern über uns selber, über mich, auch nach 50 Jahren des priesterlichen Dienstes. Es gibt genug Grund zu Tränen. „Ihr Ende ist das Verderben, ihr Gott ist der Bauch.“ Faulheit, Bequemlichkeit, Auf-der-faulen-Haut-Liegen. „Ihr Ruhm ist ihre Schande; Irdisches haben sie im Sinn.“ Man spürt in diesen Worten des Apostels Paulus einen unglaublichen Schmerz. Und dieser Schmerz kommt uns als Echo zurück. Gestern Abend habe ich einen Text aus Italien bekommen von einem der führenden katholischen Journalisten, der 60 Jahre lang treu gedient hat, und der wirklich sagt: „Es ist zum Weinen. Was ist nur geschehen?“


Aber Brüder, ihr steht am Anfang. Es liegt viel Hoffnung auf euch. Paulus sagt: „Ahmt auch ihr mich nach, Brüder, und achtet auf das Vorbild, das ihr an uns habt.“ Ja, das Leben des Paulus ist fruchtbar gewesen. Er kann sagen: „Ahmt mich nach.“ Ich wünsche euch, dass ihr eine leidenschaftliche Liebe zum Apostel Paulus habt, dessen Briefe etwas so Wunderbares sind. Was für ein Zeugnis der Fruchtbarkeit! Aber was für ein Zeugnis auch des Leidens, der Tränen! Und einer unbesiegbaren Freude! Deshalb, Brüder, möchte ich über drei Punkte sprechen – jede Predigt bei mir hat drei Punkte, auch heute muss das so sein. Der erste Punkt ist die Quelle der Fruchtbarkeit, die Quelle der Fruchtbarkeit. Das zweite ist das Gesetz der Fruchtbarkeit und das dritte das Ziel der Fruchtbarkeit.

 

Die Quelle der Fruchtbarkeit

Schauen wir uns die Quelle der Fruchtbarkeit an. Schauen wir, wo dieser kleine Abschnitt des Evangeliums steht, den wir eben gehört haben, denn man muss immer auch auf den Zusammenhang achten. Es ist kurz vor Ostern, Jesus ist in Jerusalem. Man hat schon beschlossen, ihn zu töten, wegen der Auferweckung des Lazarus erst recht noch einmal. Jetzt muss man ihn umbringen, jetzt ist es Zeit. Und gerade in dieser Situation kommen Griechen, d.h. Heiden, nach Jerusalem und sagen zu Philippus: „Wir möchten Jesus sehen.“ Und Philippus sagt es dem Andreas und beide gehen sie zu Jesus und sagen ihm: „Da sind Griechen, Heiden, die möchten dich sehen.“ Jetzt würde man erwarten, dass Jesus sagt: „Wunderbar! Meine Botschaft öffnet sich auch für die Heiden. Sie wird hinausgehen in die ganze Welt.“ Aber er sagt etwas ganz anderes. Seine Reaktion ist verwunderlich. Er sagt: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.“ Wir erfahren nicht, ob er diese Griechen, diese Heiden tatsächlich gesehen hat. Jetzt, wo der Erfolg greifbar ist, wo sogar die Heiden zu Jesus kommen, da kommt sein Erfolgsrezept.


Brüder, achtet darauf! Was ist sein Erfolgsrezept? Das Weizenkorn! Es zeigt uns den Weg, den Weg zum Erfolg. Es muss in die Erde fallen und sterben. Sonst bleibt es allein. Wenn es nicht stirbt, bleibt es allein. Nur wenn es stirbt, kann es sich vermehren. Kann zu Getreide werden. Kann Frucht bringen, Brot werden für die Menschen. Das ist die Wahl, Brüder, vor der wir in unserem Leben stehen, wir alle. Diese Wahl: Willst du alleine bleiben oder willst du Frucht bringen? Wählst du dich oder wählst du das Frucht-Bringen?


Aber Jesus spricht hier von sich selber. Es wäre ein großes Missverständnis, das für einen moralischen Appell zu halten: Opfert euch! Nein, es ist eine Selbstaussage Jesu. Jesus selber ist die Quelle aller Fruchtbarkeit. Er spricht von sich als das Weizenkorn, das jetzt in die Erde fällt und stirbt. Und so bleibt es nicht allein. Es gibt keine andere Quelle der Fruchtbarkeit als sein Kreuz.


Und daher die Tränen des Paulus, über die, die Feinde des Kreuzes sind. Lebt nicht als Feinde des Kreuzes, denn daran hängt euer Glück, unser Glück. Feinde des Kreuzes, das ist Unglück. Ich werde euch nachher sagen: „Stelle dein Leben unter das Zeichen des Kreuzes.“ Das ist das Rezept, das ist die Fruchtbarkeit. Daran liegt es.


Gerade wurde gesagt, ihr werdet für würdig gehalten. Es ist vorsichtig formuliert. Es gibt den schönen Brauch bei den Orthodoxen, dass bei der Weihe das Volk singt: axios, axios – würdig, würdig! Von wem von uns kann man sagen, dass er würdig sei? Aber das Volk wurde befragt und die Verantwortlichen und auch ich. Ihr werdet für würdig gehalten. Das ist kein moralischer Appell, sondern das ist eine Zusage. Denn der, der euch gerufen hat, ist die Quelle der Fruchtbarkeit. Er hat dich geliebt und sich für dich hingegeben. Das ist das Wort, das Paulus sagt als die große Gewissheit seines Lebens. Christus hat mich geliebt und sich für mich hingegeben. Das ist die Quelle und diese Quelle wird nie versiegen. Selbst wenn wir, ihr, jeder von uns vielleicht darauf vergisst, vielleicht in eine andere Richtung geht. Das ist deine Quelle: Er ist gestorben und bringt Frucht in dir.


Ich könnte nach 50 Jahren reichlich klagen, dass ich es so wenig getan habe: Stelle dein Leben unter das Zeichen des Kreuzes. Die Bilanz? Ja, natürlich gibt es viel Lob. Wunderschön. Aber: Er ist der Erlöser. Er ist mein Heiland. Mein Freund. Dein Freund. Er bleibt es immer. Selbst wenn wir untreu sind, er bleibt treu, weil er sich nicht verleugnen kann. „Darum, meine geliebten Brüder“, sagt Paulus, und ich nehme das für mich, dieses Wort: „meine geliebten Brüder, nach denen ich mich sehne, meine Freude und mein Ehrenkranz, steht fest in der Gemeinschaft mit dem Herrn, liebe Brüder!“ Das ist die Quelle.

Das Gesetz der Fruchtbarkeit

 

Das Zweite: das Gesetz der Fruchtbarkeit.
„Wer an seinem Leben hängt, wird es verlieren“, sagt Jesus. Wer in sein Leben verliebt ist, wer sich selbst in den Mittelpunkt stellt, der wird das Leben verlieren, der bleibt allein. Wer verliebt ist in sich selbst, in sein Leben, in seine Seele, wer für sich selber lebt, lebt am Leben vorbei. Das ist unerbittliche Wahrheit. Das gilt für die Verheirateten und für uns Ehelose.
Ich werde euch nachher fragen: „Seid ihr bereit, euer Versprechen ein Leben lang einzuhalten?“ Für uns Ehelose ist der ehelose Egoismus eine große Bedrohung. Man richtet sich‘s ein. Man lebt für sich selbst. Die Ehe ist eine große Schule, das wisst ihr von euren Eltern, eine große Schule gegen den Egoismus. Deshalb empfehle ich euch, was Papst Franziskus den Ehelosen empfiehlt: Vergesst nicht die Familie, eure eigene Familie! Schaut hinein, wieviel Opfer das bedeutet. Denkt an eure Eltern, dankt ihnen. Sie haben es vermutlich nicht immer einfach gehabt. Es hat Trennungen der Eltern gegeben, Konflikte. Aber was für eine Schule gegen den Egoismus! Denkt an die Menschen, die euch gefördert haben, selbstlos. Was ist das Wunderbares, die Selbstlosigkeit! Einfach da sein für andere.

 

Das Ziel der Fruchtbarkeit

Und das Dritte und Letzte: das Ziel der Fruchtbarkeit. Worum geht es in der Fruchtbarkeit, von der Jesus spricht? Jesus will, dass wir das Leben haben und es in Fülle haben. Aber Jesus sagt: „Wer sein Leben in dieser Welt hasst“, heißt es wörtlich im Text, „geringachtet“, „der wird es bewahren für das ewige Leben.“ Paulus sagt uns heute, unser politoima, unser Bürgerrecht, unsere Heimat ist im Himmel. Von dort her erwarten wir Christus, den Retter.
Ihr kennt alle die Geschichte vom Pfarrer von Ars: Wie er nach Ars gekommen ist, in dieses kleine Dörflein, hat er den Weg nicht gefunden. Im Nebel sieht einen Hirten, einen jungen Burschen, und bittet ihn: „Zeig mir den Weg nach Ars.“ Dieser zeigt ihm den Weg, und dann sagt er zu dem Burschen: „Du hast mir den Weg nach Ars gezeigt. Ich werde dir den Weg zum Himmel zeigen.“


Das ist keine Flucht. Das ist ganz realistisch. Wir werden alle sterben. Wir alle müssen durch das Tor des Todes. Und auf alle wartet eine Heimat, die ewige Heimat, und ihr seid berufen, dorthin den Weg zu zeigen. „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu“, heißt es in einem Lied. Ist das eine Flucht? Die Flucht aus der Welt, aus der Wirklichkeit? Im Gegenteil. Das Gesetz der Pilgerschaft: Wer das Leben als Pilgerschaft versteht, der versteht das Leben als Solidarität. Du kannst nicht unterwegs sein, wenn du nicht mit anderen unterwegs bist, die dich mitnehmen auf den Weg und die du mitnimmst auf den Weg.


Und, das ist die große Befreiung unseres Glaubens an den Himmel, unsere Sehnsucht nach dem Himmel: Du musst nicht jetzt schon alles haben. Und du wirst nicht alles haben. Die großen Heiligen der Nächstenliebe waren himmelwärts gerichtet. Und deshalb haben sie geteilt. Haben verzichtet. Hatten eine große Liebe zu den Mühseligen und Beladenen.
Brüder, Jesus sagt am Schluss im heutigen Evangelium: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach. Und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein.“ Wo ist denn Jesus? Wo ist er zu finden? Er hat gesagt: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen sein.“ Dort finden wir Jesus. Frag dich immer neu: Wo bist du, Jesus, wohin gehst du? Bei wem finde ich dich? Daher noch einmal zum Schluss, mit Paulus: „Darum, geliebte Brüder, steht fest in der Gemeinschaft mit dem Herrn.“
Amen.

 

 

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