Donnerstag 26. September 2024
Ansprachen, Reden und Vorträge von Kardinal Christoph Schönborn

Beten als Lebensvollzug. Ein universales religiöses Phänomen

Wortlaut der Wiener Vorlesung von Kardinal Schönborn am 12. März 2014 im Wiener Rathaus.

Wiener Rathaus

Mittwoch, 12.3.2014,

 

 

Geschätzte Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Professor Ehalt!

 

 

Es ist schon etwas ungewohnt für mich im Rathaus über so ein Thema zu sprechen. Ich bin ja gewohnt im Stephansdom zu reden, aber in diesem Saal über dieses Thema zu sprechen, ist vielleicht doch nicht ganz selbstverständlich.

 

Morgen jährt sich zum zehnten Mal der Todestag von Kardinal Dr. Franz König. Deshalb verstehe ich meinen Beitrag zu diesen Wiener Vorlesungen auch ein wenig als Hommage an Kardinal König. Ich werde deshalb zu Beginn, in der Mitte und am Schluss meines Vortrags auch ihn zu Wort kommen lassen. Denn zweifellos ist er einer der ganz großen Religionswissenschaftler gewesen und hat auch zu dem Thema, um das es heute geht, Entscheidendes zu sagen. So gestatten Sie mir, dass ich zur Eröffnung ihn zu Wort kommen lasse.

 

„Überall wo Menschen uns Denkmäler ihres religiösen Lebens hinterlassen haben, sehen wir darin Beweise dafür, dass sie gebetet haben. In allen Kontinenten, Zonen und Zeiten hat der Mensch im Gebet bittend und lobend, dankend und sühnend vor der Gottheit, den Göttern das Knie gebeugt und Formeln des Gebetes hinterlassen, durch die wir heute noch einen Blick tun können in das Innerste des Menschen längst vergangener Zeiten. Das schichte Dankgebet der Yamanas, das Bittgebet in den ägyptischen Grabkammern, die auf kleinen Tontäfelchen in Keilschrift verewigten Klagerufe, die Anrufung des Himmels in China, die Bittgebete der Griechen und Römer um Sieg und Erfolg, die Formel der Ergebenheit in den Büchern des buddhistischen Kanons, die Lobrufe an die Götter des awestischen und vedischen Pantheons sind ein vielstimmiges, nicht verstummendes Gloria, auf Ton geschrieben und in Stein gemeißelt; sie sind ein ergreifendes Miserere und De Profundis einer um Erlösung zu den ‚Höheren‘ rufenden, um Hilfe von oben flehenden Menschheit aller Jahrtausende“. Soweit Kardinal König zur Einleitung.

 

Das Gebet als universales Phänomen. Lassen Sie mich drei Beispiele nennen, die ich großteils selber erlebt habe. Zwei habe ich selber erlebt, ein drittes entstammt der Tageszeitung von vorgestern. Kandy in Sri Lanka ist das nationale Heiligtum. Ich habe vor einigen Jahren den großen Tempel von Kandy besucht, es waren tausende Pilger, ein großer Zustrom von Menschen aus der ganzen Inseln, alles Buddhisten, und man hat mir erlaubt, in das innerste Heiligtum dieses Tempels zu gehen. In diesem innersten Schrein des Tempels wird eine besondere Reliquie verehrt, ein Zahn des Buddha! Es ist beeindruckend, mit welcher Ehrfurcht hier eine Erinnerung an den Erleuchteten, an Buddha verehrt wird.

 

Verehrung ist eine Grundform der Religion und sie wird von den Buddhisten in Sri Lanka besonders praktiziert um diese kostbarste Reliquie der ganzen Insel. Ich durfte dann auch bei der Esala Perahera, das ist die große jährliche Festprozession, die durch Kandy geht mit prachtvoll geschmückten Elefanten, Musikgruppen und betenden Gruppen. Hinter jedem Elefanten reiht sich eine andere Gruppe und schließlich kommt der letzte und größte Elefant, majestätisch mit einem prachtvollen Aufbau, mit dem die kostbare Reliquie durch Kandy in einer feierlichen Prozession geführt wird.

 

Ein zweites Beispiel: Vorgestern war in einer Wiener Tageszeitung ein Foto: Kuala Lumpur, buddhistische Mönche beten für die Passagiere des Fluges MH370, das abgestürzte Flugzeug der Malaysia Airlines, wie es in der Schlagzeile heißt. Was bedeutet das Beten dieser Mönche? Wie beten sie? Wofür beten sie? Ihr Verhalten wird als Gebet gedeutet, und es ist sicher Ausdruck der compassio, der Anteilnahme, jener ganz spontanen Reaktion des Menschen, der an der Not, am Schicksal, an der Trauer anderer teilnimmt und diese in die Gestalt eines Gebetes, einer Bitte, einer betenden Anteilnahme formuliert.

 

Ein drittes Beispiel: Jerusalem, die Al Aqsa Moschee auf dem Tempelberg. Im Islam gehören bekanntlich die fünf Gebetszeiten am Tag zur religiösen Tradition, wie Sie sicher schon gehört haben. Gelegentlich darf ich unsere muslimischen Freunde auch daran erinnern, dass auch wir in der katholischen Kirche fünf Gebetszeiten am Tag haben: Am frühen Morgen, zu nächtlicher Stunde gegen 4h30, beten die Mönche die Matutin, dann die Laudes, das Morgengebet, dann das Tagesgebet, am Höhepunkt des Tages zu Mittag, sowie die Vesper am Abend und das Nachtgebet, das Komplet. Auch bei uns gibt es fünf Gebetszeiten als Gemeinsamkeit des Betens wie in allen Religionen.

 

Wenn Sie in den Stephansdom kommen, sehen Sie im Eingangsbereich jeden Tag hunderte, tausende Kerzen hinten bei der Marienikone „Maria Pocs“ brennen. Was bewegt die Menschen dort eine Kerze anzuzünden? Ist das kleine Teelicht, das dort entzündet wird, ein Substitut, ein Stellvertreter des Gebets?

 

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen in der einen oder anderen Form beten. Ob sie es beten nennen oder einfach an jemand denken, um jemand sich sorgen, für etwas dankbar sind, sich nach etwas sehnen, diese Sehnsucht irgendwie orientieren, ich bin überzeugt, wir beten sehr viel mehr als im Allgemeinen angenommen wird, auch wenn nicht alle das, was sie da tun, beten nennen.

 

Ich bin damit bei meinem zweiten Punkt: Die Formen des Betens.  Auch das ist universal. Es gibt alle möglichen Formen des Betens in allen Religionen. Ich nenne ein Beispiel aus der Bibel, das mich besonders fasziniert. Im zweiten Buch Samuel, 6. Kapitel: König David tanzt vor der Bundeslade, nur mit dem Lendenschurz bekleidet, nicht mit den feierlichen königlichen Gewändern, aus voller Kraft, mit ganzer Energie. Der König tanzt vor seinem Gott, vor der Bundeslade, dem heiligsten Ort der Gegenwart Gottes. Er drückt seine Verehrung, sein Gebet, wie immer wir es nennen, mit seinem ganzen Körper aus.

 

Beten ist immer etwas, das mit dem ganzen Körper geschieht. Wir beobachten die Beter an der Westmauer, der Klagemauer des Tempels in Jerusalem. Beobachten Sie Betende in allen Religionen, immer ist der Körper beteiligt. Das In-die-Knie-gehen ist eine der Urformen des Betens, die Verneigung, die ausgestreckten Hände, der Körper ist immer voll dabei beim Beten.

 

Ich würde Ihnen gerne ein kurzes Sortiment von den vier Grundformen des Betens geben. Man könnte dazu am einfachsten das Buch nehmen, das der jüdischen und christlichen Tradition gemeinsam ist, die 150 Psalmen Davids. Wir hatten einen Professor für Bibelkunde, der immer von den 150 schönsten Psalmen sprach, und jeder ist einzigartig. Denken Sie an das große Lob des letzten 150. Psalms, wo der ganze Reichtum der Instrumente herangezogen wird:

 

„Lobt Gott in seinem Heiligtum, Lobt ihn für seine großen Taten, /lobt ihn in seiner gewaltigen Größe! Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, / lobt ihn mit Harfe und Zither! Lobt ihn mit Pauken und Tanz, / lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel! Lobt ihn mit hellen Zimbeln, / lobt ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was atmet, / lobe den Herrn! Halleluja!

Das Lob ist zweifellos die Urform des Verdankens, des sich erwidern im Ausdruck des Gebetes. Ganz nahe daran ist der Dank als Ausdruck dafür, dass wir wissen, wie sehr es ungeschuldet ist, dass es uns gut geht. Dank als Ausdruck der Anerkennung, dass alles Entscheidende Gabe ist. Wir könnten den Psalm 136 als Beispiel nehmen:

„Dankt dem Gott aller Götter, / denn seine Huld währt ewig! Dankt dem Herrn aller Herren, / denn seine Huld währt ewig!“

 

Aber nicht zu vergessen die Klage! In der Klage schüttet der Mensch in seiner Not sein Herz aus vor Gott. Eine der erschütterndsten Klagen in der Bibel ist Hanna, die Mutter des künftigen Samuel, die jedes Jahr, wenn sie im Tempel in Schilo ist, ihr Herz vor Gott ausweint, weil sie unfruchtbar ist. Die berühmteste Klage ist zweifellos der Psalm 22, die große Klage eines Menschen, der sich von Gott verlassen fühlt. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage.

 

“Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, / bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?  Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; / ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe“.

 

Die Klage wird ausgeschüttet vor Gott. Hier darf ich das Buch von Bruno Kern erwähnen: „Die großen Gebete der Menschheit“. Überall haben Lob, Dank und Klage ihren Platz. Aber die Grundform von allen Formen des Gebetes ist die Bitte. Manche meinen, dass die Bitte die unwürdigste Form des Betens sei, weil sie eben bittet, es sei viel schöner und größer zu danken, zu loben oder zu klagen. Die Bitte ist die Form, in der das Gebet sich zuerst ausdrückt. Ein französischer Soziologe hat in den französischen Heiligtümern und großen Wallfahrtsorten die Gebetsintentionen untersucht. Es sind 140.000 Gebetsintentionen, die Menschen in die Bücher geschrieben haben. Er hat darüber ein Buch verfasst: „Les prières secrètes des Francais d’aujourdhui“. Er zeigt darin, dass es immer um dieselben Bitten der Menschheit seit eh und je geht, um Gesundheit, um Arbeit, um Liebe, die Sorgen um die Kinder, die Partnerschaft, die Sorgen und Bitten um Frieden und Versöhnung. Das Interessante in diesem Buch ist, dass er zeigt, es geht immer durch alle Bildungsschichten und durch alle Altersschichten.

 

Die Grundbedürfnisse des Menschen sind uns allen gemeinsam. Sie finden ihren Ausdruck in der Form des Bittgebets. Es ist bezeichnend, dass Jesus, der sehr viel gebetet hat, offensichtlich auch seine Anhänger durch sein Gebet sehr beeindruckt hat, das muss etwas sehr starkes gewesen sein. Ich weiß nicht, ob Sie Menschen erlebt haben, deren Beten einen tiefen Eindruck macht. Ich habe solche Menschen erlebt, bei denen man den Eindruck hat, dass das Gebet wie ein Felsen ist, auf dem sie stehen oder eine Wirklichkeit, in die sie eintauchen. Das löst auch Respekt aus und Staunen.

Auf jeden Fall hat das Beten, das die Jünger Jesu an ihm beobachtet haben, bei ihnen die Sehnsucht ausgelöst, dass sie auch lernen wollten und sie haben ihn gefragt: „Lehre uns beten“. Er hat ihnen ein kurzes Gebet beigebracht, und nicht die 18 Segnungen der jüdischen Gebetstradition, sondern die sieben Bitten des Vaterunser. Er lehrt uns bitten! Beten heißt zuerst bitten. Beten heißt damit auch anerkennen, dass wir abhängig sind. Das mag aufs erste gesehen wie eine Entwürdigung wirken. Sollen wir zugeben, dass wir angewiesen sind? Aber ist es entwürdigend, wenn wir einander bitten? Was würde ich machen, wenn ich nicht meinen Sekretär bitten könnte, mir Dinge am Computer zu erklären? Er kennt sich unglaublich gut aus. Ich bin dagegen ein blutiger Laie. Ist es eine Schande, jemanden zu bitten, der mir helfen kann, weil er es kann? Liegt nicht im Bittgebet eine tiefe Anerkennung dessen, dass nicht nur ich Hilfe brauche, sondern dass der, an den ich mich wende, auch helfen kann? So ist implizit in jedem Bittgebet auch so etwas wie Anerkennung, Verehrung, und fast schon Dank vorweggenommen. Jesus hat dieses paradoxe Wort gesagt: „Wenn ihr betet, bittet so, dass ihr die Gewissheit habt, ihr habt es bereits empfangen“(Mt 21,21). Bitten ist Ausdruck der Bedürftigkeit, aber auch der Beziehung. Damit bin ich bei meinem zweiten Zitat von Kardinal König.

Kardinal König hat über alle Formen des Gebetes etwas ganz Fundamentales gesagt. Das unterscheidet jedes Gebet von magischen Praktiken, von Superstition oder von reinem selbstbezogen Sein. Er sagt: „In jedem echten Gebet erschließt sich der Mensch einem Du und nicht einem Es, auch nicht einer unpersönlichen Macht. Wüsste sich der Beter nicht einem du gegenüber, so wäre das Beten psychologisch unmöglich. Dieses Du ist zwar sinnlich nicht wahrnehmbar; der geistige Umgang aber erfordert ein geistiges Wesen mit Denken und Wollen, mit allen Merkmalen einer seiner selbst bewussten Persönlichkeit. Daher ist die Verwendung von Zauberformeln nie dem Gebet gleichzusetzen. Der Benützer von Zauberformeln will sich die Gottheit untertänig machen. Der Beter ist sich aber seiner radikalen Abhängigkeit von der Gottheit bewusst, und gerade deshalb betet er“.

 

Ehe ich zum Schluss komme, ein Hinweis auf das, was in allen Gebetstraditionen, in allen Religionen mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden ist: es ist das Wort Kontemplation. Es gibt eine Dimension, in der die Worte zu schweigen beginnen und gewissermaßen nur mehr das reine Sein, das Mitsein, Gegenübersein, Innesein im Mittelpunkt steht, das innere Gebet. Ich wage nicht zu sagen, wie das im Buddhismus ist, wie es in den mystischen Traditionen des Islam ist. Ich kenne sie einfach zu wenig. Ich weiß aber, dass es zentral in der jüdisch-christlichen Tradition ist, und das ist das, was die große Teresia von Avila genannt hat, „nichts anderes, als ein Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil wir sicher sind, dass er uns liebt.“

 

Damit komme ich zum Schluss: Die Wege des Betens. Natürlich kennt jeder in seiner Lebensgeschichte Phasen des Betens und des Nichtbetens. Ohne hier in Einzelheiten zu gehen, kann ich Ihnen sagen, dass ich in einer Phase meines Lebens versucht habe, ganz ohne das Gebet auszukommen. Es war in den schwierigen 60er Jahren, als junger Student habe ich ein Jahr lang bewusst ganz ohne das Gebet gelebt. Es ging, aber allmählich wurde mir die Welt immer grauer, und ich werde nie vergessen, was es für ein Glück war, das Gebet wieder zu finden. Aber da hat jeder seine eigene Geschichte. Es gibt keine Gebetsgeschichte, die gleich ist wie die andere. Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt. Joseph Ratzing/Papst Benedikt hat einmal gesagt auf die Frage: Wie viele Wege gibt es zu Gott? So viele, wie es Menschen gibt. Wir beten anders als Kind und anders als alter Mensch, anders in der Gesundheit und anders in der Krankheit, anders in der großen Sorge und anders in der großen Freude. Und doch haben alle diese Wege eines gemeinsam: sie sind ausgerichtet, sie weisen über uns hinaus in ein größeres Du.

 

Zwei Bemerkungen zum Schluss: Was ist, wenn das Gebet in die Nacht gerät, in die Dunkelheit, in die Sinnlosigkeit, in die Vergeblichkeit? Nie werde ich den Besuch im St. Anna Kinderspital vergessen, wo ein zwölfjähriger Bub, der seit sechs Jahren mit dem Krebs gekämpft hat, mir die Frage gestellt hat: Warum lässt Gott mich so leiden? Was sagen Sie einem zwölfjährigen Buben, der so eine Frage stellt? Ein Bub, der sehr bewusst gebetet hat um seine Genesung und der mir unter Tränen gesagt hat: „Ich möchte leben!“ Er ist einige Wochen danach gestorben. Die Begleiterin und die Mutter haben mir gesagt, er sei ganz friedlich gestorben. Aber es bleibt diese bohrende Frage, wenn es stimmt, dass Gott – wie es in der Bergpredigt heißt – sich um die Vögel kümmert und sie ernährt und die Lilien des Feldes so prächtig gestaltet – warum kümmert er sich dann nicht mehr um die leidende Menschheit? Wo ist Gott im Leid? Auf diese Frage gibt es keine glatte Antwort, und jeder, der eine zu glatte Antwort versucht, wird die Antwort Gottes im Buch Hiob bekommen: Gott hat Hiob Recht gegeben, der Gott angeklagt hat wegen seinem Leid. Dazu gehört auch, dass das Gebet ein Kampf ist. Es ist ein Kampf, zuerst einmal gegen die eigene Bequemlichkeit, gegen den Druck dessen, was wir für wichtiger halten als das Gebet, die Überaktivität, die Zerstreutheit, die Oberflächlichkeit. Ins Gebet geht man, wie ein französischer geistlicher Meister gesagt hat: „Comme à la guerre! Wie in den Kampf (oder Krieg)!

 

Aber eine letzte Bemerkung ist mir ganz wichtig. Das Gebet ist auch ein Protest, ein Protest gegen den Zwang, gegen die Notwendigkeit. Alle Diktatoren haben Angst gehabt vor betenden Menschen, weil der betende Mensch durch den Akt des Betens seine innere Freiheit zum Ausdruck bringt. Sie können in der Bibel die Geschichten vom Propheten Daniel nachlesen oder den drei Jünglingen im Feuerofen. Warum wurden sie in den Feuerofen geworden? Weil sie es gewagt haben, jemand anderen anzubeten als den Herrscher. Alle Diktatoren haben Angst gehabt vor dem Beten, weil es ein Akt der Freiheit ist. Deutlich macht die Souveränität der menschlichen Freiheit gegenüber allen Zwängen, gegen Gewissenszwänge, gegen politische und sonstige Zwänge. Insofern hat das Gebet immer auch eine revolutionäre Kraft. Es ist ein Akt der Freiheit. Es schenkt dem Menschen die Würde, die keine Autorität der Welt nehmen kann, ein freies Subjekt zu sein. Das garantiert jeden Gott, wenn er sich ihm zuwendet.

 

Ich schließe wieder mit Kardinal König, der an Peter Wust erinnert. Peter Wust war ein deutscher Philosoph, der 1940 gestorben ist. Er war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und in seiner letzten Krankheit hat er als Philosoph einen Abschiedsbrief an seine Schüler geschrieben. In diesem Brief schreibt er folgendes, was Kardinal König zitiert: „Wenn Sie mich nun fragen wollten, bevor ich jetzt gehe, und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der einem das letze Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne, dann würde ich antworten: „Jawohl!“ – Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht die Reflexion, wie Sie von einem Philosophen vielleicht erwarten möchten, sondern das Gebet. Das Gebet als letzte Hingabe gefasst, macht still, macht kindlich, macht objektiv. Ein Mensch wächst für mich in dem Maße immer tiefer hinein in den Raum der Humanität (nicht des Humanismus), wie er zu beten imstande ist, wofern nur das rechte Beten gemein ist“. Soweit das Zitat bei Kardinal König, dem ich damit ein Hommage geben möchte an seinem 10. Sterbetag.

 

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