Der Papageno-Effekt
Im Umgang mit Suiziden in den Medien ist der Werther-Effekt bekannt: Ausführliche Berichterstattung begünstigt Nachahmungstaten. Im deutschen Pressekodex gibt es daher bereits eine – knappe – Richtlinie, um diesen Effekt zu vermeiden. In Österreich ist man einen Schritt weiter: Dort gibt es eine Richtlinie, um den sogenannten „Papageno-Effekt“ zu nutzen: Konstruktive Berichterstattung, wie Menschen mit Krisensituationen umgehen, kann helfen, Suizide zu verhindern.
Die deutsche Gesellschaft katholischer Publizisten (GKP) hat zu einer Video-Konferenz eigenladen:
Der Papageno-Effekt – Suizidprävention in der Berichterstattung
Im Umgang mit Suiziden in den Medien ist der Werther-Effekt bekannt: Ausführliche Berichterstattung begünstigt Nachahmungstaten. Im deutschen Pressekodex gibt es daher bereits eine – knappe – Richtlinie, um diesen Effekt zu vermeiden.
In Österreich ist man einen Schritt weiter: Dort gibt es eine Richtlinie um den sogenannten "Papageno-Effekt" zu nutzen: Konstruktive Berichterstattung, wie Menschen mit Krisensituationen umgehen, kann helfen, Suizide zu verhindern.
Die Frage war, ob das auch ein Vorbild für Deutschland sein könnte.
Am 19. Mai 2020 diskutierten darüber:
- Alexander Grabenhofer, der von Seiten des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit mit der MedUni Wien federführend für die wissenschaftliche Etablierung des „Papageno-Effektes“ verantwortlich ist.
- Marlies Matejka, frühere langjährige Leiterin der Telefonseelsorge mit viel Erfahrungen im Gespräch mit suizidalen Menschen und deren Hinterbliebenen
- Alexander Warzilek, Geschäftsführer des österreichischen Presserates, der sich im Rahmen der „Richtlinien“ für Journalistinnen seit Jahren auch der Frage der Suizidberichterstattung annimmt.
Moderiert wurde die Videokonferenz von GKP-Mitglied Golli Marboe. Mitglieder der Gesellschaft waren zur Teilnahme eingeladen.
Portrait der Panel Teilnehmenden
(Foto v.l.n.r: Grabenhofer, Matejka, Warzilek, Marboe [Quellen: 1–3 privat, 4 Ursula Hummel-Berger])
Golli Marboe ist ein betroffener Vater. Sein Sohn Tobias ist vor mehr als einem Jahr durch Suizid gestorben. Marboe ist es ein großes Anliegen das oftmalige Schweigen über Suizid in der öffentlichen Berichterstattung zu durchbrechen. Viele Journalisten sind verunsichert, ob sie eine Nachahmung evozieren könnten, wenn sie über das Thema Suizid schreiben und beziehen sich dabei auf den „Werther-Effekt“.
Alexander Grabenhofer erzählt von einer hohen Zahl von U-Bahn-Suiziden in Wien in den beginnenden 1980er Jahren. Damals haben sich Expert*innen rund um Dr. Gernot Sonneck mit Journalisten zusammengesetzt und auf eine offensichtliche Nachahmung aufmerksam gemacht. Es gab dann ein Gentleman-Agreement von Seiten der Medien, nicht mehr über Suizide zu berichten. Die Auswirkung war, dass 80 % weniger Suizide bei den U-Bahnen verübt wurden und auch nicht auf eine andere Möglichkeit des Suizids ausgewichen wurde, die Zahl der Toten war rückläufig.
Mit diesem Nichtdarüber-Reden, dem Verschweigen von Suizidgedanken und Suizid insgesamt, steht Betroffenen aber eine wichtige Ressource nicht zur Verfügung.
Menschen, denen das Leben zu schwer wird, die an psychischen Erkrankungen leiden, erleben sich oft sehr allein und unverstanden. In Gesprächen hat Marlies Matejka immer wieder gehört, dass Betroffene glauben, dass nur sie solche Gefühle der Einengung, der Verzweiflung, der Erschöpfung erleben und dass es deshalb keine Hilfe für sie gibt. Es ist wichtig, dass sie erfahren, dass es viele Menschen gibt, die sich in einer ähnlichen psychischen Situation befinden UND, dass es Hilfe und Unterstützung gibt.
Der österreichische Presserat achtet im Rahmen von gemeinsam erstellten Richtlinien, ob die Berichterstattung so erfolgt, dass sie informativ und nicht auf Sensation und Voyeurismus hin ausgerichtet ist. Alexander Warzilek schildert mehrere Beispiele, wo das gut gelungen ist. Bei den deutschen Publizisten ist der Papageno-Effekt noch kaum bekannt. Dabei geht es darum über Suizidgedanken, Suizide und Suizidprävention medial so zu berichten, dass der Inhalt zur Ressource für Betroffene und ihre Angehörige wird. Sie finden sich in einem Beitrag möglicherweise wieder, sie finden eine Sprache, die möglicherweise das zum Ausdruck bringt, wie es ihnen selbst geht und wie sie empfinden. Und sie erhalten Infos darüber, was in einer Ausnahmesituation hilfreich sein kann.
Seit letztem Jahr wird in Österreich gemeinsam vom Sozialministerium, der Gesellschaft für Suizidprävention und der Wiener Werkstätte für Suizidforschung der „Papageno-Medien-Preis“ vergeben. Erhalten hat ihn 2019 Dr. Thomas Hödlmoser von den Salzburger Nachrichten. „Hödlmoser konzentriere sich in seinem Beitrag nicht auf die Auslöser, sondern auf die Gründe für einen Suizidversuch, stelle diese ohne Pathos, Romantisierung, mit nötiger Distanz sensibel und feinfühlig dar. Er biete damit Menschen in äußerster Not den Blick auf Auswege und Hilfestellung.“ (Jury)
Die Gesellschaft katholischer Publizisten möchte diesen Gedanken und die Idee des Preises gerne aufgreifen und auch in Deutschland initiieren.
(Marlies Matejka)