Unausweichlich - Umbau der Kirche
PAUL M. ZULEHNER IM GESPRÄCH MIT GEORG HAAB
Zeitenwende – die Zukunft der Kirche mutig gestalten
Überlegungen des Wiener Pastoraltheologen zur gesellschaftlichen und kirchlichen Umbruchssituation und Möglichkeiten, sie positiv mitzugestalten
Sie sprechen am 29. November in Klagenfurt zum Thema „Zeitenwende“. Welche Wende hat die Kirche zu bewältigen?
ZULEHNER: Ich habe den Eindruck, dass die Kirche aus verständlichen und vernünftigen Gründen sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Wir stecken in einer Übergangszeit. Die Konstantinische Ära, in der Kirche, Staat und Kultur sehr eng miteinander verbunden waren, ist vorbei. Wir leben in einer postchristlichen Zeit, die pluralistisch und weltanschaulich sehr bunt ist. In dieser Zeit, in der wir uns wieder auf einen biblischen Zustand zurückentwickeln, suchen wir eine neue soziale Form, um unseren Auftrag gut erfüllen zu können: das Evangelium in die Welt hineinzusingen. Das nicht zu vernachlässigen ist deshalb wichtig, weil die Welt sich in einem sehr schwierigen Taumelzustand befindet.
Viele haben den Eindruck, die Kirche laufe derzeit im Notbetrieb, um irgendwie etwas aufrechtzuerhalten, was nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.
ZULEHNER: Wir sollten den Umbau der Kirchengestalt couragiert in Angriff nehmen, er ist unausweichlich. Die neue Gestalt der Kirche zeichnet sich schon ab, das Zweite Vaticanum hat uns dazu eine sehr gute Vision gegeben: eine Kirche, die nicht mehr klerikal, sondern synodal sein wird, die sich nicht mehr von der Priesterweihe her entwirft, sondern von der Taufe her. Die sich von den vielen Menschen her versteht, die ihre Berufung von Gott annehmen und sich bereit erklären, sich in die Bewegung Jesu, seine Reich-Gottes-Bewegung, mit Zeit, Fantasie und Energie einzubringen. Diese Kirchengestalt wächst vor unseren Augen. Ich bin da nicht pessimistisch, auch nicht in der Frage der Priester. Aus gläubigen Gemeinschaften des Evangeliums können einem Bischof erfahrene Menschen vorgeschlagen werden, die zu Priestern geweiht werden, damit die Hauptquelle der Kirche, die Feier der Eucharistie, nicht auf der Strecke bleibt.
Die Ständigen Lektor:innen und Akolyth:innen zeigen, dass es tatsächlich Berufungen gibt. Aber man hat den Eindruck, dass Priester und auch haupt- und ehrenamtliche Laien auf der Suche nach ihrer Identität sind ...
ZULEHNER: Das ist einfach ein Zeichen dafür, dass der Umbau in Gang gekommen ist. Wenn der Mensch eine gesundheitliche Krise durchmacht, hat er schmerzliche Symptome und leidet auch darunter. Die Heilung aber kommt dadurch in Gang, dass man diese Symptome anschaut und darauf schöpferisch reagiert. Es ist schmerzlich, wenn die Kirche weniger Geld hat und weniger Hauptamtliche einstellen kann. Es wäre ein Fehler, auf Zukunft hin nur noch mit hauptamtlichen Priestern zu rechnen. Auch Priester werden sich in diesen Gemeinschaften des Evangeliums in einer anderen Weise ihren Lebensunterhalt verdienen. Wir werden längerfristig umlernen müssen.
Wie können nicht-hauptamtliche Priester die umfassenden Erwartungen erfüllen, die an ihren Dienst geknüpft sind? Sind nicht diese Erwartungen ein wesentlicher Teil des Problems?
ZULEHNER: Wir haben auf der einen Seite eine Übererwartung der Getauften an die Priester. Das überrascht nicht, weil ihnen jahrhundertelang beigebracht worden ist, dass ein Ordinierter sie versorgt. In einer neuen Studie, in der wir den Kirchenumbau evaluieren, stoßen wir auf einen Erwartungsklerikalismus, der sich nicht nur auf die ordinierten Priester richtet, sondern in ähnlicher Weise auch auf die Hauptamtlichen. Eine solche Kirche ist bequem, weil man versorgt ist. Aber sie ist im Auslaufen. Wir werden das nicht mehr lange weiterführen können. Die Dienstleistungskirche geht zu Ende, es kommt eine Kirche, die gute Dienste leistet. Dabei wird es darauf ankommen, dass viele Menschen, die eine Berufung und eine Begabung haben, diese akzeptieren und bereit sind, sie synodal, also im Hören aufeinander, in gemeinsamer Arbeit und im kreativen pastoralen Team, einzubringen. Es wird so sein wie in der Gemeinde von Korinth, Ephesus oder Rom, wo Paulus uns ausdrücklich ein solches biblisches Modell präsentiert. Wir nähern uns wieder diesem biblischen Normalfall.
Wie sind in diesem biblischen Modell die Aufgaben verteilt?
ZULEHNER: Es sind viele, die Evangelisten oder Propheten sind, die Dienste ausüben, in Diakonie und Schule tätig sind. Darunter ist dann einer, „der leitet“ (1 Kor 12,28), der den sakramentalen Feiern der Eucharistie und des Bußsakraments vorsteht. Es wird ein sehr unspektakuläres Priesteramt werden. Die herkömmlichen Kleriker waren ja so etwas wie ein Charismenschwamm, der alles in sich aufgesogen hatte. Den Menschen hat das gefallen, weil sie nichts mehr tun mussten. Jetzt werden die Priester sagen: Ich weiß mich von Amts wegen verantwortlich, dass die Gemeinschaft, in der ich meinen Dienst versehe, in der Spur des Evangeliums bleibt und im Verbund der großen Kirche.
Die anderen Aufgaben verteilen sich in Zukunft wieder auf viele Berufene und Begabte. Ein sehr starkes, aber auch lebendiges Bild ...
ZULEHNER: Ein biblisches. Wir werden wieder viel einfacher, nüchterner werden. Es lohnt sich, diese Texte zu studieren: Im zwölften Kapitel des ersten Korintherbriefs oder im zwölften Kapitel des Römerbriefs wird uns Auskunft gegeben über die Vielfalt von Begabungen, die wie ein Orchester zusammenspielen. Die Kirchengemeinde der Zukunft wird kein priesterlicher Sologesang mehr, sondern ein orchestrierter Chorgesang sein. Freilich, wir werden uns anstrengen müssen, dann nicht mehr nur um Priesterberufungen zu beten, was wir in der Priesterkirche fast exklusiv getan haben. Ich rate den Gemeinden, um Kirchenberufungen zu beten. Und Menschen anzureden, ob sie eine Berufung spüren, an einem der Projekte unserer kirchlichen Gemeinschaften inmitten der Welt von heute mitzuwirken: in der Friedensarbeit, beim Einsatz für die Mitwelt, in der Sorge um Migrant:innen, an der Seite der Armen. Ermuntern wir junge Menschen zu prüfen, ob Gott sie braucht. Ich beobachte, dass sie mitmachen, wenn sie herausgefordert werden und man ihnen Verantwortung gibt.
Jetzt kommt das Totschlagargument: Bleibt nicht eh wieder alles in den Schubladen liegen ... ?
ZULEHNER: Wir sind alle gefordert. Wir brauchen eine breite Synodalität, um gut aufeinander zu hören, das Gehörte in Versammlungen oder Räten zu bündeln und auf diese Art Fantasie freizusetzen. Zusätzlich rate ich, nicht mehr von 100 Prozent herunterzurechnen: Rechnen Sie von null Prozent hinauf. Ich bin als Theologe fest überzeugt, dass Gott kein Zyniker ist, sondern dass er uns genauso viele und diejenigen Berufungen gibt, die wir jetzt und heute als Kirche in unserer taumelnden Welt brauchen. Wir müssten so etwas sein wie pastorale Trüffelschweine, die diese wunderbar duftenden Pilze finden – es gibt sie. Geben wir dem schöpferischen Geist Gottes so viel Raum, dass er kirchenbildend ist in einer Gestalt, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können!
Aber dürfen wir das denn?
ZULEHNER: Mindestens 80 Prozent dessen, was ich gesagt habe, kann heute in jeder Pfarrgemeinde längst gemacht werden. Für die Dinge, die ausstehen, z. B. wie finden wir in einer gläubigen Gemeinde die Möglichkeit, Eucharistie zu feiern, da bitte ich die Bischöfe: Wie können wir da mutiger vorangehen und die richtigen Schritte setzen? Ich höre den Kardinal von Manaus im Amazonasgebiet, der sagt: Der Papst gibt uns dank der Synode regionale Verantwortung, wir übernehmen sie und beraten darüber, wie unsere Gemeinden, die vielleicht auch hauptsächlich von Frauen geleitet werden, Eucharistie feiern können. Natürlich muss das etwas mit Ordination zu tun haben, sonst verliert diese jeden Sinn. Dass Lösungen möglich sind, weiß jeder Theologe, der Papst eingeschlossen. Bei all dem werden wir gelassener und mutiger werden. Mutlos werden wir auch nicht weiterhin Priester aus anderen Kulturkreisen akquirieren. Wir brauchen gläubige Gemeinschaften, welche die Arbeit des Evangeliums voranbringen, das Reich Gottes in die Welt hereinsingen, was ja Jesu Absicht war. Wir sind nicht dazu Christen, um in den Himmel zu kommen, sondern damit der Himmel jetzt zu uns kommt und wir daran mitwirken und uns von Gott in diese Jesusbewegung eingliedern lassen.
Sonntag – Kirchenzeitung Katholische Kirche Kärnten 24.11.2024