Die noch heute existierende Pfarre Heiligenstadt im Bereich der Hohen Warte war ursprünglich eine kleine Dorfpfarre. Durch konzentrierte städtische Bautätigkeit kam Anfang des 20. Jahrhunderts zur bürgerlichen Bevölkerung eine Vielzahl von Arbeiterfamilien hinzu. Die Zahl der in diesem Gebiet wohnenden Menschen erhöhte sich dadurch sprunghaft.
Die dem hl. Michael geweihte Pfarrkirche von Heiligenstadt war zwar groß genug, um die gestiegene Anzahl an Kirchenbesuchern aufzunehmen, sie lag jedoch ziemlich abgelegen. Da die Gehzeit für die im Industriegelände zwischen Heiligenstädter Bahnhof und Stadtbahnbögen wohnenden Gläubigen zur Pfarrkirche ca. 20 bis 25 Minuten betrug, war kaum anzunehmen, dass sie die Straßenbahn benützen oder einen weiten Fußweg auf sich nehmen würden, um zur Kirche zu kommen.
Unterheiligenstadt wächst weiter: An Stelle der vielen kleinen Gärtnereien zwischen Heiligenstädter- und Boschstraße wurde nach Plänen von Architekt Oberstadtbaurat Karl Ehn in den Jahren 1927 – 1930 ein riesiger, 1‚4 km langer Gemeindebaukomplex mit 1.600 Wohnungen in Superblock-Bauweise errichtet. Er war zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung der größte geschlossene Wohnhausbau der Gemeinde Wien. Nach dem Begründer der marxistischen Geschichtsphilosophie wurde er „Karl-Marx-Hof“ benannt.

Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt
Im neuen Karl-Marx-Hof fanden mehr als 3.000 Menschen neue Wohnungen und ließen die 1930 schon 7.000 Katholiken zählende Pfarre weiter anwachsen. Die Anzahl der Bewohner hatte sich somit innerhalb eines halben Jahrzehnts fast verdoppelt.
All diese Umstände machten die Errichtung einer eigenen Seelsorgestelle nötig. Auf Betreiben von Alipius Linda, dem Kooperator von Heiligenstadt, erwarb der Wiener Kirchenbauverein am 6. November 1931 von den Fabrikanten Rudolf, Fritz und Franz Hanek, die zu einem Drittel Miteigentümer der Realität in der Heiligenstädter Straße 101 waren, um 46.000 Schilling das 827 m2 große Areal inklusive Objekt – ein altes, ebenerdiges Haus, dessen Wohnungen wegen „starker Durchfeuchtung“ aufgelassen werden durften.

Die Seelsorgestelle in der Heiligenstädter Straße 101
Der zuvor in Neusimmering tätige, inzwischen aber bereits pensionierte Pfarrer Franz Marian Wagner wurde mit Jahresbeginn 1933 als „rector ecclesiae“ für die zu errichtende Gottesdienststätte in der Heiligenstädter Straße bestellt. In dem unwohnlichen Haus, das ein wenig renoviert worden war, um auch als Pfarrhof dienen zu können, richtete er „...aus Küche und Kammer eine Kapelle“ ein, die der iberischen Mutter Gottes von Moskau geweiht wurde. Unter diesem Titel sollte Wien eine Sühnekirche erhalten.
Pfarrer Wagner hatte sich auf den bisherigen Stationen seines Priesterlebens nicht immer leicht getan, in Unterheiligenstadt fand er jedoch einen Wirkungsbereich, der voll und ganz seinem Wesen und seinen Neigungen entsprechen sollte.
Um die seelsorgerische Versorgung in diesem pastoral keineswegs leichten Gebiet dauerhaft sicherzustellen, wurden von der Erzdiözese weitere Geistliche für Unterheiligenstadt gesucht. Da kam das Angebot der Patres „Oblaten von der Unbefleckten Jungfrau Maria, OMI“ äußerst gelegen. Sie erhielten mit Vertrag vom 26. Juni 1934 die Seelsorge im Karl-Marx-Hof und im umliegenden Gebiet anvertraut. Der wegen seiner Vorträge über den Missionseinsatz seines Ordens bald als „Eismissionar“ bekannte P. Wilhelm Schäfer wurde 1934 zum Rektor bestellt, dem als Mitarbeiter P. Josef Kämmerer und ein Laienbruder zur Seite gestellt waren. Als dritter Pater kam Franz Dreschers am 1. März 1936 zur Kommunität und wurde zum zweiten Kaplan von Heiligenstadt bestellt.
Die Bewilligung des betont katholischen Bürgermeisters Richard Schmitz ermöglichte die Einrichtung von Gottesdienststätten in Gemeindebauten.
Auch ein am Südende des Karl-Marx-Hofs gelegenes Parterrelokal in der Heiligenstädterstraße 82 (Stiege III, Nr. 1), das zuvor ein Kaffeehaus war, wurde in eine Andachtsstätte umgestaltet. Dieser „Gebetsraum“ konnte am 24. Dezember 1934 von Kardinal Innitzer dem Herzen Jesu geweiht werden. Die Vergrößerung der Liegenschaft zum vereinbarten Pauschalbetrag von 5.000.- S war bereits vorgemerkt, da wurde die im Gemeindebau angesiedelte Andachtsstätte 1939 plötzlich von der NSDAP aufgelöst – man brauchte die Räumlichkeiten als Versammlungslokal.
Nach den Wirren, Leiden und Zerstörungen des zweiten Weltkrieges stand man abermals vor einem Neubeginn. Schon 1939 war geplant gewesen, anstelle des kleinen Notkirchleins, das längst zu klein geworden war, eine größere Holzbaracke zu errichten. Es gab sogar schon Pläne des Wiener Stadtzimmermeisters Anton Janacek, wie diese Baracke aussehen könnte.
Nach dem Krieg musste dieser Plan rasch aufgegriffen werden, freilich als Notlösung. Schon am 27. Oktober 1945 weihte Kardinal Innitzer das gegenüber des Karl-Marx-Hofs gelegene armselige, bescheidene Holzkirchlein zu Ehren „Maria, Mutter der Gnaden“.

Innenansicht der "Barackenkirche"
Nicht einmal ein Jahr später schlägt auch die offizielle „Geburtsstunde“ der Pfarre Unterheiligenstadt: Trotz des geringen Fassungsraums der Holzkirche wurde Unterheiligenstadt am 1. Mai 1946 zur eigenständige Weltpriester-Pfarre unter der Leitung von P. Franz Dreschers, OMI, erklärt. Um das zu ermöglichen, trat die zum Stift Klosterneuburg gehörige „Mutterpfarre“ Heiligenstadt einen Teil ihres Gebietes an die Notkirche in Unterheiligenstadt ab.

Blick von der Klabundgasse auf die "Barackenkirche"
Im Laufe der darauf folgenden Jahre entstanden auch gegenüber des Karl-Marx-Hofs zahlreiche Neubauten, und die Bevölkerungsdichte nahm weiter zu. Da die Unzulänglichkeiten der Barackenkirche von Jahr zu Jahr deutlicher wurden und sie kein Dauerzustand sein konnten‚ war die Errichtung einer endgültigen „Pfarrstation“ unausweichlich.