Mittwoch 24. April 2024

Wann beginnt Gewalt?

Für einen fachlich fundierten Umgang mit grenzverletzendem Verhalten empfiehlt sich folgende Differenzierung (diese ist auch in der Rahmenordnung im Abschnitt A Punkt 3 zu finden):

 

1. Abstufung nach Schweregrad:

  • Grenzverletzendes Verhalten
    Jeder Mensch hat um sich herum eine „gefühlte“ Grenze, die von ihm als schützend und notwendig empfunden wird. Diese Grenze ist individuell und variiert auch etwa im Laufe eines Tages oder je nach Umgebung. Eine Grenzverletzung passiert, wenn Personen mit ihren Worten, Gesten und ihrem Verhalten die persönliche Grenze von anderen überschreiten. Grenzverletzungen können unabsichtlich geschehen. Beispiele für Grenzverletzungen sind etwa: öffentliches Bloßstellen, Kinder und Jugendliche als „Schatzi“ oder „Süße“ bezeichnen, das Zulassen einmalig sexualisierten Verhaltens von Kindern und Jugendlichen im Kontakt. Entscheidend für die Bewertung, ob eine Grenzverletzung passiert ist, ist das persönliche Erleben der Betroffenen. Wenn sich etwa jemand verletzt, gedemütigt oder abgewertet fühlt, wurde eine Grenze überschritten. Damit es zu keiner „Kultur der Grenzverletzungen“ kommt, die mögliche Täterinnen und Täter ausnützen können, um gezielt Übergriffe zu setzen, müssen Grenzverletzungen als solche wahrgenommen, angesprochen und korrigiert werden.
     

  • Übergriffiges Verhalten
    ist bewusstes, absichtliches Verhalten und geschieht, wenn Personen grenzverletzendes Verhalten nicht ändern und gezielt wiederholen. Übergriffiges Verhalten ist kein Versehen und missachtet die abwehrenden Reaktionen der Betroffenen. Als übergriffig bezeichnet man ein Verhalten auch schon beim ersten Mal, wenn es vom Ausmaß her mehr als eine Grenzverletzung zu beschreiben ist. Übergriffige Personen relativieren und bagatellisieren ihr Verhalten, ebenso wenn Dritte ihr Verhalten ansprechen und kritisieren.
    Beispiele für übergriffiges Verhalten sind etwa: Mädchen und Burschen bewusst zu ängstigen, häufige sexistische Bemerkungen oder gezielte Berührungen an der Brust und am Po, wie etwa auch ein scheinbar „freundschaftlicher“ Klaps auf den Po. Übergriffiges Verhalten erfordert Konsequenzen, wie etwa einen befristeten Ausschluss. Bei übergriffigem Verhalten von Jugendlichen ist dieses anzusprechen, eine Grenze zu setzen und professionelle Hilfe bei Fachpersonen (Psychologinnen und Psychologen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten etc.) zu vermitteln
     

  • Straftaten
    Kinder können die Zulässigkeit sexueller Handlungen mit Erwachsenen und älteren Jugendlichen und deren Folgen nicht einschätzen. Sie können daher solchen Handlungen nicht zustimmen. Jede sexuelle Handlung (mit oder ohne Körperkontakt) von Erwachsenen und Jugendlichen über dem 14. Lebensjahr mit, an oder vor Kindern, die noch nicht 14 Jahre alt sind, wird daher als sexuelle Gewalttat gesehen und ist strafbar.
    „Grooming“ ist, wenn sich Erwachsene das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel der – sexualisierten – Gewaltausübung erschleichen. Das ist in Österreich ein Straftatbestand.

     

2. Differenzierung nach der Art:

  • Vernachlässigung
    Vernachlässigung meint unzureichende oder gar nicht geleistete Betreuung und Versorgung. Sie wird wegen ihres schleichenden Verlaufs gewöhnlich zu wenig beachtet.
     
  • Physische Gewalt
    Unter physischer Gewalt wird jede körperlich schädigende Einwirkung auf andere verstanden: z. B. Schlagen, Ohrfeigen, Unterlassung von Hilfeleistung bei Verletzungen oder Erkrankungen. Körperliche Misshandlung von Kindern und Jugendlichen wird heute nicht in gleicher Weise tabuisiert wie das Thema sexuelle Gewalt. Erwachsene sind für Betroffene eher ein Sprachrohr. Scham und Schuldgefühle prägen sich zumeist nicht in gleicher Weise ein, da es Öffentlichkeit und deklarierte Loyalität gibt.
     
  • Psychische Gewalt
    Unter psychischer Gewalt wird emotionale Misshandlung anderer verstanden, z. B. Verhaltensweisen, die Betroffenen das Gefühl von Ablehnung, Ungeliebtsein, Herabsetzung, Wertlosigkeit oder Überfordertsein vermitteln, Isolierung, emotionales Erpressen, Aufbürden unangemessener Erwartungen, Instrumentalisierung, Stalking, abwertende Äußerungen über Eltern oder andere Angehörige oder Herkunft. Ebenfalls darunter fallen Taten auf der Ebene der „Peer to Peer“-Übergriffe, z. B. in Form von Mobbing und Cyber-Mobbing (Drangsalierung mit elektronischen Kommunikationsmitteln).
     
  • Spirituelle Gewalt
    Spirituelle Gewalt ist eine besondere Form von psychischer Gewalt, die im allgemeinen Sprachgebrauch „Geistiger Missbrauch“ oder „Geistlicher Missbrauch“ bezeichnet wird. Spiritueller Missbrauch wird ausgeübt, wenn mittels religiöser Inhalte oder unter Berufung auf geistliche Autorität Druck und Unfreiheit entstehen und Abhängigkeit erzeugt und ausgenutzt wird.
    Das Phänomen ist zwar nicht neu, aber dennoch nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst und bearbeitet. So gibt es z. B. keine zufriedenstellende Definition oder klare Abgrenzung zu anderen Gewalt- und Missbrauchsformen. Bei Vorliegen neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese bei zukünftigen Auflagen der Rahmenordnung Berücksichtigung finden
     
  • Sexualisierte Gewalt/Sexueller Missbrauch
    Es gibt verschiedene Definitionen von sexuellem Missbrauch. Eine gängige Definition für sexuellen Missbrauch lautet: „Sexueller Missbrauch bedeutet eine nicht zufällige, bewusste, psychische und/oder physische Schädigung, die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar bis zum Tode führt und die das Wohl und die Rechte eines anderen, hier des Kindes, des Jugendlichen oder der besonders schutzbedürftigen Person beeinträchtigt.“ 
    Bei einem sexuellen Missbrauch führt eine Erwachsene bzw. ein Erwachsener absichtlich Situationen herbei. Er plant sie und missbraucht seine Autoritäts- und/oder Vertrauensposition, um sich sexuell zu erregen. 
    Sexueller Missbrauch beginnt oft mit Streicheln, „harmlosen Kitzelspielen“, Berühren und Berührenlassen im Geschlechtsbereich usw. Die Intensität der Handlungen kann sich im Lauf der Zeit steigern und je nach Nähe zwischen Täterin bzw. Täter und betroffener Person verändern. Neben dem eindeutig definierten sexuellen Missbrauch, wie er im Strafrecht geregelt ist, kann es subtilere Formen geben wie z.B. verbale sexuelle Belästigung, sexualisierte Atmosphäre oder Sprache, Beobachtung des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen bzw. nicht altersgemäße Hilfestellungen, nicht altersgemäße Aufklärung über Sexualität.
    Sexueller Missbrauch ist die Nötigung zu einem sexuellen Verhalten unter Ausnützung eines Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses, wie im schlimmsten Fall die Vergewaltigung. Dazu gehören aber auch der sexuelle Verkehr ohne Bedrohung oder Gewaltanwendung, wenn er unter Ausnützung eines Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses erfolgt.
    Abgesehen von sexuellen Übergriffen von Erwachsenen an Kindern und Jugendlichen gibt es sexuelle Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen (z. B. unter Geschwisterkindern, in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, in Kinder- und Jugendgruppen, in Sportgruppen, in Jugendbeschäftigungsprojekten). Ebenso gibt es Übergriffe unter Erwachsenen.
     
  • Gewalt in digitalen Medien
    Der Begriff „Mediengewalt“ bezieht sich sowohl auf den passiven Konsum von medial dargestellter Gewalt (z.B. Ansehen eines gewalthaltigen Videos) als auch auf die aktive Ausübung von Gewalt mithilfe von Medien (z.B. Veröffentlichen eines bloßstellenden Fotos). Bei beiden Formen ist die sexuelle Gewalt eine Ausprägung unter mehreren. Neben der strafbaren Handlung, bei der Erwachsene Kinder und Jugendliche mit pornografischen Darstellungen medial konfrontieren, kommt es zu Situationen, bei der Kinder und Jugendliche medial dargestellte Gewalt passiv konsumieren, Opfer von medial ausgeübter Gewalt werden oder Gewalt aktiv mithilfe von Medien ausüben. Manchmal geht dies Hand in Hand: So konsumieren Kinder und Jugendliche Bilder mit pornografischen Inhalten und schockieren damit beispielsweise Jüngere. Gewalt in digitalen Medien in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist von steigender Bedeutung.
     
  • Passive Mediengewalt
    Konsumieren und Zusehen Schon sehr früh wird Mediengewalt von Kindern konsumiert – beispielsweise in Zeichentrickfilmen. Gewaltdarstellungen begegnen Kindern in vielfältiger Art und Weise: „Witzige Gewalt“ (Zeichentrickserien, Videos, lustige Spiele), nachgespielte, gestellte Gewalt (Stunts, Wrestling, nachgestellte Schlägereien), gewalthaltige Musikvideos und Songtexte, Horrorfilme und Gewalt in Spielfilmen, Pornografie (entweder mit gewalttätigen Inhalten oder dazu verwendet, um durch Herzeigen Gewalt gegen jüngere Kinder auszuüben) sowie echte, extrem brutale Gewalt (Hinrichtungen, Kriegsszenarien, Folter, Vergewaltigungen, Morde – sogenannte Snuff-Videos). 
     
  • Aktive Mediengewalt
    Produzieren und Ausüben
    Auch hier gibt es vielfältige Formen: Beginnend bei Belästigungen im Internet (durch unerwünschte Werbung, anzügliche Nachrichten oder Postings) bis zu Cyber-Mobbing (absichtliches Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen von Personen im Internet oder über das Handy, auch Cyber-Stalking oder Cyber-Bullying genannt), Happy Slapping (Prügeleien, Auseinandersetzungen und Rangeleien zwischen Jugendlichen werden gefilmt und über Internet und Handy rasant verbreitet), Sexting (erotische Fotos oder Nacktaufnahmen werden gegen den Willen der dargestellten Personen in sozialen Netzwerken verbreitet), sexuelle Belästigung und sexuelles Bedrängen, Verführen oder Ködern im Internet.


 

Meldepflicht

Alle Personen im ehren- oder hauptamtlichen Dienst sind – laut  Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ – verpflichtet, einen Verdacht oder einen beobachteten Übergriff (psychischer, physischer, sexueller oder geistlicher Art) durch kirchliche MitarbeiterInnen oder in einer kirchlichen Einrichtung an die diözesane Ombudsstelle (01- 319 66 45) zu melden.

Die diözesane Ombudsstelle geht jeder Meldung unter Berücksichtigung des Schutzes der mutmaßlich betroffenen Person sorgfältig nach. Die Rechte der mutmaßlich beschuldigten Person werden bei der Klärung des Sachverhaltes gewahrt.

Formular Vorfall- / Verdachtsfallmeldung

Stabsstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt in der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 6/1/5/515
1010 Wien

E-Mail schreiben
Datenschutzerklärung
Darstellung: Standard - Mobil