Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 26. Januar 2025
Die heutige „Krone bunt“ hat einen besonderen Schwerpunkt: die Jubiläen oder Gedenktage des Jahres 2025. Das heutige Sonntagsevangelium erinnert mich an drei besondere Gedenken. Ich beginne mit einem Jubiläum, das für die ganze weltweite Christenheit von größter Bedeutung ist. Im Frühjahr 325, also vor 1700 Jahren, berief Kaiser Konstantin die Bischöfe der damaligen Zeit nach Nizäa, um eine für den christlichen Glauben bis heute wichtige Frage zu beraten. Dort, nahe dem heutigen Istanbul gelegen, kam es zu einer entscheidenden Weichenstellung. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als die Frage: Wer war, wer ist Jesus wirklich? Ein hervorragender Mensch, ein Prophet, ein ganz gottverbundener sittlicher Lehrer – oder „der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, wie der Apostel Petrus ihn nannte? Bis heute bekennen sich alle christlichen Kirchen zum Wort des Petrus. Judentum und Islam lehnen das entschieden ab. Gott könne keinen Sohn haben, es gibt nur einen Gott und keinen neben ihm, der ihm gleich wäre. Das Konzil von Nizäa hingegen erklärt, Jesus sei „eines Wesens mit dem Vater“. Es hat einige Jahrhunderte gedauert, bis das Glaubensbekenntnis von Nizäa von allen christlichen Kirchen voll und ganz angenommen wurde. Heute ist es das alle Christen verbindende Glaubensbekenntnis. Deshalb ist das Jubiläum von 325 ein so starkes Datum für die über zwei Milliarden Christen. Es ist zugleich ein Stolperstein für die anderen Religionen. Heute berichtet das Evangelium von der „Programmpredigt“ Jesu in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth. Er liest eine Stelle aus dem Buch Jesaja vor und tut eine gewagte Aussage: Er bezieht die uralten Worte des Propheten auf sich:
Heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt! Im Moment sind alle in der Synagoge beeindruckt, doch bald kippt die Stimmung. Seine Landsleute werden wütend und wollen ihn sogar umbringen. Hat Jesus den Bogen überspannt? Was ist seine Botschaft, bis heute? Er sagt von sich, was der Prophet vom kommenden Messias verheißt: Der Geist Gottes hat mich gesalbt. Jesus bezeichnet sich als den Gesalbten Gottes, auf Hebräisch Messias, auf Griechisch Christus. Mit den Worten des Jesaja umreißt Jesus sein eigenes Programm, seine befreiende Botschaft: Den Armen bringt er nicht nur Brot, sondern vor allem die frohe Botschaft, dass sie Gottes Bevorzugte sind, auch wenn die Welt sie geringschätzt. Heilen, Befreien, Aufrichten ist seine Sendung, weil das Gottes Wille ist, den Jesus verwirklichen soll. Was Christus als den Auftrag Gottes sieht, den er vertrauensvoll Vater nennt, das wird zum Auftrag aller, die sich Christen nennen und es hoffentlich auch sind.
2025 ist für die Kirche noch ein anderes, besonderes Gedenkjahr: ein „Heiliges Jahr“. Alle 25 Jahre wird ein solches Jubiläum gefeiert: ein Jahr der Umkehr und der Versöhnung. Millionen werden aus diesem Anlass nach Rom pilgern. Ich erinnere aber auch an eine schöne alte Tradition, die an Jesu „Antrittspredigt“ anknüpft. Er sieht sich gekommen, ein „Gnadenjahr des Herrn“ auszurufen. Auf alten Inschriften steht oft vor der Jahreszahl ein A.D. Es bedeutet: „Jahr des Herrn“. Jedes Jahr ist ein solches Jahr, denn die Gnade Gottes, seine Nähe und Liebe fehlt keinem Jahr, selbst und gerade den schwierigen. Und das gilt nicht nur für 2025, sondern für jeden Tag des Jahres. „Heute“ erfüllt sich, was Jesus uns zugesagt hat, jeden Tag! Aufs Heute kommt es an!
Lukas 1,1-4; 4,14-21
Schon viele haben es unternommen, eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen, die sich unter uns erfüllt haben. Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. Nun habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin, es für dich, hochverehrter Theóphilus, der Reihe nach aufzuschreiben. So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest. In jener Zeit kehrte Jesus, erfüllt von der Kraft des Geistes, nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen. So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesája. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.