Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Sonntagsevangelium vom 28.9.2025
Dem Armen geht es auf Erden schlecht, dem Reichen gut. Einmal wird es umgekehrt sein: Der Arme kommt in den Himmel, der Reiche in die Hölle. Ist das die Botschaft, die Jesus mit dem Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus vermitteln will? So einfach ist die Geschichte nicht, für Jesus und seine Botschaft, und für uns, die wir sie heute hören. Sie setzt einiges voraus, das nicht selbstverständlich ist.
Die erste Frage ist eine ganz persönliche: Wie geht es mir, wenn ich die Geschichte von diesen beiden Menschen lese und höre? An wen denke ich, wenn ich mir den reichen Mann vorstelle? Gehört er zu den Superreichen, von denen die Medien dauernd berichten? Was für ein Mensch ist er? Sympathisch, egoistisch, großzügig? Er ist teuer und fein gekleidet, feiert gerne große Feste. Kann ich mir den Lazarus vorstellen? Habe ich vor der Haustür jemals einen solchen hungrigen, elenden Menschen voller Geschwüre auf der Straße gesehen, nicht in Afrika, sondern bei uns?
Klar ist heute wie damals: Beide müssen einmal sterben. Was kommt danach? Jesus setzt voraus, dass alle seine Zuhörer an ein Leben nach dem Tod glauben. Alle nehmen auch an, dass es einen Zusammenhang zwischen Jetzt und Dann gibt: Das Gute wird belohnt, das Böse bestraft! Wie steht es heute mit diesen Annahmen? Wenn, wie Marianne Gronemeyers Buchtitel lautet, das „Leben als letzte Gelegenheit“ gesehen wird, mit dem Tod also alles aus ist, dann hat das Gleichnis Jesu keinen Boden unter den Füßen, dann spielt es keine Rolle, ob ich gut oder schlecht, reich oder arm bin. Dann gibt es nur Glück oder Pech im Leben. Doch damit hat sich die Mehrheit der Menschen nie einfach abgefunden. Wir alle spüren, dass es nicht egal ist, wie wir uns im Leben verhalten. Die meisten Menschen und alle Religionen glauben, dass sich das ewige Leben hier entscheidet, in meinem täglichen Tun und Lassen.
Wollte Jesus uns mit seinem Gleichnis Einblick ins Jenseits geben, Himmelsfreuden und Höllenqualen ausmalen? Das haben die Mythen und Religionen reichlich getan, die alten Ägypter wie die hinduistischen und buddhistischen Reinkarnationsvorstellungen, aber auch die jüdische Tradition. Jesus schöpft aus dieser bunten Bilderwelt. Doch die Schilderungen des Jenseits sind nicht der Kern seiner Botschaft. Worum geht es ihm?
Überraschend ist, dass der Reiche gar nicht als eine Art Bösewicht dargestellt wird. Darin kommt etwas zum Ausdruck, was für die „Moral“ Jesu entscheidend ist. Mit Moral verbinden wir vor allem Dinge, die verboten sind. „Du sollst nicht…“, lauten die Gebote. Die „Sünde“ des Reichen ist nicht sein Tun des Bösen, sondern seine Unterlassung des Guten. Den armen Lazarus vor seiner Haustüre hat er einfach übersehen. Das, und nur das wird ihm im „Jenseits“ zur Strafe. „Ich war hungrig, und du hast mir nicht zu essen gegeben“, so die Kurzfassung Jesu über das Gericht Gottes. Gott identifiziert sich mit dem armen Lazarus. Du brauchst keine warnende Botschaft aus dem Jenseits, um aufzuwachen. Du brauchst nur die Augen und das Herz zu öffnen, um den Lazarus vor deiner Tür wahrzunehmen. Er wird dir die Tür zum Himmel öffnen!
Lk 16,19-31
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas.
In jener Zeit sprach Jesus zu den Pharisäern: Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte. Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lázarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lázarus in seinem Schoß. Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lázarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer. Abraham erwiderte: Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lázarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte. Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen. Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. Darauf sagte Abraham zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.