Junge Wohnungslosigkeit "keine Randerscheinung" - Direktor Schwertner fordert bundesweite Gesamtstrategie
Die Caritas der Erzdiözese Wien schlägt Alarm: Wohnungslosigkeit in Österreich hat ein junges Gesicht und wird politisch nicht ausreichend beachtet. Anlässlich einer Pressekonferenz im Jugend-Notquartier "a_way" forderte Caritas-Direktor Klaus Schwertner eine bundesweite Gesamtstrategie und einheitliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe.
In Wien sei bereits ein Drittel aller Wohnungslosen unter 30 Jahren, was rund 5.000 Betroffene ausmache. Da es österreichweit keine validen Daten gebe, vermutet die Hilfsorganisation eine weit höhere Dunkelziffer.
Schwertner kritisierte den "Fleckerlteppich" an Mindeststandards in den Bundesländern und forderte:
Eine systematische, regelmäßige und wissenschaftliche Erhebung zur Jugendwohnungslosigkeit, um wirksame Maßnahmen identifizieren zu können.
Eine bundesweite Gesamtstrategie gegen junge Wohnungslosigkeit.
Österreichweit einheitliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe.
Eine Verlängerung der Betreuungsangebote bis zum 24. Lebensjahr (speziell für sogenannte Care Leaver, die aus der Jugendhilfe herausfallen).
Caritas-Direktor Schwertner betonte: "Im Schnitt ziehen junge Menschen in Österreich erst mit 25 Jahren von zuhause aus – doch gerade von den vulnerabelsten jungen Menschen erwarten wir Selbstständigkeit ohne Unterstützung ab dem 18. Geburtstag."
Die Caritas präsentierte zudem Daten aus ihren Wiener Einrichtungen "a_way" und "JUCA". In den vergangenen 20 Jahren wurden dort über 10.000 junge Menschen begleitet. Die Datenauswertung zeigt, dass biografische Brüche die Wohnchancen massiv verschlechtern.
Die häufigste und seit 20 Jahren konstant gebliebene Ursache für junge Wohnungslosigkeit sei psychische und physische Gewalt in der Familie. So gaben 76 Prozent der Klienten an, den Kontakt zur Familie abgebrochen zu haben.
Weitere Ergebnisse der Erhebung:
Rund ein Drittel der Betroffenen hat bereits auf der Straße oder in einer Notschlafstelle geschlafen.
Ein Bruch nach Ende der Schulpflicht (rund mit 15 Jahren) oder der Wegfall staatlicher Unterstützungen bei Volljährigkeit sind oft weitere Auslöser.
Jede Unterbrechung der Wohnform verschlechtert die Möglichkeit auf eine stabile Wohnsituation nach dem Auszug um 13,8 Prozent.
Eine Delogierung vor dem Aufenthalt in einer Caritas-Einrichtung erhöht das Risiko, später prekär zu wohnen, um 89 Prozent.
Leiter Tom Aldrian wies auf die Wichtigkeit von frühzeitiger Hilfe hin: Viele Jugendliche würden sich aus Scham zunächst mit "Couchsurfing" retten und sich erst später an Hilfseinrichtungen wenden. "Wir haben ein sogenanntes 'window of opportunity', ein Zeitfenster, in dem wir eingreifen können. Je später das geschieht, umso länger dauert es für uns, mit ihnen Traumata aufzuarbeiten", so Aldrian.
Die Caritas betont, dass Wohnungslosigkeit junger Menschen "kein Zeichen persönlichen Scheiterns, sondern Lücken im System" aufzeige. Schwertner appelliert an die Gesellschaft für einen achtsameren Umgang mit jungen Wohnungslosen, die oft als "Gfrasta und Taugenichtse" beschimpft würden, obwohl sie Kinder seien, die dringend Hilfe benötigten.