"Möglicherweise liegt die Zukunft in Kurdistan. Viele Christen leben ja schon dort. Aber es gibt auch viele, die in Bagdad leben, manche auch in Basra im schiitischen Süden. Wir müssen die weitere Entwicklung abwarten", so Patriarch Sako.
"Möglicherweise liegt die Zukunft in Kurdistan. Viele Christen leben ja schon dort. Aber es gibt auch viele, die in Bagdad leben, manche auch in Basra im schiitischen Süden. Wir müssen die weitere Entwicklung abwarten", so Patriarch Sako.
Patriarch Sako, Oberhaupt der chaldäisch-katholischen Kirche im Irak, beklagt den christlichen Exodus im Irak und sieht kaum noch Chancen auf einen Gesamtstaat. Sako übt scharfe Kritik am Westen: "Fußball interessiert dort mehr als die Lage im Irak oder in Syrien".
Ein düsteres Bild der Zukunft des Irak hat der chaldäisch-katholische Patriarch Louis Rafael Sako I. gezeichnet. Er sehe kaum noch Hoffnung, dass der Irak als Gesamtstaat erhalten bleibt, sagte er in einem Interview mit der Hilfsorganisation "Kirche in Not". Die Zahl der Christen im Land werde weiter dramatisch schrumpfen - von einst mehr als einer Million auf bald nur mehr 50.000 Gläubige. Aber nicht nur sie litten unter der - wie Sako sagte - "dunkelsten Stunde des Irak". Harte Kritik übte der Patriarch an der Politik des Westens und besonders an den USA, die an der jetzigen Situation Schuld seien.
Vielleicht werde es künftig noch eine symbolische Einheit geben und der Name Irak werde weiterhin bestehen. Aber de facto wird es drei unabhängige Zonen der Kurden, Sunniten und Schiiten mit eigenen Haushalten und Armeen geben, zeigte sich der Patriarch überzeugt.
Zur Frage, ob die Mehrheit der arabischen Sunniten die islamistische Terrororganisation ISIS unterstützt, meinte der Patriarch: "Ja. Eindeutig. Sie teilen nicht unbedingt ihre Ideologie. Aber sie unterstützen das politische Ziel, das Regime zu wechseln und ihren eigenen Staat zu gründen. ISIS will einen islamischen Staat mit Ölquellen gründen, um die Welt zu islamisieren." Das sei eine Gefahr für die ganze Welt.
Welche Folgen der Staatszerfall für die Christen des Irak hat, sei derzeit noch nicht absehbar: "Ehrlich gesagt sind wir Bischöfe zum gegenwärtigen Zeitpunkt etwas ratlos", so Sako. "Möglicherweise liegt die Zukunft in Kurdistan. Viele Christen leben ja schon dort. Aber es gibt auch viele, die in Bagdad leben, manche auch in Basra im schiitischen Süden. Wir müssen die weitere Entwicklung abwarten."
Auf der am Freitag, 30. Juni 2014, zu Ende gegangenen Synode der chaldäischen Bischöfe in Bagdad sei eine Kommission von fünf Bischöfen der von ISIS kontrollierten bzw. von den Flüchtlingsströmen betroffenen Gebiete eingesetzt worden, die sich um die erste Hilfe für die Flüchtlinge kümmern soll. Sako erklärt: "Der amerikanische und der französischen Konsul waren hier, um uns zu helfen und eine Vision zu entwickeln. Die Dinge sind aber noch im Fluss. Ich bin mit anderen Bischöfen der Meinung, dass sich die Lage verschlimmern wird."
Es gebe bereits drei Fragmente des Irak, einen sunnitischen, kurdischen und schiitischen Teil. "Die Kurden haben ohnehin schon die Autonomie. Die Schiiten quasi auch. Die Sunniten folgen jetzt. Der Irak wird also geteilt werden. Wenn das so ist, dann ist es besser, sich zusammenzusetzen und einen Konsens zu finden, um weitere Kämpfe und den Verlust von Menschenleben zu vermeiden", so das Oberhaupt der chaldäischen Kirche.
Die derzeitige Situation sei die "dunkelste Stunde des Irak" für alle seine Bewohner, nicht nur für die Christen. Es gebe keine dezidierte Christenverfolgung. So seien etwa viel mehr Muslime aus Mossul und Umgebung vor den ISIS-Terroristen geflüchtet. "Aber was uns große Sorge bereitet, ist, dass die Abwanderung der Christen aus dem Irak zunehmen wird. Wir verlieren unsere Gemeinde. Wenn das christliche Leben im Irak endet, dann ist unsere Geschichte unterbrochen. Unsere Identität ist bedroht."
Die Tragödie bestehe vor allem auch darin, dass viele Familien bereits geteilt sind. Die Kinder lebten schon im Westen und fragten ihre Eltern ständig, warum sie noch immer dableiben und nicht nachkommen. "Diesen Trend kann man nicht stoppen. Das ist unmöglich", so Sako und weiter: "In zehn Jahren wird es vielleicht noch 50.000 Christen im Irak geben. Vor 2003 waren wir etwa 1,2 Millionen. Innerhalb von zehn Jahren sind wir auf vielleicht vier- bis fünfhunderttausend Gläubige geschrumpft. Genaue Zahlen haben wir aber keine."
Die Christen im Westen seien "sehr schwach", übte der Patriarch harsche Kritik: "Es gibt dort gute Christen, die uns mit ihrem Gebet und auch materiell unterstützen. Aber ihr Einfluss ist gering. Insgesamt tut der Westen überhaupt nichts. Wir sind sehr enttäuscht. Sie schauen unbeteiligt zu. Fußball interessiert dort mehr als die Lage hier oder in Syrien."
Die westliche Politik folge nur wirtschaftlichen Interessen. Die internationale Gemeinschaft sollte Druck auf irakische Politiker ausüben, damit sie eine politische Lösung finden und eine Regierung der nationalen Einheit bilden, forderte der Patriarch.
Rufe nach einer neuerlichen militärischen Intervention der USA im Irak wies Sako zurück: " Die Amerikaner waren hier und haben viele Fehler gemacht. Die jetzige Lage ist ihre Schuld. Die Amerikaner haben einen Diktator abgesetzt. Aber wenigstens hatten wir damals unter Saddam Hussein Sicherheit und Arbeit. Und was haben wir jetzt? Konfusion, Anarchie und Chaos. Dasselbe ist in Libyen und Syrien geschehen."
Wenn man eine Änderung der Situation im Irak will, dann müsse man die Menschen in den Schulen, Medien und Moscheen zu Freiheit, Demokratie und dem Aufbau des eigenen Landes erziehen. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild könne im Land aber unmöglich eingesetzt werden, so Sako: "Vielleicht brauchen wir im Nahen Osten in dem gegenwärtigen Kontext einen starken Führer, der aber gleichzeitig gerecht ist und nicht nur nach seiner Familie oder seinem Stamm schaut."