Kardinal Schönborn im Interview: Alle drei Pontifikate von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus waren stark vom Konzil geprägt. "Dieses Erbe von Franziskus ist daher nicht einfach nur sein, sondern es ist das gemeinsame Erbe der letzten Pontifikate aus dem Ereignis des Konzils heraus".
Unter den in Rom zum Konklave versammelten Kardinälen herrscht "ein ganz großer Konsens darüber, dass das, was Papst Franziskus gebracht hat in seinem Pontifikat nicht ein Bruch zu den vorhergehenden Pontifikaten war, sondern es eine große Kontinuität mit neuen Akzentsetzungen gibt". Das hat der emeritierte Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, im Interview mit Kathpress in Rom betont. Schönborn ist zwar aufgrund der Altersgrenze nicht mehr im Konklave wahlberechtigt, aber er hat an den Beratungen im sogenannten Vorkonklave teilgenommen.
Dort habe er "etwas angesprochen, was das Empfinden von sehr vielen von uns ist": dass es eine "Hermeneutik der Kontinuität" der Pontifikate von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus gebe - und keine "Hermeneutik des Bruchs". Das verbindende Moment sei bei allen drei Pontifikaten die Treue zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) gewesen und die Einsicht, dass es eine Erneuerung der Kirche "nicht in Abkapselung und Selbstbezogenheit" gelingen werde, sondern nur "im gemeinsamen Dienst an den Menschen und an dieser Welt".
Die Kontinuität lasse sich in vielen Themen von der Bewahrung der Schöpfung über die Freude am Evangelium bis hin zur Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten und dem interreligiösen Dialog aufzeigen, führte Schönborn aus. All diese Aspekte hätten auch schon Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aufgegriffen - allerdings eben in anderer Akzentuierung. "Und schließlich das große Thema der Synodalität": Auch damit habe sich Franziskus ja bewusst in den Horizont des Konzils und seiner Betonung der Communio (Gemeinschaft) gestellt - ein Schlüsselbegriff des Konzils zu einem zeitgemäßen Kirchenverständnis. "Dieses Erbe von Franziskus ist daher nicht einfach nur sein, sondern es ist das gemeinsame Erbe der letzten Pontifikate aus dem Ereignis des Konzils heraus".
Zugleich unterstrich Schönborn, dass es hohe Erwartungen im Blick auf die Teamfähigkeit des neuen Papstes gebe. "Diese Erwartung ist sehr stark", da die Lage der Kirche "noch viel komplexer geworden ist" und ein Papst heute nicht nur den Rat der Kardinäle benötige, sondern er auf eine intensive Zusammenarbeit mit der Kurie, den Dikasterien und auch den weltweiten Bischofskonferenzen angewiesen ist. Eine überstarke Personalisierung des Amtes führe da leicht "an die Grenze einer Überforderung". Daher werde einem künftigen Papst "von vielen von uns sehr nahegelegt, mit einem starken Teamwork seine Aufgabe wahrzunehmen".
Dass die ganze Welt jetzt nach Rom blickt und fasziniert ist von dem, was in der Katholischen Kirche vor sich geht, was sonst ja eher nicht so intensiv der Fall ist, interpretierte der Kardinal als Ausdruck eines "ganz tiefen, vielleicht nicht immer eingestandenen, aber ganz realen Bedürfnisses nach Sinn und Orientierung und auch nach einer Gestalt, die deutlich etwas repräsentiert, was sonst in der Welt nicht zum Ausdruck kommt". Der Papst stehe nicht für sich, nicht für eine große politische oder wirtschaftliche Macht.
Schönborn wie auch viele andere Kardinäle haben immer wieder gesagt, dass rein menschlich kein Kandidat dem Papstamt gewachsen ist. Weshalb es dann doch möglich sei, dass dieses Amt von Amtsträgern dermaßen ausgefüllt und ausgeübt wird, versuchte der Kardinal so zu erklären: "Das Geheimnis besteht darin, dass der Papst nicht sich selbst repräsentiert. Er steht auch nicht für einen Staat, nicht für eine Nation, auch nicht für eine besondere Philosophie, sondern: Er repräsentiert das, was letztlich das tiefste Sinnstiftende ist, er verweist auf die Transzendenz. Und für mich als Christ sage ich auch ganz einfach: Er verweist auf Jesus, von dem er diesen Auftrag hat: 'Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinschaft bauen.'" Das sei eine Gemeinschaft, die für alle Menschen da sein möchte und nicht ihren Zweck in sich selbst hat. "Dass eine solche Gemeinschaft möglich ist, das repräsentiert dieser Mann in Weiß", so Schönborn.
Bezeichnend dafür seien auch viele Reaktionen aus der muslimischen Welt auf den Tod von Papst Franziskus gewesen: "Da war eine große Trauer über den Verlust dieses Menschen, der mit dem Frieden identifiziert wird. Dieser Mann im weißen Gewand, der keine Armeen hinter sich hat, der keine große Wirtschaftsmacht repräsentiert, der auch nicht nur für eine religiöse Einzelgruppe steht, sondern in gewisser Weise das Geistliche repräsentiert.
Von der Innenseite als Kardinal her wolle er über das Vorkonklave bzw. die Generalkongregationen sagen, bei denen sich alle Kardinäle zu Besprechungen getroffen haben, dass es sehr berührend sei, sich neuen Tage lang zu treffen und sich auszutauschen, "immer mit dem Gedanken, der, der dieses weiße Gewand tragen wird, sitzt schon unter uns. Er weiß es nicht, wir wissen es nicht. Gott weiß es." Alles, was im Vorkonklave gesprochen wird, richte sich schon an den neuen Papst, "auch wenn keiner von uns weiß, wer es sein wird".
Wenn die Kardinäle Mittwochnachmittag zur Wahl in die sixtinische Kapelle einziehen, werde er innerlich sehr intensiv mit dabei sei, so Schönborn. Zugleich sei er nun in derselben Situation wie alle anderen Menschen auch, die gespannt auf den Ausgang des Konklaves warten.
Darauf angesprochen, dass sich Papst Franziskus sehr gewünscht hatte, gemeinsam mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomaios heuer Ende Mai vor Ort in der Türkei das 1.700-Jahr-Jubiläum des Konzils von Nicäa zu begehen, und dies nicht auch eine wegweisende erste Geste des neuen Papstes sein könnte, meinte Schönborn: "Ich weiß nicht, wer der neue Papst sein wird und ich weiß auch nicht, wie er die Akzente setzen wird, aber das Jubiläum wird zweifellos ein sehr wichtiger Punkt in seinem ersten Pontifikatsjahr sein. Und damit liege der Akzent auch gleich auf den Themen "Konzilien, Synodalität, Gemeinsamkeit, gemeinsames Zeugnis, gemeinsamer Weg".
Schönborn ging im Interview auch auf die drei Begräbnisse von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus ein: Bei allen drei seien Trauer, Präsenz und Verabschiedung durch das Volk Gottes überwältigend gewesen. "Wenn man die Schlangen gesehen hat, die beim Begräbnis von Johannes Paul II. waren oder jetzt wieder bei Franziskus. Diese vielen Menschen, die nur kurz am offenen Sarg vorbeigehen konnten. Für mich waren diese Menschen das Berührendste. Sie haben ihren Papst geliebt, schlicht und einfach geliebt. Sie haben eine Vatergestalt verloren."