Die Europäische Union baue auf Versöhnung und dem Hinausgehen über das eigene "nationale Ich", erinnerte Kardinal Hollerich.
Die Europäische Union baue auf Versöhnung und dem Hinausgehen über das eigene "nationale Ich", erinnerte Kardinal Hollerich.
Präsident der katholischen EU-Bischofskommission feierte traditionellen Gottesdienst beim "Tirol-Tag" des Forums Alpbach.
Kardinal Jean-Claude Hollerich hat beim "Forum Alpbach" Solidarität unter den Staaten Europas eingemahnt. Wenn jedes Land wie am Anfang der Coronakrise zuerst einmal an sich denke, lande man bei einem "lokal-nationalen Egoismus" - "und das kann sicher nicht christlich sein", sagte der Luxemburger Erzbischof am Sonntag, 23. August 2020, in der Pfarrkirche Alpbach beim Gottesdienst zum traditionellen "Tirol-Tag" des Forums. Wie in anderen Fragen dürfe auch die Antwort auf das Virus "eben nicht national beschränkt sein". Ziel müsse vielmehr sein, über Grenzen und Sprachregionen hinaus als europäische Staaten für das Gemeinwohl zusammenzuarbeiten. "Wir sind das gewohnt. Und wenn man das Gute gewohnt ist, fällt es nicht mehr auf", so der Kardinal und Präsident der katholischen EU-Bischofskommission (ComECE).
Die Europäische Union baue auf Versöhnung und dem Hinausgehen über das eigene "nationale Ich", erinnerte der Kardinal. Dieser Weg müsse konsequent weitergegangen werden. "Das Wie obliegt den Politikern. Aber dass mehr Zusammenarbeit für das Wohl aller christlich ist, das darf man auch nicht verschweigen", so Hollerich. Europa besteht aus multiplen Identitäten, "und das ist gut so", meinte der Kardinal: "Diese Identitäten sollen offen sein im Dialog miteinander. Das Christentum steht für diesen Dialog, steht für Öffnung zu Gott und zu den Menschen."
In seiner Predigt nannte Hollerich einen Mangel an Glauben als "eigentliche Krankheit der Kirche in Europa". Gleichzeitig betonte er die Bedeutung eines gesellschaftlichen und auch politischen Engagements aus dem christlichen Glauben heraus. Wie der Apostel Petrus, könne jeder Christ zu einem Fels für die Kirche und für andere werden: in der tätigen Nächstenliebe, in Familie und Berufsleben, aber auch in Gesellschaft und Politik.
"Das heißt nicht, dass die Kirche Politik machen soll", fügte der Kardinal hinzu. Politik werde von Christen gemacht, nicht von Bischöfen, Priestern und Diakonen. Die Kirche gebe aber mit ihrer Soziallehre die Richtung vor.
Auch wie man etwa mit dem Flüchtlingsproblem umgehe, sei daher prinzipiell Sache der Politik. "Aber man muss alle Leute menschlich behandeln, und wenn das nicht geschieht, dann muss die Kirche reden", betonte der Kardinal unter Verweis auf die Lage der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer. Es könne nicht sein, dass große Töne von europäischen Werten gesprochen werden, "die aber sofort enden, wenn es unserem nationalen Interesse widerspricht", mahnte der ComECE-Präsident.
Das Europäische Forum Alpbach 2020 steht heuer unter dem Generalthema "Fundamentals". "Die vergangenen Monate haben die Welt in ihren Fundamenten erschüttert. Das Forum Alpbach trägt eine Mitverantwortung dafür, dass die Menschen zusammenhalten, wenn es eng wird", sagte Forums-Präsident Franz Fischler im Vorfeld.
Corona-bedingt geht der Kongress heuer neue Wege und findet vorwiegend online statt. Viele hochrangige Gäste wie etwa UNO-Generalsekretär Antonio Guterres wollen per Zuschaltung an dem auf zwölf Tage verkürzten Forum teilnehmen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sollte das Forum am Sonntagabend offiziell eröffnen.
Im Rahmen der Diskussionen, Vorträge und Workshops gibt es auch einige Beiträge für religiös bw. theologisch Interessierte: So betrachtet der britische Religionsphilosoph Ryan Haecker am 2. September in einem Vortrag künstliche Intelligenz aus religiöser Sicht. Bereits am 27. August spricht der Wiener Moraltheologe und Mediziner Matthias Beck im Rahmen einer Podiumsdiskussin zu den Möglichkeiten und Grenzen der Biowissenschaften ("Life Sciences - Potentials and Limitations").
Die an der Uni Wien lehrende Sozialethikerin Irene Klissenbauer leitet am 1. September eine Arbeitsgruppe unter dem Titel "Religions: Friend or Foe in the Work for Women's Rights" ("Religionen: Freund oder Feind im Bemühen um Frauenrechte"); darin wird der Frage nachgegangen, wie religiöse Akteure bisher im Engagement für Frauenrechte auftraten und wie mit religiösen Argumenten umgegangen werden könnte, um Frauenrechte weltweit zu stärken.
Auch ein Top-Experte in Bezug auf den Klimawandel ist unter den Vortragenden: Der deutsche Klimaforscher Joachim Schellnhuber, der bei der Amazonien-Synode im Vatikan auf die Dringlichkeit hinwies, der globalen Klimakrise gegenzusteuern. Er wirbt am 31. August für einen "Green New Deal".
Vor Ort gibt es in der Kirche Alpbach für die wenigen Anwesenden, die dieses Jahr zum Forum anreisen dürfen, ein interreligiöses Programm. Impulse geben dabei u.a. die frühere Leiterin des Seelsorgeamtes der Diözese Innsbruck und designierte Caritasdirektorin Elisabeth Rathgeb, der Jesuit Max Heine-Geldern und die Muslima Carla Amina Baghajati.