"Meine Überzeugung ist, die Wahlfreiheit optimal anzubieten. Die Familien sollen ihr Familien- und Berufsleben so gestalten können, wie sie das für richtig empfinden", so die Familienministerin.
"Meine Überzeugung ist, die Wahlfreiheit optimal anzubieten. Die Familien sollen ihr Familien- und Berufsleben so gestalten können, wie sie das für richtig empfinden", so die Familienministerin.
Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin (VP): Ihr Familienbegriff ist sehr weit, und ihre Wortmeldungen stoßen bei Katholiken nicht immer auf Zustimmung.
Der SONNTAG hat nachgefragt – was sie vorhat, wie sie Wahlfreiheit versteht und wie es ihr, der zweifachen Mutter, mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht.
Frau Ministerin, es gibt ein Zitat von Ihnen: „Mir war das nie so richtig bewusst, unausgesprochen war das immer mein Lebenstraum, Familienministerin zu sein.“ Ist das noch immer so?
Sophie Karmasin: Es ist kein Traum, sondern Realität, und ich arbeite jeden Tag daran, dass Österreich das familienfreundlichste Land Europas 2020 bis 2025 wird. Da gibt es noch eine Menge zu tun.
Sie sind Mutter zweier Söhne. Wie vereinbaren Sie selbst Familie und Beruf?
Sophie Karmasin: Für uns ist Familie das Wichtigste. Mein Mann und ich stellen das in der Prioritätenliste an die erste Stelle. Unsere Mütter helfen auch in der Kinderbetreuung. Aber es gibt die diversen unvorhersehbaren Situationen, wenn Kinder erkranken, oder ihr Unterricht früher endet. Mein Mann und ich teilen dieselbe Grundhaltung und dann werden diese Herausforderungen situativ geklärt.
Es gibt eine Vielzahl von Leistungen für Familien. Trotzdem empfinden die Menschen hierzulande nicht so eine Familienfreundlichkeit. Woran liegt das?
Sophie Karmasin: Das ist das Komplexe an der Situation, dass wir in den Geldleistungen im europäischen Durchschnitt sehr großzügig sind und viel in Familien investieren: Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schulbücher, Freifahrten. Dennoch ist die Stimmungslage nicht merkbar familienfreundlich.
Da geht es offenbar nicht um das Geld, sondern um die grundsätzliche Haltung gegenüber Familien und die Frage: Wie wichtig ist uns Familie wirklich? In allen Umfragen rangiert sie ganz oben, aber wie spüren wir das gesellschaftlich, und wie können wir das leben?
Wie gut kommt die Ansage in Unternehmen, wenn Männer sagen, ich muss um 16 Uhr 30 gehen, weil mein Kind vom Kindergarten abzuholen ist, oder ich muss über Mittag drei Stunden nach Hause, weil das Kind krank ist? Das stößt noch nicht auf ungeteilte Akzeptanz. In anderen Ländern ist das sehr wohl der Fall, die zwar weniger für Familien ausgeben, aber eine andere Grundhaltung haben.
Wie können Sie sich dabei einbringen?
Sophie Karmasin: Das Thema immer präsent halten und darauf hinweisen, dass jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich dabei einbringen muss. Dann gibt es viele politische Instrumente, die wir versuchen umzusetzen, wie den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist dabei ein ganz wichtiger Punkt.
Wahlfreiheit ist ein Schlagwort, die Familien müssen zwischen mehreren Optionen wählen können, wie sie Familie leben und nicht eingeschränkt sind mit Kindergartenzeit oder keinen Teilzeitmodellen im Beruf. Im Vergleich zu nordeuropäischen Ländern sind wir dabei Lichtjahre entfernt. In Schweden sind 90 Prozent der Einjährigen in einer Kinderbetreuungseinrichtung. Ich denke, wir sollten uns durch solche Modelle inspirieren lassen.
Auch Modelle der Väterkarenz sind wichtig, denn die Rolle des fürsorglichen Vaters ist in unserer Gesellschaft noch nicht so etabliert. Daher ist es ein wichtiges Ziel, dass sich Männer in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterentwickeln. Wir planen gerade einen Partnerschaftsbonus im Rahmen des Kinderbetreuungsgeldes, um die Motivation zu stärken, dass sich Väter und Mütter halbe/halbe in die Kinderbetreuung einbringen.
Thema Wahlfreiheit. Gibt es Ihrerseits eine Wertung zwischen der Entscheidung für einen Betreuungsplatz für einjährige Kinder, oder dem Zuhausebleiben eines Elternteils, bis das Kind zwei, drei Jahre alt ist?
Sophie Karmasin: Meine Überzeugung ist, die Wahlfreiheit optimal anzubieten. Die Familien sollen ihr Familien- und Berufsleben so gestalten können, wie sie das für richtig empfinden und nicht wie ein gesellschaftliches Wert- und Normenbild oder die organisatorischen und infrastrukturellen Möglichkeiten es ihnen nahelegen. Deswegen wollen wir ja bei den Kinderbetreuungsplätzen aufholen.
Beim Kinderbetreuungsgeld wollen wir auch nicht in eine Richtung lenken. Wenn ich mich entscheide, zwölf Monate Kinderbetreuungsgeld zu beziehen, bekomme ich in Summe weniger heraus, als wenn ich mich für 30 Monate entscheide. Das ist für mich nicht Wahlfreiheit, sondern Lenkung. Daher möchten wir auf ein Kontosystem umstellen, wo wir einen Betrag für ein Kind definieren, der innerhalb eines Korridors beziehbar ist.
Meine Idealvorstellung ist, beide Elternteile reduzieren eine Zeit lang ihre Arbeitszeit und können sich beide optimal um das Kind kümmern. Und warum denken wir die Teilzeit nur immer bei den Frauen? Je länger wir sagen, das können sich Männer nicht leisten, wegen Job- oder Einkommensnachteilen, wird sich nie etwas ändern. Man muss die eingefahrenen Pfade aufbrechen, um mehr Lebensqualität für Männer, Frauen und Kinder zu erreichen.
Apropos eingefahrene Pfade. Das traditionelle Familienbild beschreibt Vater, Mutter, Kind. Zunehmend gibt es aber auch andere Familienmodelle. Wie sehen Sie das?
Sophie Karmasin: Ich definiere Familie als Ort, wo man sich zu Hause fühlt. Das besagt noch nicht in welcher Rechtsform, mit welchem Alter, mit welchem Geschlecht sich die Familie bildet. Ich sehe Familie eher vom Gefühl als Wertesystem und nicht als Rechtssystem. Das wäre nicht wertschätzend. Da spreche ich von alleinerziehenden Familien, von Adoptionsfamilien, Pflegefamilien, Mehrgenerationenfamilien und noch gar nicht von gleichgeschlechtlichen Familien. Ich scheue mich, eine Wertung vorzunehmen. Natürlich funktionieren in Österreich 80 Prozent der Familien über Vater, Mutter und Kind.
Ist es für Sie denn unzulässig zu sagen, Kinder sollten nach Möglichkeit mit Vater und Mutter aufwachsen können?
Sophie Karmasin: Selbstverständlich ist das eine Zielsetzung, die anzustreben und anzuerkennen ist. Wichtig dabei ist selbstverständlich, dass auch die Beziehung stimmt. Nur weil es Vater, Mutter und Kind sind, heißt das noch lange nicht, dass das eine intakte und positive Familie ist.
Einsamkeit nimmt zu. Wie beschäftigt Sie als Familienministerin dieses Thema?
Sophie Karmasin: Das ist leider eine sehr negative Entwicklung unserer Gesellschaft. Großfamilien mit mehreren Generationen sind ein sehr schöner Zugang zu Familie, den wir fördern und stärken sollten. Zum Beispiel im Wohnbau mit Mehrgenerationenbauten. Es gibt Modelle wo ältere Menschen über Tag in betreuten Wohneinheiten sind, auch mit Kindern zusammenkommen, und am Abend wieder in ihren Familien. So kann man Integration von älteren Menschen fördern.
Die Ökonomisierung der Gesellschaft spielt dem Familienideal entgegen. Beschäftigt sich Ihr Ministerium mit den daraus folgenden Herausforderungen?
Sophie Karmasin: Wir arbeiten derzeit gemeinsam mit Unternehmen an einer Plattform, um gemeinsam darzustellen, dass Familienfreundlichkeit nicht nur für die Familien, sondern auch für Unternehmen sehr wichtig ist. Denn es ist der Schlüssel, um Mitarbeiter länger zu binden und die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern. Letztendlich müssen nicht die Familien jobfreundlicher werden, sondern die Unternehmen familienfreundlicher.
Hat der freie Sonntag als ein Tag, an dem die ganze Familie zusammenkommen kann, eine besondere Bedeutung?
Sophie Karmasin: Ja. Ich glaube, wir müssen wirklich danach trachten, dass wir genügend gemeinschaftliche Punkte und Erlebnisse für Familien haben. Das ist heutzutage gar nicht mehr so leicht. Es ist alles flexibler, schneller geworden. Auch wenn es banal klingt, ich halte die gemeinsamen Fernsehereignisse für wichtig, einfach um gemeinsam Zeit zu verbringen.
Da geht es nicht immer um hochintellektuelle Geschichten, sondern es geht darum, dass man als Familie etwas gemeinsam tut. Ob das tägliche Frühstück, das Abendessen, der Spaziergang am Sonntag, ein Messbesuch, wichtig ist, dass wir die gemeinsamen Erlebnisse fördern.
Wie geht es Ihnen mit dem lieben Gott? Spielt er eine Rolle, wenn ja, welche?
Sophie Karmasin: Ich bin keine regelmäßige Kirchgängerin, aber über die Pfarrgemeinde meiner Kinder habe ich sehr viel Nächstenliebe kennen gelernt. Auf dieser kleinen Ebene passiert sehr viel an Vertrauen und Liebe, das finde ich sehr positiv.
Sophie Karmasin, geboren 1967, studierte Psychologie und Betriebswirtschaftslehre.
Sie arbeitete bei Werbeagenturen und als Produktmanagerin. Sie war in der Motivforschungsagentur ihrer Eltern und jahrelang als politische Analystin im ORF tätig. Im Dezember 2013 wurde sie als Parteiunabhängige von der ÖVP zur Familien- und Jugendministerin nominiert.
Sophie Karmasin ist verheiratet und Mutter zweier Söhne.
Webseite: "Der Sonntag"
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