Kardinal in Interviews anlässlich des Papst-Begräbnisses: Päpste haben ohnmächtige Stimme, können jedoch Herzen berühren. Erbe von Franziskus noch nicht entschieden.
Papst Franziskus ist nach den Worten von Kardinal Christoph Schönborn in seiner politischen Wirkung durchaus mit Johannes Paul II. zu vergleichen. "Beide haben viel bewegt. Johannes Paul hatte mehr Zeit zum Bewegen", sagte der emeritierte Erzbischof, der sich seit Freitag in Rom zu den Begräbnisfeierlichkeiten für Franziskus und zum daran anschließenden Vorkonklave aufhält, in einem Interview mit Radio Vatikan. Ein "sehr politischer Papst" sei Franziskus gewesen, "wenn man Politik als das versteht, was sie im Tiefsten ist: Nicht Manipulation, sondern eine bewusste, strukturierte Pflege des Gemeinwohls", so Schönborn.
Als Beispiel nannte der Kardinal das Bemühen von Franziskus um den Südsudan. Der Pontifex hatte die politischen Führer des aus einem Bürgerkrieg hervorgegangenen jüngsten Staates der Welt im Jahr 2019, als dieser in einen neuen Bürgerkrieg geriet, in den Vatikan zu Einkehrtagen eingeladen, zumal sie beide Christen waren. Dass Franziskus sich bei ihrem Empfang zum Schluss zum Schock aller Umstehenden zu Boden geworfen und ihnen die Schuhe geküsst habe, sei "ein höchst politischer Akt" gewesen, betonte Schönborn.
Dass der Einsatz des Papstes angesichts des 2022 wütenden Ukrainekrieges bisher nicht den Frieden gebracht habe, sei "nicht neu in der Geschichte", verwies Schönborn auf das Bemühen von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg. Auch der Vorgänger-Papst am Beginn des 20. Jahrhunderts sei dafür beschimpft worden, im auch damals "völlig sinnlosen und wahnsinnigen Krieg, der endlos viele Opfer gekostet hat" und bei dem es wie auch jetzt in der Ukraine um Machtgebärden, übersteigertes Machtstreben ohne Rücksicht auf die Menschen gegangen sei, "naiv" gewesen und nichts ausgerichtet habe.
"Die Stimme des Papstes ist eine ohnmächtige Stimme. Aber es ist eine Stimme - und sie ist zu hören. Und sie wird gehört", unterstrich der Kardinal. Als Hinweise darauf wertete er die Rede von Franziskus im US-Kongress, bei der er das durch Waffenhandel verdiente Geld als "von Blut triefend" angeprangert habe. Damals habe er den Sprecher des Kongresses hinter ihm sichtbar zu Tränen gerührt. "Das ist die Kraft des Papstes - die Herzen zu erreichen. Und dann hoffen, dass es zur Besinnung kommt. Man kann das naiv nennen - oder man kann sagen: Das ist die einzige realistische Zugangsweise", befand Schönborn.
Es sei geradezu ein Kennzeichen des Papstes aus Argentinien gewesen, dass er die Herzen berührt habe, sagte Schönborn, "und ohne Berührung der Herzen gibt es keine Umkehr, keinen Weg des Evangeliums". Schon aus diesem Grund sei er sicher, dass vieles von Franziskus Angestoßene - "das was er ausgesät hat" - weitergehen und wachsen werde. Einen Automatismus gebe es dabei jedoch nicht, vielmehr liege es nun an der Kirche und an der Christenheit insgesamt, die Impulse aufzunehmen und das Erbe des verstorbenen Kirchenoberhaupts weiterzuführen.
Zu diesem Erbe zählte der Kardinal auch die Geschwisterlichkeit mit dem Islam. Franziskus sei von tiefem Vertrauen beseelt gewesen, "dass ein Miteinander möglich ist - in der gemeinsamen Verantwortung vor Gott und in echter Freundschaft". Sichtbar gewesen sei dies in seiner "berührenden" Freundschaft mit Großimam Al-Tayyeb, seinem Treffen mit Ayatollah Sistani in Bagdad oder auch dem "überwältigend positiven" Echo auf Papst Franziskus angesichts dessen Todes in der islamischen Welt. An ihn werde dort als "Mann des Friedens" und als einer, "der auf uns zugegangen ist" erinnert. "Das ist uns jetzt anvertraut", so Schönborn.
Ein von Franziskus gesetzter "Meilenstein im weltweiten ökologischen Bewusstsein" bleibt laut dem Kardinal zudem die Enzyklika "Laudato si'" - auch wenn man derzeit erlebe, "wie massiv weltweit zurückgenommen wird, was hier schon gesät war". Ein anderes großes Anliegen des verstorbenen Papstes sei die Flüchtlingsproblematik gewesen. "Werden wir in Europa zum Beispiel begreifen, dass die Zukunft Europas davon abhängt, wie wir mit diesem Thema umgehen?", fragte Schönborn. Franziskus habe niemanden zwingen können und dies auch nicht gewollt, "aber er hat Wegmarken gesetzt. Es liegt jetzt an uns, ob wir diese wahrnehmen".
Schönborn, der seit den 1980er Jahren verschiedene Aufgaben im Vatikan innehatte, kannte die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus gleichermaßen aus der Nähe. Allen dreien attestierte er, "sehr humorvoll" gewesen zu sein. "Johannes Paul II. liebte es zu lachen. Benedikt, den ich am längsten kannte, hatte einen ganz feinen, oft ironischen, aber nie verletzenden Humor. Auch in der Glaubenskongregation wurde viel gelacht - sogar noch als er Papst war. Bei Franziskus war es ähnlich." Gespeist gewesen sei dieser Humor aus Selbstdistanz und der Einsicht, nur Werkzeuge Gottes zu sein, nicht die Macher. "Alle drei waren sich bewusst: Ich trage diese Bürde nicht allein."
In einem weiteren Interview mit österreichischen Journalisten am Freitagabend gab Schönborn an, er habe viele persönliche Erinnerungen an Franziskus. "Er hat mich öfters eingeladen, mit ihm mit seinem kleinen Fiat durch Rom zu fahren. Das ist sogar mehrmals passiert", erzählte der emeritierte Wiener Erzbischof.
Franziskus sei ein Papst gewesen, der "unglaublich auf Menschen zugehen konnte" und von großer Empathie beseelt war. Erneut kam Schönborn darauf zu sprechen, dass Franziskus die Flüchtlingsfrage für Europa ein großes Thema sei. Franziskus habe hier "Standards gesetzt und Prophetisches gesagt".
Als großes Erbe des verstorbenen Papstes bezeichnete der Kardinal den "Aufruf zur Hoffnung". "Es gibt so viele Unglückspropheten und es gibt vieles, was heutzutage hochdramatisch ist, aber Hoffnung darf man nie verlieren und diese Botschaft ist, was der Papst uns für dieses Heilige Jahr hinterlassen hat, das ist sein Erbe. Die Zukunft gehört denen, die Gründe für Hoffnung vermitteln. Wie Franziskus in einem seiner programmatischen Schreiben zu Beginn seines Pontifikats gesagt hat, dürfen wir uns nicht die Hoffnung rauben lassen", erklärte Schönborn.
Der emeritierte Wiener Erzbischof beteiligt sich an den Treffen der Kardinäle zur Vorbereitung des Konklaves, an dem er altersbedingt jedoch nicht teilnehmen kann. "Ich werde bei den neuntägigen Gesprächen vor dem Konklave dabei sein. Ich bin kein Papst-Wähler mehr und es ist auch gut so. Franziskus hat so viele Kardinäle ernannt, da sind prächtige Menschen, die sehr engagiert sind, die sich auskennen. Das ist die Generation, die jetzt dran kommt", erklärte der Kardinal.
Dass der italienische öffentlich-rechtliche Sender Rai ihn in einem Online-Beitrag als möglicher Papst-Kandidat - obwohl nicht wahlberechtigt - gesehen habe, entgegnete Schönborn gegenüber dem Ö1-Morgenjournal (Samstag) mit Gelassenheit. Die Überlegung, dass ein 80-jähriger Kardinal, der nicht mehr im Amt sei, zum Papst gewählt werde, sei für ihn nicht mehr als "reine Spekulation".