Alle Augen sind auf den Rauchfang gerichtet.
Alle Augen sind auf den Rauchfang gerichtet.
Mehr als 5000 Medienschaffende ringen zurzeit auf dem Petersplatz in Rom um Worte. Information ist teuer. Vor allem kostet sie enormes Engagement.
Ein Blogbeitrag von Georg Schimmerl aus Rom.
Wie wir es gewohnt sind, informiert zu werden, wie wir Informationen brauchen und suchen, ja, in gewisser Weise ein Recht darauf sehen, möglichst zeitgleich und selbstverständlich kostenfrei auf dem laufenden gehalten zu werden – so machen wir uns kaum eine Vorstellung davon, wie viel Arbeit und Energie in einer guten und zuverlässigen Information steckt. Die mehr als 5.000 Journalisten, die sich derzeit im Vatikan aufhalten, um das geheimnisvolle Geschehen des Konklaves zu erklären und zu erzählen, stehen vor einer immensen Herausforderung. Es war schon vor der eigentlichen Papstwahl Schwerstarbeit, den Kardinälen bei ihren vorbereitenden Versammlungen auch nur ein Wort zu entlocken. Umgekehrt ist es für die Begleiter eines Kardinals unglaublich herausfordernd, die teils grenzüberschreitenden Zudringlichkeiten abzuwehren. Dieses Aufeinandertreffen ist oft von Anspannung geprägt, ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Dynamiken. Auf der einen Seite steht eine Kultur, die versteht, wovon zu schweigen ist und es vorzieht über Symbole zu kommunizieren, auf der anderen Seite der Kraftaufwand das unserer säkularen und doch interessierten Welt zu erklären.
Gestern Nachmittag im Pressesaal des Vatikans, inmitten einiger hundert Journalisten, beobachte ich auf den Bildschirmen den Einzug der Kardinäle ins Konklave. Es beginnt mit einer langen Zeit schweigender Kardinäle, die in der Cappella Paolina im Gebet verharren. Mit dieser Stille tun sich die Medienschaffenden schwer; es wird viel geplaudert, diskutiert, spekuliert, analysiert. Doch als Kardinal Parolin die Kapelle betritt und das Konklave mit einem liturgischen Gruß eröffnet, ist es still. Mein erster Gedanke: endlich Stille! Für alle wird ein wenig erfahrbar und spürbar: das Konklave ist eine Wahl, aber noch mehr ein Gottesdienst, eine liturgische Feier. Erst ab dem Zeitpunkt, wo die Kardinäle einer nach dem anderen zum Evangelium schreiten, um ihren Eid abzulegen, dass sie in Freiheit und völlig unbeeinflusst von irgendwelchen äußeren Interessen im Gewissen gemäß dem Willen Gottes wählen werden, beginnen wieder die Gespräche. Auch ich muss immer wieder schmunzeln: Latein ist scheinbar aus der Mode gekommen. Viele der Kardinäle stolpern über die kurze, einfache Formel, sei es an einzelnen Worten, sei es an der Betonung. Und ausgerechnet jene Kardinäle, die dafür bekannt sind, für die traditionelle, vorkonziliare Liturgie einzutreten und sie zu verteidigen, ausgerechnet die machen gravierende Fehler bei dieser kurzen lateinischen Formel. Man muss kein Traditionalist sein, um Latein zu mögen; ich persönlich habe seit meiner Jugend einen starken Zugang zu dieser Sprache, und es tut immer wieder fast körperlich weh zuzuhören. Der Ritus dauert ungewöhnlich lang; immerhin müssen 133 Kardinäle fortschreiten, um diesen Eid abzulegen. Und ich tausche mit meinem Nachbarn Vermutungen aus, wie lange wohl jeder Wahlgang dann dauern wird, wenn schon diese kurze Formel so große Schwierigkeiten macht, wo doch jeder Kardinal, bevor er seine Stimme abgibt, einen doch etwas längeren, ebenfalls lateinischen Satz formulieren muss.
Es ist 19:00 Uhr, und ich will ein bisschen raus aus dem Bienenstock des Pressesaals und komme in eine Art Jahrmarkt der Fernsehberichterstattung. Ich werde eigentlich nur geschoben, bis ich endlich an einer Absperrung lande, an der ich mich halbwegs sicher fühle, trotz des Gedränges. Starr wie viele blicke ich auf den kleinen, erstaunlich unscheinbaren Kamin, aus dem die meisten glauben, um 19:30 Uhr oder vielleicht zwischen 19:30 Uhr und 20:00 Uhr der erste, mit größter Wahrscheinlichkeit schwarze Rauch aufsteigen wird. Die Zeit vergeht und vergeht, meine Zweifel scheinen sich recht zu behalten. Es wird spät, um 20:30 Uhr ist auch mir die Sache nicht mehr ganz geheuer. Ich komme ins Gespräch mit einem österreichischen Journalisten, und wir stellen Vermutungen an, was alles passiert sein könnte. Haben die Kardinäle heute vielleicht doch nicht gewählt? Ist ein gesundheitliches Problem aufgetreten, und was wäre in diesem Fall? War vielleicht die Predigt zu lang? In einem Chat unter den Akkreditierten herrscht die große Meinung vor, der frühere päpstliche Hausprediger Raniero Cantalamessa predigt schlicht zu lange, denn am Anfang, nachdem alle die Sixtinische Kapelle verlassen, steht eine Predigt am Programm. Eigentlich sind die Spekulationen alle müßig. In dem Augenblick, in dem ich persönlich aufgebe und sage, das wird wohl heute nichts mehr, steigt der berühmte und auch erwartete schwarze Rauch auf. Applaus brandet auf, und ich frage mich warum und merke, dass ich doch als Mitteleuropäer ein etwas karges Gefühlsleben habe. Beim Heimgehen schaue ich kurz in die Sala Stampa vorbei; alle sind damit beschäftigt, der Geschichte dieses Abends, der Geschichte dieses späten schwarzen Rauchs, einen Rahmen zu geben, eine Erklärung zu kommunizieren.
Als ich die Straße überquere, treffe ich spätabendliche Jogger und wundere mich ein wenig: nur einen Steinwurf vom Vatikan entfernt ist das Leben scheinbar völlig unberührt von dieser Wendezeit für die katholische Kirche.