Pfarrer Rainer Maria Schießler: „ Wir müssen einfach lernen, dass aus praktischen Gründen das Glockenläuten nicht mehr reicht, dass die Leute kommen, sondern dass wir vom Wesen des Dienens her Kirche wieder neu verstehen müssen".
Pfarrer Rainer Maria Schießler: „ Wir müssen einfach lernen, dass aus praktischen Gründen das Glockenläuten nicht mehr reicht, dass die Leute kommen, sondern dass wir vom Wesen des Dienens her Kirche wieder neu verstehen müssen".
Er schenkte auf der „Wiesn“ Bier aus und leitet Gottesdienste auf Fabrikdächern.
Der Münchner Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler steht für unkonventionelle Zugänge im Glauben. Der SONNTAG hat mit ihm über die Herausforderungen des Religionsunterrichts gesprochen.
Wir beide kennen uns. Ich konnte den Münchner Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler vor zwei Jahren in seiner Pfarre St. Max im hippen Glockenbachviertel in „Minga“ interviewen (siehe: „Sakramente muss man spüren"). Es ging um seine Berufung und seine Bücher: „Himmel, Herrgott, Sakrament“ (siehe: Buchtipp) und „Jessas, Maria und Josef“. Beide Bücher verkauften sich wie „warme Semmeln“ in Bayern und dem gesamten deutschen Sprachraum.
Schießler engagiert sich sozial. Er beherbergte geflüchtete Menschen im Pfarrhaus und hat über Jahre beim Oktoberfest auf der „Wiesn“ Bier ausgeschenkt, den Verdienst hat er syrischen Flüchtlingen gespendet. Im Sommer hält er auch schon mal eine „Bergmesse“ auf einem Dach eines stillgelegten Firmengeländes.
Nun ist Pfarrer Schießler Hauptreferent beim Religionslehrertag des Schulamtes der Erzdiözese Wien. Rainer Maria Schießler möchte den Religionslehrerinnen und Religionslehrern Tipps und Anregungen für gelingenden Religionsunterricht geben.
Was ist Ihrer Meinung nach im Religionsunterricht gefragt?
Wenn ich es mit einem Wort sage: Authentizität. Also wirklich Wiedererkennungswert. Weil ja nicht nur ein Stoff abgearbeitet werden soll, sondern mehr als in jedem anderen Fach der Stoff, das Wissen und die Person in eine Beziehung gebracht werden. Was jetzt nicht heißt, dass das in einem anderen Fach nicht auch möglich wäre.
Wie war das in Ihrer eigenen Schulzeit?
Ich hatte sehr engagierte Lehrer. Die Engagierteste war die Mathematiklehrerin. Sie hat dieses Fach geliebt und uns für Mathematik begeistern können. Ich habe mich oft gefragt: Warum gelingt das meinem Religionslehrer nicht? Das heißt jetzt nicht, dass er der absolute Toptyp sein muss, aber Begeisterung zu entfachen, das ist heute gefragt.
Wie ist es Ihnen als Seelsorger dann im Religionsunterricht ergangen?
Jeder, der mit dem Beruf beginnt, lernt nicht nur Religionspädagogik, sondern auch die Umsetzung in die Praxis. Als Diakon und Kaplan habe ich das gerne in der Grund- und Hauptschule gemacht.
Es war aber auch eine Zeit, in der ich mich dafür engagieren konnte. Ich musste noch keine Termine wahrnehmen, so wie später als Pfarrer. Außerdem war am Land der Erstkommunionunterricht ganz eng mit der Pfarre verzahnt.
Das heißt, es wurde für Sie strukturell schwieriger?
Ja, denn ich musste alle Termine selbst bewältigen, wie zum Beispiel Beerdigungen. Und wenn der Termin an einem Tag war, an dem ich Religionsunterricht hatte, ist der dann ausgefallen. In München wird aus organisatorischen Gründen kein Termin verschoben.
Ganz schleichend entsteht dann das Gefühl, Religion ist das Fach, das dauernd ausfällt, weil der Pfarrer woanders hin muss. Dann habe ich einen fixen Mitarbeiter bekommen, der die Beerdigungen übernommen hat.
Was ist denn gegenwärtig im Religionsunterricht gefragt?
Ich war früher Eishockeyspieler, und wenn wegen Schlägereien oder Fouls oft nur mehr drei Feldspieler und der Torwart am Eis standen, riefen die Zuschauer: Jetzt geht’s los, denn jetzt ist Platz.
So sportlich möchte ich es auch sehen, was wir jetzt im Religionsunterricht anpacken müssen. Es wird leerer und dünner, das Interesse ist nicht mehr so da, wie früher. Die gesellschaftlichen Unterstützungen sind nicht mehr da.
Aber jetzt haben wir Platz. Also bitte jetzt nicht jammern, sondern hinsetzen und überlegen, was wir tun können.
Was gilt es zu tun?
Wir müssen als Kirche wieder mehr in der Schule sein, auch als Geistliche. Wir sollten uns zudem im Wohnungsbau engagieren, und es geht um die Bildung der Erwachsenen.
Wir müssen zwei, drei Generationen auffangen, die nachholen müssen, was in einer normalen Entwicklung verloren gegangen ist, auch an religiöser Bildung.
Warum soll ich in eine Kirche in den Gottesdienst gehen, wenn ich keine Wohnung finde? Warum soll ich dann Messe feiern? So denken die Menschen. Und wir müssen dieses Zusammenspiel bringen, dann haben wir vier Füße und dann kann der Tisch stehen.
Ein Plädoyer für eine nachgehende Kirche?
„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“, sagte einst Bischof Jacques Gaillot von Èvreux. Wir müssen einfach lernen, dass aus praktischen Gründen das Glockenläuten nicht mehr reicht, dass die Leute kommen, sondern dass wir vom Wesen des Dienens her Kirche wieder neu verstehen müssen.
So wie Christus zu den Menschen gegangen ist. Er ist auf den Baum, auf dem Zachäus saß, zugegangen. Er ist zu den Pharisäern in die Häuser gegangen. Man hat gesagt, er isst mit Zöllnern und Sündern.
Er ist zu ihnen gegangen, er hat nicht Hof gehalten. Das ist das Stichwort. Wir haben gelernt, in einer ganz großen geistlichen und vor allem materiellen Saturiertheit Hof zu halten.
Können Sie Beispiele nennen?
Ich muss aktiv auf Familien zugehen. „Habt ihr daran gedacht, dass jetzt der Jahrgang gekommen ist, an dem euer Kind zur Erstkommunion geht?“ So schreibe ich das etwa in Briefen an die Eltern. „Möchten Sie, dass wir mit Ihnen diesen Weg gehen?“ Da schreibe ich keine Termine vor.
Bei uns suchen sich die Eltern den Tag aus, an dem sie ihr Kind taufen wollen, nicht ich. Die Kinder suchen sich den Sonntag aus, an dem sie zur Erstkommunion gehen, nicht ich. Ich bin dazu da, sie auf diesem Weg hin zu führen.
Ihnen ist Auftreten statt Austreten wichtig. Bleiben wir bei Ersterem: Die junge Generation sorgt sich um das Klima und protestiert.
Wie sehen Sie das?
Ich bin mit dabei. Ich bin jeden Freitag in Bayern bei so einer Veranstaltung. Wir haben jetzt diesen großen „Fridays for Future“-Tag gehabt und mit einer Reihe von Münchner Kirchen mitgemacht, mit dem fünfminütigen Geläut.
Es hat mich enttäuscht, dass es nur eine Handvoll von Kirchen war, die da mitmachte. Aber wir haben mitgemacht. Wir haben sogar eine eigene Gruppe gebildet: „Parents for Future“. Es gibt auch schon „Church for Future“.
Alles gut und wichtig, was aber auch heißt, dass ich kritisch begleite. Dass ich immer wieder mit den Jugendlichen ins Gespräch komme. Ich sage ihnen: „Ihr müsst schon auf eure eigene Identität schauen und darauf wie ihr in der Öffentlichkeit rüberkommt.“
Was meinen Sie?
Warum brauchen wir heute vor Schulen etwa „kiss and go“-Zonen? Dort bringen Eltern ihre Kinder mit dem Auto hin, bleiben stehen, geben ein Küsschen und schalten den Motor dabei nicht aus.
Aus meiner Sicht müssen die Kinder sagen: „Weg mit diesen Elternhaltestellen! Wir kommen mit dem Schulbus, öffentlich oder mit dem Fahrrad, aber wir werden nicht chauffiert. Das ist unser Beitrag für das Klima.“
Ich war 33 Jahre alt, als ich das erste Mal mit dem Flugzeug geflogen bin, heute gibt es Zehnjährige, die in den Ferien auf die Malediven fliegen. Dafür können sie nichts, weil es die Eltern planen.
Aber kritisch denken heißt, miteinander zu überlegen, wo wir noch besser und wirksamer werden können. Ich glaube, auch der Letzte (außer Trump) hat begriffen, dass wir was tun müssen.
Rainer Maria Schießler
Geboren
am 7. Oktober 1960 in München
Bildung:
Abitur am Wittelsbacher-Gymnasium, Studium der Theologie in München und Salzburg
Pfarren:
Kaplan in Bad Kohlgrub, Rosenheim, München-Heiligkreuz, seit 1993 Pfarrer in München-St. Maximilian
Primizspruch:
Gott ist Licht, keine Finsternis ist in ihm
Lieblingsmusik:
Bach, Vivaldi, Mozart, U2, Bruce Springsteen, Phil Collins
Gott zwingt nicht, er begeistert.
Kösel, München 2018
ISBN: 978-3466372089
Auftreten statt austreten.
Kösel, München 2016
ISBN: 978-3466371471
Das ausführliche Interview von Stefan Hauser mit Pfarrer Rainer Maria Schießler ist
im Podcast auf radio klassik Stephansdom unter „Perspektiven“ nachzuhören: https://radioklassik.at/eine-religion-die-nicht-dient-dient-zu-gar-nichts/
aus dem Archiv: Lebenswege - https://radioklassik.at/rainer-maria-schiessler/
Rainer Maria Schießler
privat
Leben ist…
zu spüren, dass jeder Mensch etwas ganz Besonderes ist.
Dass ich überhaupt leben darf, dass es mich vorher noch nie gegeben hat.
Und dass es mich nie mehr geben wird. Dass ich etwas Einzigartiges in dieser Welt bin. Das ist die Würde, die jedem zuteil wird.
Sonntag ist…
bei den Urchristen der achte Tag. Gibt es etwas über dieses Leben, über diese Schöpfung hinaus? Das neue Leben.
Ich habe einen alten Mann gefragt, der jeden Tag in die Kirche geht, ob er jungen Leuten erläutert, warum?
Er hat es gemacht und gesagt, weil ich hier jeden Tag eine Audienz beim Salvator Mundi bekomme, beim Erlöser der Welt. Ich gehe nicht in die Kirche, weil ich muss.
Wenn ich als Pfarrer am Sonntag vor meinen Leuten stehe, weiß ich, da ist jetzt kein Einziger dabei, weil er muss, sondern weil er will.
Das ist meine Chance.
Glaube ist…
zu wissen, dass nichts in meinem Leben passiert, was für mich nicht eine Bedeutung hätte.
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at