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13.01.2020 · Karitatives · Barmherzigkeit

„Ein Kinderlachen ist die beste Motivation für mich“

„In unserem Beruf gibt es sehr schöne Erlebnisse, aber eben auch schwierige“, sagt Hiyam Marzouqa. „Gott sei Dank überwiegen aber die Momente, in denen uns klar wird, wie vielen Kindern wir helfen können, wie viele Kinder dank des Spitals gesund geworden sind.“

Seit 30 Jahren arbeitet Dr. Hiyam Marzouqa im Caritas Baby Hospital. Als Chefärztin trägt sie die Verantwortung für die medizinische Ausrichtung des Kinderspitals in Bethlehem. Für diese herausfordernde Aufgabe findet sie Kraft in ihrer Familie. Und im Glauben. 

 

 

Die Medizin war immer etwas ganz Besonderes im Leben von Hiyam Marzouqa. Schon als Kind. „Wir hatten wenig Geld. Aber an guter medizinischer Versorgung und ausreichend Essen, daran sollte es nie mangeln.“

 

Regelmäßig fuhr sie, die Älteste von sieben Kindern, mit ihrer Mutter und den Geschwistern mit dem Bus zu ihrer palästinensischen Kinderärztin in Jerusalem. In den siebziger Jahren war das noch möglich – Checkpoint und Kontrollen gab es nicht. „Ich war fasziniert von der besonnenen Art der Kinderärztin und der sauberen Praxis“, sagt Hiyam Marzouqa.


Studium in Würzburg

Vielleicht wuchs auch wegen dieser guten Erfahrungen in Hiyam Marzouqa schon früh der Wunsch, selbst Kinderärztin zu werden. Mit Bestnoten machte sie an der deutschsprachigen Schule in Bethlehem ihren Abschluss und erhielt ein Stipendium für ein Medizinstudium in Würzburg.

 

Gerade mal 19-jährig flog sie nach Deutschland. Ihre erste Reise überhaupt, ganz auf sich gestellt, fernab von ihrer Familie. „Anrufe nach Hause waren teuer“, erinnert sich Hiyam Marzouqa, Emails gab es noch nicht und Post nach Bethlehem dauerte oft Wochen lang.

 

Fast täglich verfasste sie Briefe an ihre Eltern, berichtete ausführlich vom anstrengenden Studium und vom Alltag in Deutschland. Nur von ihrem Heimweh schrieb sie nichts. Sie wollte die Eltern nicht beunruhigen. „Sonntags war es am schlimmsten“, erzählt Hiyam Marzouqa. Statt wie gewohnt im Kreise der Großfamilie, aß sie jetzt allein. Zwar wohnte sie bei einer älteren Dame zur Untermiete, die sehr nett war, aber „eine Familie ist halt doch etwas Anderes“.


Neue, medizinische Herausforderungen

1989 schloss Hiyam Marzouqa ihr Studium ab und machte, zurück in Bethlehem, ein Praktikum im Caritas Baby Hospital. Bald wurde sie Assistenzärztin und merkte, dass ihre Ausbildung sie zwar optimal für den medizinischen Alltag in Europa vorbereitet hatte, sich im Westjordanland aber ganz neue Herausforderungen stellten. Dort gab es Krankheitsbilder, die sie bisher nur von Lehrbüchern kannte: genetisch bedingte Missbildungen, schwerste Unterkühlungen oder lebensgefährliche Unterernährung.

 

Auch die Ausrüstung im Caritas Baby Hospital war damals nicht mit jener zu vergleichen, die sie vom Studium her kannte. „Früher“, erinnert sich Hiyam Marzouqa, „hatten wir hier nicht einmal ein Beatmungsgerät.“  


Erster Ansprechpartner in Palästina

Wenn die Kinderärztin auf diese Zeit zurückblickt, wird ihr bewusst, wie sehr sich die medizinische Versorgung in Palästina im Allgemeinen und im Caritas Baby Hospital im Speziellen weiterentwickelt hat. „Wenn es um Kinderheilkunde geht, sind wir heute einer der ersten Ansprechpartner im Land“, sagt sie.

 

Pro Jahr werden in der einzigen auf Pädiatrie spezialisierten Gesundheitseinrichtung 53.000 Untersuchungen durchgeführt. Das Spital verfügt über 74 Betten, ein hochkarätiges Labor, sowie ein gut ausgebildetes Pflege- und Medizin-Team. Als Chefärztin legt sie großen Wert auf Aus- und Weiterbildung. „So bleibt man auf dem neusten Stand. Das rettet Leben.“

 

Besonders stolz ist Hiyam Marzouqa etwa auch auf eine der neuesten Errungenschaften – ein sogenanntes „Mami Voice“-Gerät als ergänzende Versorgung von Neu- und Frühgeborenen. Das vom Italiener Alfredo Bigogno entwickelte Gerät überträgt den Ton und die Vibration der Stimme der Mutter direkt in den Inkubator, ohne dabei elektromagnetische Strahlung zu erzeugen. Die Mutter eines Neugeborenen zeichnet dabei eine Audiobotschaft für ihr Kind auf, die dann direkt in den Inkubator übertragen wird.

 

„Für Frühgeborene ist die Geburt und damit der Start ins Leben besonders schwierig. Wenn sie danach zur intensivmedizinischen Versorgung in den Inkubator gelegt werden, bedeutet das zudem enormen Stress“, erklärt Hiyam Marzouqa: „,Mami Voice‘ hilft uns Angst, Unruhe und Schmerzen der Säuglinge zu reduzieren.“  


Kerzenanzünden in der Geburtskirche

Eine gute Ausbildung und moderne Ausrüstung allein reichen aber in der Medizin nicht aus. Davon ist Hiyam Marzouqa überzeugt. Für sie spielen Gottvertrauen und der Glaube eine wichtige Rolle. Davon fühlt sie sich getragen. Fast jeden Tag geht sie vor der Arbeit in die Geburtskirche in Bethlehem und zündet Kerzen an. „Blitzpsychotherapie“ nennt sie dieses Ritual liebevoll.


Auch der Austausch im Team sei in einem Beruf wie dem ihrigen sehr wichtig. Gerade zu chronisch kranken Kindern, die fast ihr ganzes Leben lang medizinisch begleitet werden, entwickelt man eine Beziehung, selbst wenn man um professionellen Abstand bemüht ist. Wenn so ein kleiner Patient trotz bester fachlicher Behandlung stirbt, ist das sehr schmerzhaft. Das Gespräch im Team gibt Trost und Kraft.

 

„In unserem Beruf gibt es sehr schöne Erlebnisse, aber eben auch schwierige“, sagt Hiyam Marzouqa. „Gott sei Dank überwiegen aber die Momente, in denen uns klar wird, wie vielen Kindern wir helfen können, wie viele Kinder dank des Spitals gesund geworden sind.“


Kraftquelle Familie

Auch ihre Familie gibt Hiyam Marzouqa jeden Tag Kraft. Ihr Mann ist Professor für physikalische Chemie. Regelmäßig besucht sie ihre betagten Eltern. Wenn sie irgendwo der Schuh drückt, sucht sie das Gespräch mit ihrem 82-jährigen Vater. „Er kann gut zuhören, analysiert scharf und gibt mir immer weise Ratschläge“, sagt Hiyam Marzouqa. Auch das Verhältnis zu ihrer Mutter ist sehr herzlich. 5 ihrer 6 Geschwister leben in und um Bethlehem.

 

„Die Familie ist meine Heimat, meine Wurzel“, sagt sie. Mindestens zweimal im Monat trifft sich die gesamte Großfamilie zum gemeinsamen Essen. Hiyam Marzouqas erwachsene Söhne, die im Ausland studieren, versuchen so oft es geht auch nach Hause zu kommen. Dass die beiden später einmal wieder im Westjordanland leben werden, glaubt Hiyam Marzouqa allerdings nicht. „Wie so viele junge, gut ausgebildete Menschen sehen sie kaum eine Lebensperspektive in der Region.“


Bethlehem eng verbunden

Hiyam Marzouqa fühlt sich trotz aller Schwierigkeiten Bethlehem eng verbunden. In den gesamten 30 Jahren habe sie nie ernsthaft in Betracht gezogen, an einen anderen Ort zu gehen und eine andere Stelle anzutreten, erzählt sie. Bis sie in etwa fünf Jahren pensioniert wird, möchte sie noch einige zukunftsweisende Projekte abschließen: So wurde vor kurzem eine Beobachtungsstation für die kleinen Patientinnen und Patienten eröffnet und auch das neurologische und pneumologische Angebot soll weiter ausgebaut werden.


Und auch die menschliche Kompetenz ihres Teams will Hiyam Marzouqa weiterhin fördern und ausbauen. „Liebe zu den Kindern und Geduld mit deren Eltern hat für uns höchste Priorität. Und ein Kinderlachen ist und bleibt – auch in schwierigen Zeiten – unsere beste Motivation.“


Betrieben und finanziert wird das Caritas Baby Hospital im Westjordanland von der Kinderhilfe Bethlehem. Die Finanzierung des Spitals erfolgt zum größten Teil durch Spenden.
 

erstellt von: Der SONNTAG / Andrea Harringer
13.01.2020
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Weitere Informationen:

 

Nähere Infos unter
www.kinderhilfe-bethlehem.at


 

weitere Informationen zu

 

Der SONNTAG
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
1010 Wien
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