Der Klosterneuburger Chorherr Pius Parsch beschritt vor genau 100 Jahre neue Wege volksliturgischer und biblischer Pastoral, die Weltgeschichte schrieben.
Der Klosterneuburger Chorherr Pius Parsch beschritt vor genau 100 Jahre neue Wege volksliturgischer und biblischer Pastoral, die Weltgeschichte schrieben.
Vor 100 Jahren feierte der Klosterneuburger Chorherr Pius Parschin in St. Gertrud/Klosterneuburg die erste "Gemeinschaftsmesse". Die damit beginnende volksliturgische Bewegung schrieb Geschichte und ist von bleibender Aktualität.
Ein "Urknall" - Am frühsommerlichen Christi Himmelfahrtstag am 25. Mai 1922 war es, als sich in der kleinen romanischen Kirche St. Gertrud in Klosterneuburg erstmals eine Gemeinde wacher Christen rund um den Chorherrn Dr. Pius Parsch versammelt hatte – getrieben und begeistert von der Sehnsucht, die Feier des Gottesdienstes besser, tiefer, spiritueller und motivierter mitzufeiern, als es die unverstandene Form zuließ, die seit über vier Jahrhunderten (seit dem Konzil von Trient) tradiert und als erstarrter Block das Geheimnis der Messe mehr verstellte, als offenbarte. Es war die erste „Gemeinschaftsmesse“ oder „volksliturgische Messe“. Es war der Startschuss jener Messreform, die über die „Betsingmesse“ zur Erneuerung der Messliturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils führte und weltweit Früchte trug. Ohne diesen Beginn wäre auch die Liturgiekonstitution des Konzils vom 4. Dez. 1963 nicht denkbar. Seither trägt die Kirche St. Gertrud den Ehrentitel „Wiege der volksliturgischen Bewegung“.
Bei weitem war das keine mutwillige Reform eines „Spinners“ aus dem Stift. Abgesehen davon, dass auch an anderen Orten des französischen und deutschen Sprachraums dieses Unbehagen zu ähnlichen Bemühungen führte, war gerade die Gottesdienstgemeinde in St. Gertrud aus tief motivierten Menschen – wenn man will: „von unten“ – erwachsen, die sich längst vor dem Ereignis im Mai 1922 schon in Liturgierunden um Pius Parsch versammelt, in die spirituelle Tiefe des Messgeschehens eingetaucht waren. Es war zugleich der Impuls eines neuen Weges in der Seelsorge, den wir „Liturgische Bildung“ nennen.
Es ging um das Erfassen der Sinntiefe des Gottesdienstes, damit die Menschen wirklich „zu Beteiligten“ am Messgeschehen werden können. Damit dies geschehen kann, musste der Gottesdienst selbst eine aus den alten Quellen der Kirche kommende, erneuerte Feiergestalt erlangen, die sich den Menschen „von selbst“ erschließt und von den Menschen mitvollzogen werden kann. Parsch legte also den bleibenden „heißen Kern“ der Liturgie aus ihren authentischen Anfängen in biblischer und frühkirchlicher Zeit frei. Es war „Erneuerung aus dem Ursprung“. Anders gesagt: um „Resourcement“ im Wiederaufgreifen verdeckter und vergessener Quellen. Papst Pius XII. war es, der 1956 die inzwischen in die weltweite Breite gewachsene Liturgische Bewegung, an der Klosterneuburg maßgeblichen Anteil hatte, als „Hindurchgehen des Heiligen Geistes durch seine Kirche“ und als „providentielles Wirken der Vorsehung“ lehramtlich bestätigte. Wenige Jahre später hat das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Liturgiekonstitution dieses liturgische Bewusstsein der Weltkirche lehramtlich verbindlich gemacht: mit einem Abstimmungsergebnis von 2147 JA und nur 4 NEIN- Stimmen. Damit stehen die Anfänge von St. Gertrud mit der ersten „Volksliturgischen Messe“ 1922 im großen „Mainstream“ der Gesamtkirche. Parsch selbst kam es dabei vor allem auf die Einbeziehung des Volkes an. Teile des Messordinariums wurden in der Muttersprache gesungen, die Schrifttexte vom Vorbeter parallel deutsch gelesen. Vinzenz Goller schuf deutsche Gesänge, ansonsten bediente man sich liturgisch einwandfreier Lieder. Vor allem wurde der Altar so platziert, dass der Priester zum Volk gewendet war. Später kamen erste Vorversuche, die Kelchkommunion der Gläubigen durch nicht konsekrierten Wein (Ablutions-wein) anzudeuten. Es war der Anfang jener Messform, die als „Betsingmesse“ etwa ein Jahrzehnt später am gesamtdeutschen Katholikentag in Schönbrunn mit 250.000 Teilnehmern ihren internationalen Siegeszug antrat.
Nicht von ungefähr war das Chorherrenstift Klosterneuburg mit Pius Parsch das ausstrahlende Zentrum der „Volksliturgischen Bewegung“ geworden. Herzmitte der Spiritualität der Augustiner Chorherren ist ja die genuine Verbindung von Seelsorge und Liturgie. Die 900-jährige Stiftsgeschichte kennt viele Hoch-Zeiten, aber der Einfluss Klosterneuburgs auf die gesamte Weltkirche war nie so groß, als zur Epoche der „Volksliturgische Bewegung“ mit Parsch. Seine Ideen und Ziele bieten tiefe theologische und pastorale Quellen, aus denen die Sorge um den Gottesdienst der Kirche auch weiterhin schöpfen muss – allem voran als „Liturgische Bildung“ und als Sorge um die „Gottesdienstqualität“. Parsch bietet gerade für heute eine notwendige „Sinnreserve“ und eine „Brunnenstube“, aus der das Gottesdienstbewusstsein der Gemeinden schöpfen und sich immer wieder aus der Tiefe her erneuern muss. Der italienische Liturgiewissenschaftler Andrea Grillo drückt es so aus: Das, wovon Parsch ausgegangen war, müssen wir heute wieder neu anstreben, denn: „Wir haben vergessen, dass es um ein tieferes Eindringen in den Vollzug des Geschehens geht, dass es heute um Initiation gehen muss oder um Mystagogie. In diesem Punkt war Pius Parsch schon bedeutend weiter, als wir es heute sind“.
Mittwoch, 25. Mai 2022 in der Kirche St. Gertrud/Klosterneuburg:
17:30 Feier der Vesper (im Stil von Parsch)
18:00 Eucharistiefeier mit Bischof Dr. Anton Leichtfried
19:30 Festakt im Augustinussaal des Stifts
20:45 Agape im Binderstadl