Angesichts der sozialökonomischen Herausforderungen der heutigen Zeit "brauchen wir mehr Hildegard Burjans des 21. Jahrhunderts": Mit diesen Worten appellierte der Christoph Badelt, Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, dafür, dass sich Menschen, die soziale Arbeit leisten, auch stärker bei Sozialreformen einbringen sollten. Politik könne nur dann sozial sein, wenn "diejenigen, die etwas von sozialer Arbeit verstehen", sich auch in die Politik einbrächten, wie Burjan dies gemacht habe, hob Badelt bei der Podiumsdiskussion "Sozial engagiert - woraus motiviert?" am Dienstag, 24. Jänner 2012, im Wiener Rathaus hervor.
Was bedeutet gelebte Solidarität für mich?
An der Diskussion nahmen die Politikerinnen Sonja Wehsely und Terezija Stojsits teil. Hildegard Burjan (1883-1933), Gründerin der Wiener Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis", hatte sich politisch engagiert und für benachteiligte Frauen eingesetzt. Sie wird am Sonntag in Wien seliggesprochen.
Badelt plädierte für ein neues Verständnis von Solidarität: "Jeder Mensch müsste sich in seiner eigenen Lebenssituation fragen: Was bedeutet gelebte Solidarität für mich?" Generell zeige sich die soziale Kompetenz einer Gesellschaft in Krisenzeiten. Denn die Benachteiligung von Gesellschaftsgruppen, die bereits vor einer Krise benachteiligt gewesen seien, verstärke sich in der Krise noch. Politik müsse sich daher in Krisenzeiten besonders um diese Gruppen kümmern.
Rahmenbedingungen schaffen
Gesundheitsstadträtin Wehsely betonte, eine Diskussion "entweder Wohlfahrtsstaat oder soziales Engagement" sei "vollkommener Humbug". Eine Situation, in der soziales Engagement und Ehrenamt funktionierten, bedingt einen sehr dicht geknüpften Wohlfahrtsstaat. "Ein Wohlfahrtsstaat kann und soll Ehrenamtlichkeit nicht ersetzen. Die Umsetzung von Sozialpolitik muss so organisiert sein, dass Ehrenamtlichkeit gewünscht und möglich ist", so Wehsely.
Mit Blick auf den Appell Badelts für ein stärkeres politisches Engagement erklärte Volksanwältin Stojsits, es gebe eine klare Aufgabenverteilung auf diesem Gebiet: "Politiker, die Rahmenbedingungen für Sozialpolitik schaffen, können Experten auf dem Gebiet sein und sind es vielfach auch, aber sie müssen es nicht sein."
Bewusste Perspektivenwechsel
Der Leiter der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Pater Alois Riedlsperger, berichtete, in der Akademie werde über bewusste Perspektivenwechsel versucht, Menschen dazu zu befähigen, bei Problemen die Schuld nicht auf andere abzuwälzen. Stattdessen solle ein wechselseitiges Verständnis entwickelt werden, um gemeinsam kreativ-innovativ Lösungen zu finden. "Das bedeutet in jedem Fall soziale Verantwortung zu übernehmen und selbst mitzuwirken an einer humanen zukunftsfähigen Welt". so Pater Riedlsperger.
Solidarität "kein Instinkt"
Therese Schaffer, Schulsprecherin des Gymnasiums Sacre Coeur in Wien, betonte, Solidarität sei kein Instinkt, sondern ein lebenslanger Lernprozess. Dieser solle bereits in der Schule angeregt und mit entsprechenden Projekten unterstützt werden, wie etwa im Sacre Coeur mit dem Schulprojekt "Compassion". In diesem Rahmen engagieren sich die Schüler der 7. Klasse zwei Wochen lang in verschiedenen sozialen Einrichtungen, wie in der Altenpflege bei der "Caritas Socialis". "Es ist ein tolles Projekt", erklärte die junge Frau mit Blick auf den generationenübergreifenden Austausch.
Auf die Frage nach der Motivation für ihr soziales Engagement betonte Cecily Corti, Leiterin der "VinziRast" und des "CortiHauses" in Wien, sie habe lange Zeit eine Art Ohnmacht angesichts des Leides in der Welt empfunden. Die Sehnsucht, etwas dagegen zu tun und selbst gestalten zu wollen, sei immer deutlicher geworden. Eine Begegnung mit dem Grazer "Vinzi-Pfarrer" Wolfgang Pucher sei schließlich auch mit ausschlaggebend gewesen, sich für Obdachlose einzusetzen.
Die Podiumsdiskussion "Sozial engagiert - woraus motiviert?" wurde in Kooperation der Stadt Wien und der "Caritas Socialis" auch im Gedenken an die "Repräsentantin sozialen Engagements Hildegard Burjans" veranstaltet.