Anders als von kirchlichen Vertretern oft behauptet sind die Medien offen für Glaubensthemen, selbst wenn sie zum Thema Religion einen kritischen, die Meinung ihrer Konsumenten widerspiegelnden Standpunkt haben: Das betonte der renommierte italienische "Vatikanist" Marco Politi bei einem Symposion zum Thema "Säkularismus versus Christentum - ein Kampf der 'Religionen'?" am Mittwoch, 21. September 2011, in Wien. Voraussetzung dafür sei eine transparente Kommunikation der Kirche. Politi wies auf die große Bereitschaft der Menschen verschiedener Weltanschauungen hin, glaubwürdige und positive Aussagen zum Sinn des Lebens aufzunehmen. Deshalb hätten Berichte über Mutter Teresa oder über die Haltung Johannes Pauls II. zu seiner Krankheit und zum Leid weltweit große Wirkung gehabt.
Bei der Veranstaltung im Erzbischöflichen Palais auf Einladung des diözesanen Amtes für Öffentlichkeit und der Kathpress diskutierten neben Politi "Pro Oriente"-Pressesprecher Erich Leitenberger, Benedikt Steinschulte vom Päpstlicher Medienrat und Helmut Nausner, früher Pressesprecher des Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ).
Der Vatikan-Berichterstatter Politi widersprach auch der in der Kirche oft geäußerten These vom Vorherrschen eines "ethischen Relativismus". Richtig sei, dass es ethischen Pluralismus gebe. Dies hänge mit der verstärkten Individualisierung in der Gesellschaft zusammen. Ausdruck dessen sei der "Vorrang des persönlichen Gewissens". Die Kirche könne ihre Botschaft in den Medien durchbringen, wenn sie konsensorientiert und nicht als Lobby-Gruppe denke. Viele Anliegen - wie Respekt vor dem Leben und dem Leiden, Nächstenliebe, Zuwendung zu den Ärmsten - würden von einer Mehrheit geteilt. Problematisch sei hingegen ein - etwa in der italienischen Kirche stark verbreitetes - nicht-offenes politisches Agieren hinter den Kulissen, mit dem Ziel, "gewisse Gesetze zu verhindern".
Weil die Medien für Zeugnis und Authentizität sensibel sind, würden sich daraus Chancen für kirchliche Themen ergeben. Das habe man an Padre Pio und Mutter Theresa genau so sehen können, wie an Johannes Paul II. Sein öffentliches Sterben wurde zu einem "Symbol für die Würde des leidenden Menschen". Damit und auch im gesamten Pontifikat sei es Johannes Paul II. gelungen, die mediale Agenda zu bestimmen.
Ein großes Verdienst von Johannes Paul II. sei dessen von vielen positiv aufgenommene Bereitschaft gewesen, die kirchliche Schuldgeschichte aufzuarbeiten. Nach der großen Vergebungsbitte des Papstes im März 2000 seien viele "nur froh gewesen, dass es jetzt vorbei ist". Eine detaillierte Aufarbeitung stehe in vielen Bereichen weiter aus, so Politi.
Hierin und in weiteren Versuchen, offene Diskussionen möglichst abzuwenden, zeige sich, wie schwer sich die Kirche mit einer offenen Gesellschaft tue, in der es keine Staatsreligion mehr gebe. Diesen Schock habe es in Frankreich schon 1789 gegeben, Italien etwa erlebe ihn erst jetzt, sagte der Vatikanist.
Er erinnerte, dass die heutige Form der offenen Religionsberichterstattung eine Frucht erst des Zweiten Vatikanischen Konzils ist. Nachdem damals die Konzilskommission zuerst versucht habe, die Öffentlichkeit auszuschließen, hätten sich jene Kardinäle und Bischöfe und deren theologische Berater durchgesetzt, die Öffentlichkeit wollten. Sie begannen, die Medien über die Themen und Anliegen zu informieren.
Dies habe große Auswirkungen gehabt, so Politi. Er äußerte diesbezüglich die Befürchtung, dass das jetzige Pontifikat hier Rückschritte mache. So gebe es wieder die Tendenz, alles über Geheimverhandlungen regeln zu wollen.
Politi erwähnte als Beispiel die Verhandlungen mit den traditionalistischen Piusbrüdern. Zuerst habe es geheißen, eine Wiedervereinigung sei nur möglich, wenn das gesamte Kardinalskollegium eingebunden sei. Als klar wurde, dass dieses von den Lefebvrianern die volle Akzeptanz des Konzils wollte, was die Piusbrüder aber ablehnten, wurde ein anderer Verhandlungsweg gewählt.
Jetzt gehe es nur mehr um eine Zustimmung zu einem - bisher geheim gebliebenen - Glaubensbekenntnis ("Professio Fidei"), wobei diese das II. Vaticanum relativieren solle, kritisierte Politi. Diese Vorgehensweise werde aber eine Akzeptanz der Kirche in der Gesellschaft schwächen, warnte der Vatikanist.