Donnerstag 25. April 2024
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Lernen aus der Geschichte

(16.03.2014) Interview mit Univ.-Prof. Stefan Karner über Jubiläen.

 Was man aus den heurigen Jubiläen (100 Jahre Beginn des Ersten Weltkriegs,  75 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs) „lernen“ kann. Und warum man Vergangenheit „bewältigen“ kann. Univ.-Prof. Stefan Karner (am 20. März bei der Weinviertelakademie in Großrußbach) im Gespräch.


 

 

Sind Jubiläen heute wirklich noch ein Anlass zum Nachdenken?
 
Karner: Jubiläen bedeutender Ereignisse sind so etwas wie Wegmarken der Erinnerung. Im Persönlichen, wenn Sie etwa an Geburtstage oder Hochzeitstage denken, ebenso wie im Allgemeinen, wenn es um Gedenk- und Festtage geht. Diese Wegmarken der Erinnerung schaffen Identität, wenn man etwa  an die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags am 15. Mai oder jene des Neutralitätsgesetzes am 26. Oktober 1955 erinnert, sie tradieren Werthaltungen, wenn es etwa um das jährliche Gedenken an die Befreiung des KZ Mauthausen Anfang Mai geht, und sie mahnen jährlich am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, an die Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 und an die Gräuel jedes Krieges.

Welche Lehren kann man aus der Geschichte (100. Jahrestag „Ausbruch 1. Weltkrieg“ , 75. Jahrestag „Ausbruch 2. Weltkrieg“ und 100. Todestag von Bertha von Suttner) ziehen?
 
Karner: All diese Jahrestage beziehen sich auf kriegerische Konflikte beziehungsweise mit Bertha von Suttner auf eine der prominentesten Streiterinnen gegen solche. Die Lehren, die aus den „totalen“ Kriegen des 20. Jahrhunderts gezogen werden können, sind aufgrund der vielen Aspekte, mit denen sie das Leben von Millionen auf der ganzen Welt beeinflussten, und ihrer katastrophalen und teils bis heute wirkenden Konsequenzen Legion. Trotzdem können sie auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden: dass Krieg jedenfalls die teuerste Variante der Beilegung eines Streites ist. Eine Folgerung aus dieser Lehre ist sicherlich die EU, die viel zu oft auf ein Wirtschaftsbündnis reduziert wird, ohne ihre friedensstiftenden Werte in Betracht zu ziehen.
 
Bert Brecht schrieb: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz.“ Ist der Wunsch vieler verständlich, Gewesenes zu vergessen, die Wunden vernarben und die Toten ruhen zu lassen?

Karner: Der Wunsch vieler, die eigene Vergangenheit auszublenden, ist nachvollziehbar. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, in denen persönlich Betroffene die Möglichkeit zur Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte nur allzu gerne ergreifen und nutzen. Freilich, vieles hängt auch vom Status der jeweiligen Person ab – Stichwort Opfer oder Täter.  
Problematisch wird es dann, wenn eine ganze Gesellschaft historisch Belastendes verdrängt und ausblendet. Derartige Tabuisierungen sind auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten: Ich erinnere an den Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit nach 1945. Erst die Diskussionen ab den 1980er haben hier vieles aufgebrochen. Plötzlich war man gezwungen, in den Spiegel zu schauen, sich seiner Geschichte zu stellen.  

Kann man die Vergangenheit überhaupt „bewältigen“ oder „aufarbeiten“?

Karner: Ja, man kann. Hier gilt es zu berücksichtigen: Je objektiver, sprich entemotionalisierter die Herangehensweise, desto leichter wird die Aufarbeitung fallen. Nehmen wir die aktuellen Ereignisse in der Ukraine: Diese kommen keineswegs überraschend, der ukrainisch-russische Konflikt schwelt schon sehr lange. Historisch betrachtet ist die Ukraine ein Pulverfass, sie bot in der Geschichte immer wieder Raum für Gewaltausbrüche: etwa in beiden Weltkriegen, auch danach. Historiker haben sich des Themas längst angenommen. Für eine echte Bewältigung reicht das nicht – hier sind auch die Politik und andere Kreise gefordert. Solange die Stimmung aufgeheizt ist, bleibt es schwierig. Wie es gehen kann, hat, wenn auch im kleineren Rahmen, die erfolgreiche Beilegung des Ortstafelkonfliktes in Kärnten gezeigt.
      Interview: Stefan Kronthaler

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