Der Philosoph Robert Spaemann versucht Gott mit reiner Logik zu beweisen, der Biologe Richard Dawkins müht sich, die Existenz Gottes mit Hilfe der Evolutionstheorie zu widerlegen. Wie können wir angemessen von Gott reden?
Kessler: Beweisen können wir Gott nicht, ihn mit der Evolutionstheorie widerlegen aber auch nicht. Denn die Evolutionstheorie muss immer etwas voraussetzen, aus dem sich Dinge allmählich entwickeln können. Und dieses Vorausgesetzte muss einen Grund haben, der es begründet. Man kann Gott als Urgrund aller Dinge verstehen, der sie trägt und sie freigibt in ihre Eigendynamik. So hat z. B. der Bischof Gregor von Nyssa in Kappadokien schon um 380 in seiner Auslegung von Gen 1 gesagt: Gott hat nicht das Einzelne geschaffen, sondern er hat „eine gewisse Keimkraft zur Entstehung des Alls grundgelegt“, aus der sich das Einzelne nach und nach entfaltet hat. Das sagte er 1.500 Jahre vor Darwin.
Max Weber hat gesagt: „Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und gewinnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf.“ Kommen die (alten und neuen) Götter wieder?
Kessler: Das Wort Gott meint im christlichen Glauben etwas anderes als Götter, Geister und andere übernatürliche Flatterwesen, die Menschen entwerfen als Projektion ihrer Wunschbilder. Weil sie solche begrenzten Götter abgelehnt haben, wurden die frühen Christen im Römischen Reich als a-theoi, als gottlose Atheisten, angeklagt. Freilich projizieren auch Christen manche Wunsch- und Rachebilder in den einen Gott hinein. Deswegen, so hat Meister Eckhart gesagt, muss unterschieden werden zwischen dem vorgestellten bzw. gedachten Gott und dem wirklichen Gott.
Es gab vor einigen Jahren den „Megatrend Religion“, dann den „Megatrend Spiritualität“, kommt demnächst der „Megatrend Gott“?
Kessler: Mehrheitsmeinungen und Megatrends besagen nicht viel über die Wahrheit. Über die kann man nicht abstimmen. Nach der muss man suchen, und zwar gemeinsam, mit den Andersdenkenden zusammen. Denn es könnte sein, dass mein Blick verengt ist und andere auch etwas sehen, was ich beachten und ernstnehmen müsste. Sein Leben lang auf der Suche nach der Wahrheit sein, das heißt: nichts von all dem, was Menschen erfahren und erkennen, ausklammern oder ignorieren, wenn es nicht in meine vorgefassten Vorstellungen hineinpasst. Es heißt offen bleiben, bereit zur Umkehr im Denken und im Leben.
In der kirchlichen Frömmigkeit ist Gott oft verharmlost worden – als „lieber Gott“, der in Spannung steht zum lebendigen Gott, der dem Mose im lodernden Feuer erschienen ist (Ex 3,6.14). Wie können wir heute verantwortungsvoll vom „Gott Jesu Christi“ reden?
Kessler: Mose am brennenden Dornbusch, Elia im Sturm auf dem Berg Horeb, Blaise Pascal um Mitternacht in einer Pariser Kirche und viele andere: überwältigt von der Erfahrung, dass die Welt nicht alles ist, dass da noch wer ist, ein unfassliches Mehr über und unter allem und an allem ganz nah dran, sogar dann, wenn es sich ihm verschließt. Und dieses Unfassliche zeigt das Gesicht des barmherzigen Vaters, zumal in der Geschichte Jesu Christi, selbst wenn er am Kreuz schreit: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Warum es begründet ist, mit Gott zu rechnen, und wie wir verantwortungsvoll von Gott sprechen können, darum soll es im Vortrag und im Seminar (am 6. und 7.3.) gehen.
Interview: Stefan Kronthaler