Montag 13. Mai 2024
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Online „auf der Flucht"

(3.3.2013) Interview mit Dr. Dominik Batthyany über Internet als Suchtquelle.


 

 

Was wird allgemein unter Sucht verstanden?

Batthyany: Sucht ist eine Krankheit, die Menschen langsam fesselt und abhängig macht – von Substanzen (Alkohol, Heroin, Nikotin, etc.) oder auch von bestimmten Verhaltensweisen (Spielen, Kaufen, Arbeiten, etc.).

 

Man unterscheidet zwischen psychischer und physischer, also körperlicher, Abhängigkeit.

 

Sucht kann die Herrschaft über den Willen so übernehmen, dass sie sich im Leben eines Menschen aufbläht und ihn gefangen nimmt. Sozialen Beziehungen, Interessen und andere Bezugspunkte des Lebens reduzieren sich dadurch dramatisch und werden unwichtig, die Arbeitsleistung sinkt, die Betroffenen isolieren sich häufig und können verwahrlosen. Auf diese Weise wird eine Suchterkrankung zur existentiellen Not.

Was konkret ist Internet-Sucht? Wer ist davon betroffen?

Batthyany: Mit „Internetsucht“ meint man eine stoffungebundene Abhängigkeit. Für Betroffene wird das Internet zum wichtigsten Bestandteil im Tagesablauf. Abgesehen davon, dass der Begriff „Internetsucht“ für sich genommen wenig präzise ist, ist er eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl an internetbezogener suchtartiger Verhaltensweisen: suchtartige Nutzung von Online-Pornografie, Chats, Online-Glücksspielen, Computerspielen, Online-Communities, Online-Recherche oder Onlineshopping.

 

Jede dieser Varianten hat ihr eigenes Suchtpotenzial und ihren eigenen individuellen Hintergrund. Es gibt Annahmen, wonach der Bereich soziale Netzwerke und Kommunikation auf ca. 20 %, der Bereich des Computerspielens auf ca. 30 % und der Bereich Online-Sex auf mindestens 50 % der Internetsüchtigen zutreffe. Bei „sozialen Netzwerken und Kommunikation“ wiederum seien hauptsächlich Mädchen und Frauen ab 30 Jahren betroffen, im Bereich des Computerspielens primär männliche Jugendliche von 12 bis 23 Jahren, und bei Online-Sexsucht überwiegend junge Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren. Schätzungen anderer Experten wiederum sehen die Probleme vorrangig im Bereich der Anwendungen zu Chat-rooms, Kommunikation bzw. in sozialen Netzwerken lokalisiert. – Schätzungen darüber, wer wovon betroffen ist, gehen also sehr auseinander. Wir müssen diese Zahlen daher sehr kritisch betrachten.

Sind Jugendliche bereits internet-süchtig, wenn sie mehrere Stunden am Tag auf Facebook sind?

Batthyany: Die Stundenanzahl alleine ist hier nicht entscheidend. Es gibt Jugendliche, die viel online, aber dennoch nicht süchtig sind. Wichtig ist die Frage, welche Funktion das jeweilige Verhalten spielt. Das Phänomen, sich im Internet „zu verlieren“, ist oft das Ergebnis des Versuchs einer „Selbstheilung“. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber es ist zunächst oft eine Art Problemlösungsstrategie oder „Selbstmedikation“. So zeigt sich beispielsweise, dass Kinder mit krankhaftem Computerspielverhalten häufig mit ihrer Lebenssituation überfordert sind und über weniger Strategien zur Bewältigung ihres Alltags verfügen als unauffällige Nutzer und Nichtspieler. Dies trifft auch auf Erwachsene zu.

 

Für viele Abhängige stellt das Onlinesein eine Art Bewältigungsstrategie oder eine Fluchtmöglichkeit von Problemen in ihrem wirklichen Leben dar. Betroffene erfahren, dass sie durch ihr exzessives Verhalten schnell und effektiv Gefühle im Zusammenhang mit Frustrationen, Unsicherheiten und Ängsten regulieren bzw. verdrängen und Stress bewältigen können. Das Internet mit seinen vielfältigen Angeboten wird so zu einem Zufluchtsort vor realen Problemen.

Wie kommen (vor allem) Jugendliche wieder aus der Sucht heraus?

Batthyany: Zunächst muss man sagen: am besten ist Vorbeugung. Der wirksamste Schutz ist ganz allgemein: Wachstum ermöglichen. Das heißt, dass ein Kind sich entfalten kann, dass es Zugang zu seinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen bekommt und mit ihnen und mit Problemen des Lebens konstruktiv umzugehen lernt. Aber auch, dass es zu den Gefühlen und Bedürfnissen seiner Eltern Zugang hat.

 

Hat ein Jugendlicher sichere Bindungen, Selbstwirksamkeit und Selbstsicherheit entwickelt, ist es wahrscheinlich, dass er auch einen selbstbestimmten Umgang mit Medien erlernt. Bei Verdacht auf eine Suchtentwicklung empfehle ich sowohl Angehörigen als auch Betroffenen, sich zu informieren, keine Scheu zu haben sich beraten zu lassen und Hilfe zu suchen. Je früher, desto besser.

Interview: Stefan Kronthaler


 

Vorträge am 12. März: „Suchtquelle Internet?"

 

Die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems lädt  am 12. März (Beginn 18 Uhr, Stephanisaal, Stephansplatz 3, 1010 Wien) zu zwei Impulsvorträgen ein.

 

Philip Pöschl (Verein „Safer Surfing“): „Wer klärt unsere Kinder auf?“ – Über den Einfluss des Internets auf die Sexualität der Jugendlichen.

 

Dominik Batthyany (Psychotherapeut, Sigmund Freud Universität Wien & Grüner Kreis Wien): „Die Sucht nach der virtuellen Welt“ – Zum Phänomen der Internetsucht.

 

Anmeldung bis 8. März

(E-Mail): brigitte.fischer@kphvie.ac.at

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