Der Karmel in Mayerling erinnert heute in einem modernen Besucherzentrum an die Tragödie.
Der Karmel in Mayerling erinnert heute in einem modernen Besucherzentrum an die Tragödie.
Wilde Gerüchte umrankten jahrzehntelang den Tod von Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera. Ein neues Buch bringt den aktuellen Forschungsstand auf den Punkt. Der SONNTAG sprach mit Autor Hannes Etzlstorfer.
"Was sind die Schlachten von Solferino und Königgrätz (beides entsetzliche Niederlagen für die Donaumonarchie) gegen den 30. Jänner 1889?", fragte sich Dompropst Anton Erdinger tief betroffen in seinen Notizen 1889. In den Morgenstunden dieses Tages hatte sich bei Alland im Wienerwald ereignet, was als die "Tragödie von Mayerling" in die Geschichte einging: Kronprinz Rudolf erschoss zuerst die erst 17-jährige Baronesse Mary Vetsera und im Anschluss sich selbst. Die Taktik des Wiener Hofes, dieses Ereignis zu verschweigen und zu vertuschen sorgte jahrzehntelang für wilde Gerüchte und bizarre Verschwörungstheorien. Mary Vetsera wurde bis zum Ende der Monarchie mit keinem Wort im Zusammenhang mit dem Tod des Kronprinzen erwähnt.
Kronprinz Rudolf aufgebahrt in der Wiener Hofburg.
"Mayerling 1889. Ein Mythos entsteht" lautet der Titel des neuen und sehr lesenswerten Buches, in dem der Historiker Hannes Etzlstorfer die neueste Forschung zu den Ereignissen von Mayerling auf den Punkt bringt. Das Buch versteht sich als Publikation zur Ausstellung, die im Besucherzentrum des Klosters Mayerling seit 2014 zu sehen ist. "Was wir aus der Betrachtung dieser Ereignisse lernen können ist: Die Wahrheit ist uns zuzumuten. Auch die Wahrheit über unsere (Mit)Schuld. Wir können nicht tiefer als in die Barmherzigkeit Gottes fallen", ist Hannes Etzlstorfer im Gespräch mit dem SONNTAG überzeugt. Diese Erkenntnis war auch Grund dafür, dass sich am Schluss des Buches das jahrhundertalte Hausgebet der Habsburger abgedruckt findet, in dem es an einer Stelle heißt: "Wir wissen, dass wir oft falsch und schuldhaft gehandelt haben." Etzlstorfer: "Wichtig ist, dass Schuld eingestanden werden kann."
Etzlstorfers Buch macht deutlich, dass die Rolle von Tätern und Opfern in diesem Drama nicht so eindeutig ist, wie es der erste Blick vermuten lässt. Zum "gefährlichen Cocktail" (Etzlstorfer), der zur Tat führte haben wohl einige etwas beigetragen. Was führte zur Tragödie? Der Autor: "Rudolf sah sich politisch gescheitert. Am 27. Jänner 1889, also wenige Tage vor dem Doppelselbstmord, gab es in Wien ein Geburtstagsfest für den deutschen Kaiser Wilhelm II., den Rudolf nicht ausstehen konnte. Dieser war bereits an die Macht gekommen. Für Rudolf gab es keine Aussicht, in nächster Zeit den Thron zu besteigen." Rudolfs naturwissenschaftliche Begabung erfuhr von Seiten des Kaisers und so auch am Hof keine Anerkennung. „Für den Kaiser war es undenkbar, dass sein Sohn ein Wissenschaftler wird“, betont Etzlstorfer. Hinzu kamen große Divergenzen in den politischen Ansichten von Vater und Sohn.
Ursachen für das tragische Ende des Kronprinzen sind wohl auch in dessen Kindheit zu finden, wie das Buch deutlich macht. Von seinen Eltern erhielt Rudolf kaum Zuwendung, Erzieher wurden beauftragt, ihn abzuhärten. Schon als Kind war ihm der Umgang mit Schusswaffen vertraut. Die Liebe zur Jagd galt als einzige Gemeinsamkeit mit dem Vater. Mit neun erschoss Rudolf seinen ersten Hirschen. "Franz Joseph ließ ihm dafür in Bad Ischl ein skurriles Denkmal errichten", so der Autor. Die arrangierte Ehe mit Stephanie von Belgien bot dem Kronprinzen ebenfalls keinen Halt. Als er seine Frau noch dazu mit einer Geschlechtskrankheit infiziert hatte, war diese nicht mehr in der Lage ihm (nach der Geburt von Tochter Elisabeth) einen männlichen Nachfolger zu schenken. Einige Wochen vor dem Selbstmord wurde Stephanie allerdings beim Kaiser vorstellig und äußerte große Sorge über eine Veränderung in der Psyche des Kronprinzen. Der Kaiser bagatellisierte.
Welche Rolle spielte Mary Vetsera? "Sie war eine strahlende Schönheit aus bestem Hause und hatte sich hingebungsvoll in den Kronprinzen verliebt. Von ihrer Seite war es eine große Liebesgeschichte", erzählt Etzlstorfer. Vetsera war bereit, mit Rudolf in den Tod zu gehen. "Der Doppelselbstmord war damals leider in Mode", so der Historiker. Ergreifend sind die Abschiedsbriefe der beiden. Vetsera blickt darin dem Tod überraschend klar in die Augen und gab u. a. Anweisungen für Blumenschmuck auf ihrem Grab. Ein Glücksfall war die Entdeckung der Originalbriefe Mary Vetseras im Safe einer Wiener Bank im Jahr 2015. Diese Briefe haben alle Zweifel ausgeräumt, es hätte sich in Mayerling nicht um einen geplanten Doppelselbstmord gehandelt. Hannes Etzlstorfer: "Der Selbstmord des Kronprinzen bedeutete eine große Schnittstelle in der Familie des Kaisers. Franz Josephs Unvermögen auf die Probleme seiner näheren Umgebung einzugehen wurde sichtbar, seine Dienstbeflissenheit aufgrund derer er die Notwendigkeiten übersehen hat. Daran ist diese Monarchie zerbrochen."
Bis heute beten die Karmelitinnen im (noch 1889) vom Kaiser gestifteten Kloster in Mayerling für alle Menschen in ausweglos erscheinenden Lebenssituationen und nehmen Gebetsanliegen entgegen.
Hannes Etzlstorfer führt in „Mayerling 1889. Ein Mythos entsteht“ packend in die (scheinbar) ausweglose Lebenssituation von Kronprinz Rudolf ein, schildert dessen persönliches wie politisches Scheitern, aber auch die bis heute spürbare Strahlkraft seiner Person und seines modernen Denkens. Es gelingt ihm, das Netz der involvierten Personen und die Abfolge der Ereignisse spannend vor Augen zu führen. Verstärkt wird die Sogwirkung durch die gelungene grafische Gestaltung. Begleitbuch zur Ausstellung im Karmel Mayerling. Be & Be-Verlag; 128 Seiten, EUR 24,90; ISBN: 978-3-903118-09-6
Im Online-Shop des Klosterladens des Stiftes Heiligenkreuz erhältlich.