Glück im Unglück: „Das ganz alte Büttenpapier hat sich als sehr robust erwiesen. Auch die Tinte hat hier den Wassereinbruch überraschend gut überstanden.“
Glück im Unglück: „Das ganz alte Büttenpapier hat sich als sehr robust erwiesen. Auch die Tinte hat hier den Wassereinbruch überraschend gut überstanden.“
Ein für längere Zeit unbemerkter Wasserschaden im Archiv der Dommusik von St. Stephan führte im Juli 2018 zu schweren Schäden an wertvollen alten Notenblättern durch Nässe und Schimmel. Sollten die Noten, aus denen die Musiker im Dom jahrhundertelang gespielt haben, für immer verloren sein? Nein!
Musikwissenschaftlerin Elisabeth Hilscher hat mit Studierenden der Universität Wien die Noten geborgen und gereinigt und entdeckte dabei längst vergessene Kostbarkeiten.
Es war ein tropfender Wasserschaden – das Schlimmste vom Schlimmsten. Kein Wasserrohrbruch, der für eine sofortige Alarmierung sorgt. Leise und unbemerkt saugte sich die Mauer hinter den Schränken im Archiv der Dommusik im Juli 2018 zwei Wochen lang mit Wasser voll.
An den Hinterwänden im Inneren der Archivkästen breitete sich der Schimmel aus und machte sich über jahrhundertealtes Notenmaterial her. Es war Hochsommer und es war heiß – optimale Bedingungen also für die Schimmelbildung.
Nach zwei Wochen entdeckte Domkapellmeister Markus Landerer durch Zufall den Schaden, den ein tropfender Wasserhahn in einem Technikerraum im Dachgeschoß angerichtet hatte.
Tausende Notenblätter waren durch die Nässe und den Schimmel beschädigt worden, darunter Handschriftenoriginale der Brüder Michael und Joseph Haydn.
Es war jenes Erbe an musikalischen Dokumenten betroffen, das beim Dombrand 1945 verschont geblieben war. Die Verzweiflung war groß: Sollten die Noten, aus denen die Musiker im Dom jahrhundertelang gespielt haben, für immer verloren sein?
Ein Wasserschaden an wertvollen Noten kann auch in einer Pfarre passieren
Fast ein Jahr danach, im Mai 2019 in einem Kellerraum des Curhauses von St. Stephan: Musikwissenschaftlerin Elisabeth Hilscher sitzt zwischen Kartonschachteln und Papier-Stapeln und strahlt Zuversicht aus.
Zwei Semester lang haben unter ihrer Leitung Studierende der Musikwissenschaft an der Sanierung der beschädigten Archivalien gearbeitet. „Es wurde gereinigt, sortiert, dokumentiert und katalogisiert“, sagt die Expertin für uraltes Notenmaterial.
Immer noch ist sie beeindruckt vom Eifer ihres jungen Teams: „Obwohl sie oft in kalten Räumen, dicht gedrängt und mit schmutzigem Material arbeiten müssen, kommen sie früher und sind kaum rauszubringen!“
Die Schäden waren unterschiedlich, je nachdem, wo die Dinge gestanden sind. „Die alten Stücke lagen ganz oben und waren stark betroffen“, erinnert sich Elisabeth Hilscher.
Glück im Unglück: „Das ganz alte Büttenpapier hat sich als sehr robust erwiesen. Auch die Tinte hat hier den Wassereinbruch überraschend gut überstanden.“
Ein Problem waren die Papiere aus dem 19. Jahrhundert, die das Wasser stark ansaugten und deshalb vom Schimmel enorm betroffen waren. Ebenso problematisch sind Noten auf Papier aus Mangelzeiten wie den beiden Weltkriegen. „Dieses Papier ist sehr brüchig und gebräunt.
Die Original-Niederschrift einer Domweihmesse von Mück z.B. ist auf solchem Papier verfasst. Wir müssen sie in Spezialpapier einschlagen, um den weiteren Zerfallsprozess hintanzustellen“, erklärt Elisabeth Hilscher.
So ein Schaden an archivierten Noten wie im Archiv der Dommusik kann auch in einer Pfarre passieren. Wie geht Elisabeth Hilscher mit ihren Studierenden in so einer Situation vor?
„Wir schauen uns die Musikalien Blatt für Blatt durch und vergleichen sie mit der Liste, die wir vom Domkapellmeister bekommen haben. D.h. wir schauen, was alles da sein sollte.
Die Blätter werden dann mit Microfasertüchern gereinigt. Schwere Fälle reinige ich mit Latexschwämmchen oder mit einem Ziegenhaarbesen, um den Mittelfalz auszukehren. Wichtig ist, dass kein Staub da ist und keine Larven des Brotkäfers, des klassischen Bücherwurms, der Papier frisst.“
Die Musikhandschriften werden in gepuffertes Papier eingeschlagen und in Spezialboxen aus säurefreiem Karton verpackt, um den Zerfallsprozess zu reduzieren.
„Fast alles konnte gerettet werden“, freut sich Hilscher: „Wir konnten das gesamte Material bergen und können es in einen Zustand versetzen, sodass es archivtauglich eingepackt ist, um es für die kommenden 100 Jahre hoffentlich zu erhalten“, erklärt die Expertin.
Elisabeth Hilscher ist nicht nur Musikwissenschaftlerin, sondern seit 20 Jahren auch aktives Mitglied im Vokalensemble der Dommusik von St. Stephan. „Die Kirchenmusik ist meine Heimat. Die praktische Verbindung der Kirchenmusik mit den Archivalien ist für mich etwas ganz Wunderbares“, schwärmt die Musikwissenschaftlerin aus Leidenschaft.
„Ein großer Brocken der Dommusikgeschichte ist noch unerforscht“, führt Hilscher aus. „Wichtig wäre, die Geschichte der Dommusik einmal aufzuarbeiten. Der derzeitige Forschungsstand steht bei 1920“.
Bei ihrer Arbeit im Archiv der Dommusik stieß die Musikwissenschaftlerin mit ihren Studierenden auf viele noch unerforschte Quellen z. B. zur Geschichte des Passionsspiels in St. Stephan, das sehr speziell und lange Zeit in der mittelalterlichen Tradition aufgeführt wurde.
Wie gestaltet sich die Zukunft der historischen Noten der Dommusik? „Die Musikalien müssen aus dem Staub der Geschichte geborgen werden und so aufbereitet werden, dass sie nicht kaputtgehen und benützt werden können.
Die alten Noten sollen wieder lesbar gemacht werden, damit man sie auch in der Praxis verwenden kann“, betont Hilscher.
Um einen Wasserschaden oder Ähnliches in Zukunft zu vermeiden, werden die wichtigsten Noten von nun an in einem gesicherten Raum des Domarchivs gelagert. Die Schätze der Dommusik sollen auch in 100 Jahren noch zugänglich sein.
Ihre Studierenden machen Hilscher zuversichtlich, „dass es eine kommende Generation gibt, die sich mit Freude der alten Musikalien annimmt und ohne Hemmungen auch vergessene Noten hinter dem Orgelschrank hervorholt und dann wieder aufbereitet und zugänglich macht.“
Elisabeth Hilscher und ihr Team haben die Noten geborgen, gereinigt und katalogisiert. Die alten Noten sollen wieder lesbar gemacht werden, damit man sie auch in der Praxis verwenden kann“, betont Hilscher.
Elisabeth Hilscher
Wiederentdeckt
Sie schrieben Hits am Dom
Bei der Aufbearbeitung der beschädigten Notenblätter aus dem Archiv der Dommusik stießen Elisabeth Hilscher und ihre Studierenden auf ein „buntes Spektrum an Komponisten und Kompositionen, die lange im Dom waren und vergessen sind. Kann man sie nicht doch einmal aufführen?“, fragt die Musikwissenschaftlerin und Sängerin im Vokalensemble der Dommusik.
Fast vergessen ist z. B. Georg Reutter (1708-1772), der große Domkapellmeister und Hofkapellmeister Maria Theresias, der rund 80 Messen, Oratorien und musikdramatische Werke verfasste.
Oder Gottfried von Preyer (1807-1901), ebenfalls Domkapellmeister von St. Stephan und Schöpfer von 25 Messen sowie von Requien, Tedeums, Hymnen und Antwortgesängen.
„Wir haben auch Werke von Michael Haydn (1737-1806) entdeckt, die zu Unrecht verschüttet gewesen sind. Das waren die Hit-Komponisten bis ins 19. Jahrhundert, die dann verschwunden sind“, sagt Hilscher.
Die Wiederentdeckung dieser fast vergessenen Musikgrößen könnte zur glücklichen Folge aus dem Wasserschaden werden.
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