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"Im Islam begegnen uns Werte, die bei uns verschüttet sind"

(27.06.2012) Der Islambeauftragte der Erzdiözese Wien, Martin Rupprecht, meint: "Wenn wir klug sind, werden wir diese Werte anerkennen, wahren und fördern."

Jede andere Religionsgemeinschaft ist eine Bereicherung, wenn wir es schaffen ein positives Verhältnis zu ihnen aufzubauen. Davon ist Martin Rupprecht, der Islambeauftragte der Erzdiözese Wien, überzeugt. "Gerade im Islam begegnet uns eine Religion, die manches aufdeckt, was bei uns verschüttet ist." So werde von Muslimen beispielsweise eine "starke Kultur des Fastens" und eine "Kultur des Betens" gelebt. "Wenn wir klug sind, werden wir diese Werte 'anerkennen, wahren und fördern'", sagt Rupprecht und verweist auf die entsprechenden Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Erklärung Nostra aetate.

 

Besonders hebt der Islambeauftragte die islamische "Kultur der Alkohollosigkeit" hervor, die angesichts des verbreiteten Alkoholismus unter österreichischen Jugendlichen zu denken geben sollte: "Nehmen wir das doch ernst und fragen unsere muslimischen Nachbarn nach ihren Erfahrungen mit der Kultur der Alkohollosigkeit."

 

Dialog mit wem?

Die muslimische Community sei genauso vielfältig wie die christlichen Kirchen. Das müsse man im Dialog mit den Muslimen bedenken, betont Rupprecht, der die "Kontaktstelle für christlich-islamische Begegnung" in der Erzdiözese Wien leitet. "Es nützt nichts, bei einer Gruppierung, die den Dialog nicht will, ständig die Türen einzurennen." Die Mehrheit der Muslime allerdings wünsche den Dialog. Beispielsweise suchten viele muslimische Studierende christliche Gesprächspartner, so Rupprecht.

 

Konkrete christlich-islamische Begegnung fördert die Kontaktstelle auf mehreren Ebenen: In einem Familienkreis treffen sich christlich-muslimische Paare; Priester und Imame begegnen einander zum Austausch - und beim Fußballspielen. Auch ein Treffen von christlichen Ordensschwestern und muslimischen Frauen sei in Planung, erzählt Rupprecht.

 

Den Imam "als Mensch" erleben

Wenn Imame aus der Türkei nach Österreich kommen, erhalten sie vom Außenministerium eine Schulung, in die auch die diözesane Kontaktstelle eingebunden ist, berichtet Rupprecht. "Wir versuchen ihnen ein Netz zu legen, damit sie ihre kirchlichen Ansprechpartner kennen."

Grundsätzliche hätten Pfarrer und Imame ein ähnliches Berufsbild: "Sie sind die Hirten und Prediger ihrer Gemeinden, sie genießen normalerweise ein großes Vertrauen, sie kümmern sich um die Jugend, die Familien und die alten Leute", sagt Rupprecht, der selbst Pfarrer der Wiener Pfarre Neufünfhaus ist: "Und wir haben die gleichen Sorgen!" Auch bosnische und türkische Imame seien zunehmend mit den Problemen der säkularen Gesellschaft konfrontiert, zum Beispiel "zerbrechende Familien oder junge Familienväter, die sich in Wettbüros verschulden", erzählt er: "Das sind Phänomene, mit denen Imame in ihrer klassischen Ausbildung nicht konfrontiert wurden." Bei den Begegnungen von Pfarrern und Imamen erlebe man einander "einfach als Mensch". Es sei wichtig, den Islam nicht als Bedrohung wahrzunehmen, betont Rupprecht.

 

Wenn Christen und Muslime heiraten wollen

Viele Anfragen erhältdie Kontaktstelle von jungen Menschen, die einen muslimischen Partner haben. Rund 15.000 christlich-muslimische Paare gibt es in Österreich. Man dürfe das nicht als Problem sehen, betont Rupprecht: "Der Glaube dient zur Freude des Menschen. Und wir müssen Lösungen finden, die diese Freude unterstützen." Im Trauungsbuch der katholischen Kirche gebe es offiziell "eine Trauung eines katholischen Partners mit einem Partner, der an Gott glaubt und nicht getauft ist, also eines Nicht-Christen", erläutert Rupprecht. Etwa drei bis fünf Mal im Jahr bereitet Pfarrer Rupprecht eine christlich-muslimische Trauung vor, zu der er auch einen Imam einlädt. Der Islam kenne allerdings keinen speziellen Ritus, erklärt er, aber es werden bestimmte Gebete gesprochen. "Bei uns macht das eben ein Imam."

 

Herausforderung: Kindererziehung

Die große Herausforderung für christlich-muslimische Paare sei aber die Kindererziehung. "Der katholische Partner geht die Verpflichtung ein, die Kinder im katholischen Glauben zu erziehen", erklärt Rupprecht und ergänzt: "Soweit dies möglich ist."Die Praxis sei individuell sehr verschieden. Die Kinder würden oft nicht getauft, sondern gesegnet werden. Wichtig für die Kinder sei, dass die Familien nicht gespalten sind, dass die Partner ein positives Verhältnis zur anderen Religion aufbauen. "Das Kind wird später dann entweder Christ mit einer starken Liebe zum Islam oder Muslim mit einer starken Liebe zum Christentum."

 

Christlich-muslimische Familien als Vorbild

Die Familien könnten als Vorbild für den christlich-islamischen Dialog ingesamt gesehen werden, betont der Islambeautragte. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil mahnt, die Werte der anderen Religion anzuerkennen, zu wahren und zu fördern, dann sei das "ein positiver, aktiver Auftrag, für den es Liebe und Empathie braucht", so Rupprecht. "Die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft kann dann vorbildhaft für den Dialog sein."

 

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