Die Verbrennung von über 200 jüdischen Männern und Frauen vor 590 Jahren - am 12. März 1421 - ging als "Wiener Gesera" in die jüdische Geschichte ein. Es war ein vom damaligen Herrscher Herzog Albrecht V. organisierter außergewöhnlich brutaler Justizmord, der die Wiener Judengemeinde völlig ausgelöschte. 800 arme Juden wurden vertrieben, die Synagoge geschleift. Die Theologische Fakultät dürfte an den Ereignissen nicht unbeteiligt gewesen sein, was sich unter anderem daran zeigt, dass die Steine der Synagoge der Wiener Universität übergeben wurden. Ein Dokument der Fakultät kommentierte dies mit den Worten: "Seht das Wunder: Die Synagoge des alten Gesetzes wurde auf wunderbare Weise in eine Schule der Tugenden des neuen Gesetzes umgewandelt."
Die dunkle Seite der Fakultät
"Es ist nicht so selbstverständlich, dass sich die Fakultät mit dieser dunklen Seite ihrer Geschichte beschäftigt", sagte Martin Jäggle, der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, am 10. März 2011, bei der Eröffnung der Tagung "Taufe oder Tod?", die sich mit Involvierung der Wiener Fakultät in die Pogrome von 1420/21 befasst. Die Tagung sei Teil eines Forschungsprojekt, es sei eine "Etappe in der Auseinandersetzung der Fakultät mit ihrer Geschichte", sagte Jäggle. Anlass ist das 650-jährige Bestehen der Universität, das im Jahr 2015 begangen wird. Ziel sei es, nicht "den Stab über Menschen aus der Vergangenheit zu brechen", sondern Einsichten für heute zu gewinnen, so der Dekan.
"Erstmals in der Geschichte zur Wiener Gesera diskutieren Theologen mit Historikerinnen, Jiddisten mit Germanisten und Judaisten ihre Thesen und Einsichten", betonte Martha Keil, die Leiterin des St. Pöltener Institut für Jüdische Geschichte in Österreich, das die Tagung zusammen mit der Katholischen Fakultät und dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit organisierte.
Vom Judenschutz zur Judenverbrennung
In der Forschung ungeklärt seien die Motive, die Herzog Albrecht V. dazu veranlassten, mit der Politik des Judenschutzes seiner habsburgischen Vorfahren zu brechen. Waren es wirtschaftliche Gründe, religiöser Fanatismus oder das Gerücht, die Juden hätten mit den böhmischen, reformatorischen Hussiten konspiriert?
Das Grundlagenreferat zur Tagung hielt der Historiker Christian Lackner vom Institut für Geschichte der Universität Wien. Er zeigte unter anderem die Nähe des für die Judenpogrome verantwortlichen Herzogs Albrecht V. zu den Gelehrten der Wiener Universität auf. Im universitären Milieu stellt Lackner "platte Judenfeindschaft" fest. Denn am 9. Juni 1419 sprach man in einer Fakultätssitzung der Theologen über "ein Bündnis von Juden, Hussiten und Waldensern", sowie vom "üppigen Leben" und den "fluchwürdigen Büchern" der Juden. Aufgrund der Quellen entstehe der Eindruck, so Lackner, dass "die Gelehrten der Rudolphina die geistigen Väter der Wiener Gesera" waren. Denn mit der Idee von einem Bündnis zwischen Juden und Hussiten lieferten sie dem Herzog das passende Argument, um gegen die Wiener Judengemeinde vorzugehen.
Universität spiegelt judenfeindliche Gesellschaft
"Man wird die Wiener Universität und deren führende Repräsentanten in Bezug auf die Wiener Gesera also unbedingt in die Verantwortung zu nehmen haben. Die hohe Schule widerspiegelt die Judenfeindschaft der spätmittelalterlichen Gesellschaft, trug aber gleichzeitig zur Akzeptanz und Propagation derselben maßgeblich bei", so der Historiker.
Wer waren diese Theologen?
Es stehe außer Zweifel, "dass die Theologische Fakultät die Judenfrage intensiv diskutiert hat, dass dabei antisemitische Äußerungen und Gedanken transportiert wurden", sagte dazu der Leiter des Forschungsprojekts der Wiener Katholischen Fakultät, Karl-Heinz Steinmetz, gegenüber Radio Stephansdom am Rand der Tagung. "Spannend ist aber dann, die einzelnen Theologen genau anzuschauen." Sein Forschungsansatz sei es, die Pluralität zu zeigen: Unter den Gelehrten der Universität gab es "ein breites Feld - je nach Autor, je nach Schrift, je nach politischer Lage". Es gab sowohl eine "Sensibilität gegenüber dem Hebräischen als Sprache" als auch "antisemitische Entgleisungen".
Es gibt noch Forschungsbedarf
"Je mehr die Hussitenfrage in Erscheinung tritt, die sich dann in Kriegen entlädt, desto mehr werden theologische Themen auf einmal unwichtig und eine Art von Religionspolitik kommt massiv in den Vordergrund", so Steinmetz. Das könne an der berühmten Fakultätssitzung von 1419 gezeigt werden. Geklärt werden müsse aber etwa die Frage, wer genau war bei der Sitzung dabei, was haben diese Personen sonst noch geschrieben? Dabei gäbe es also noch einiges an Forschungsbedarf, betonte Steinmetz.
Die Tagung "Taufe oder Tod? Die Vernichtung der Wiener Judenstadt 1420/21 im Spannungsfeld zwischen Theologie und Politik" dauert noch bis Freitag, 11. März, und beinhaltet auch ein Führung durch die Ausgrabungen der mittelalterlichen Synagoge am Judenplatz sowie eine Schweigeminute zum Andenken an die Opfer der Wiener Gesera.