Donnerstag 25. Dezember 2025
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"Ich bin für dieses Jahr bei aller Schwere sehr dankbar"

(22.12.2011) Im Gespräch mit Erzdiözese-Wien.at blickt Kardinal Christoph Schönborn auf das zu Ende gehende Jahr 2010 mit all seinen Höhepunkten, aber auch Schwierigkeiten zurück.

Das Jahr 2010 sei ein schreckliches Jahr, aber auch ein Jahr ausgesprochen großer Gnade gewesen, so Kardinal Christoph Schönborn, im Gespräch mit Erzdiözese-Wien.at. Begonnen hat das Jahr mit der Aufdeckung der Missbrauchsfälle in Deutschland, was auch in Österreich eine Welle von Meldungen losgetreten hat. "Dass so viele Verletzungen und Verwundungen, durch Menschen der Kirche verursacht, ans Tageslicht gekommen sind, das ist äußerst beschämend, das ist schmerzlich", so der Wiener Erzbischof.

Man müsse aber auch das Positive darin sehen: "Opfer, die sich getraut haben, die Wunden ihrer eigenen Geschichte zu thematisieren, oft nach Jahrzehnten zur Sprache zu bringen. Nicht umsonst haben wir den Opfern gedankt, die den Mut gehabt haben, diese Schwelle der Scham zu überwinden. Damit können sie auf einen Weg der Heilung gehen. Das war trotz aller Schrecklichkeit auch eine Gnade."

 

Die Gesellschaft braucht Wahrhaftigkeit

Das Thema Missbrauch sei noch nicht abgeschlossen, so der Kardinal, da es immer um Menschen mit Lebensgeschichten gehe, um Erfahrungen, die Menschen inmitten der Kirche und durch die Kirche gemacht hätten. "Es geht um die Frage, ob das, was an ihrem Gottes-, an ihrem Kirchenbild beschädigt worden ist, wieder geheilt werden kann." Die Arbeit der Klasnic-Kommission und der Ombudsstellen werde weitergehen.

"'Die Wahrheit wird euch frei machen', das ist ein Wort, das auch in der Gesellschaft wichtig ist. Wir brauchen in der Gesellschaft mehr Wahrhaftigkeit", so der Kardinal. Dabei gehe es nicht nur um den Bereich Missbrauch, das gelte auch für die Schuldensituation, für die Zukunft der Jugen und für Bildungsfragen. "Da hat die Kirche schon an Autorität gewonnen und nicht verloren, dass sie so konsequent einen Weg der Wahrheit begangen hat", betont der Kardinal.

 

Frage der Proportionalität

Im Angesicht zukünftiger Krisenzeiten sei die Sparnotwendigkeit außer Frage gestellt, aber die Sparziele müssten angemessen sein. Wenn auf der einen Seite Milliarden bereit gestellt werden, um die Banken zu retten, gleichzeitig das Geld für die Bildung und für Familientransfers fehle, stelle sich "ganz unpopulistisch, sehr realistisch, die Frage der Proportionalität", so der Kardinal. "Wobei die Größenordnungen, um die es hier geht, kaum vergleichbar sind, denn die Rettungspakete für die Banken sind von solchen Ausmaßen, dass die Bereiche, Bildung, Soziales, dem gegenüber harmlos sind."

 

Existentielle Fragen des Lebens

"In Zeiten des Umbruchs, in Zeiten großer Veränderungen, werden die persönlichen existentiellen Fragen stärker", so Kardinal Schönborn. Die guten Traditionen der Kirche würden die Menschen immer weniger tragen, immer weniger Stütze im Leben geben. Es liege nun an jedem Einzelnen einen Sinn für sein Leben zu finden, oder auch nicht. "Wenn ich in eine Glaubensgemeinschaft eingebunden bin, in ich aufgewachsen bin, das Sinnangebot dieser Glaubensgemeinschaft von Früh an eingeübt habe, dann ist es leichter in einer Krisensituation auf dieses Sinnsangebot zurückzugreifen. Das beeindruckende ist, wie viele Menschen heute Sinnsucher sind. Der Markt ist immens groß." In diesem Bereich müsse die Kirche, so der Wiener Erzbischof, wacher sein und auf die vielen Suchenden hinhören. "Wir müssen unsere kirchlichen Gemeinschaften, vor allem die Pfarren, deutlicher für die Menschen öffnen."

 

Strukturreformprozesse sind nötig

In den kommenden Jahren werde sich vieles ändern. "Wir müssen zweifellos einen großen Strukturreformprozess angehen, der schmerzlich wird. Wir müssen intensiver in unseren Gemeinden zusammenarbeiten, unsere geringer werdenden Mittel besser einsetzen, manches zusammenlegen und manches an Zusammenarbeit weiter oder neu entwickeln. Das schließt mit ein, dass wir zum Beispiel, wie wir es auch in Wien erleben, Gottesdienststätten an andere Kirchen abgeben, die bei uns im Wachstum sind, während wir zahlenmäßig eher im Schrumpfen sind", erklärt Kardinal Schönborn.

Man wolle natürlich auch den Weg, den man mit dem innerdiözesanen Prozess Apostelgeschichte 2010 begonnen habe, weitergehen: "Eine Kirche, die ihre Tore öffnet, eine Kirche, die mehr hinaus geht aus dem Innenraum der Kirche, eine missionarischere Kirche."

 

Blick auf die Christenverfolgung richten

Es sei wichtig, in den kommenden Jahren die Aufmerksamkeit auf die weltweite Christenverfolgung zu legen, so Kardinal Schönborn: "Es gibt sehr viele Länder, in denen heute Christen diskriminiert sind und auch ausdrücklich verfolgt werden, bis hin zu den erschreckenden Nachrichten aus dem Südsudan, wo Christen gekreuzigt werden. Das gibt es heute im Jahr 2010. Insgesamt sagt man, dass in 64 Ländern der Welt, Christen heute deutlich diskriminiert sind. Ein positives Signal ist, dass die OSZE auf ihrer Agenda jetzt ganz ausdrücklich das Thema Diskriminierung von Christen hat."

 

Die Menschenwürde ist unteilbar

Er sei froh über die Initiative, endlich die Gesetze zu ändern, sodass Kinder kein Schadensfall mehr sein können: "Kein Mensch ist ein Schadensfall. Eine Rechtsordnung in der ein Mensch zu einem Schadensfall erklärt werden kann, muss dringend repariert werden", erklärt Kardinal Schönborn. Die Position der Kirche sei in dieser Frage kein konfessionelle, sondern eine Position der Vernunft. "Die Menschenwürde ist unteilbar vom ersten Moment der Existenz bis zum natürlichen Tod. Wenn die Kirche das verteidigt, tut sie das nicht im Rahmen einer religiösen Sonderwelt sondern aus rationalen Gründen."

Selbiges gelte für die Euthanasie. "Euthanasie ist Mord. Es ist das Töten eines Menschen. Wenn man das Leben nicht durch extreme Maßnahmen verlängert, ist das der Lauf der Natur. Jemand aktiv mit einer Spritze aus diesem Leben herauszubefördern ist töten. Dasselbe gilt für die Abtreibung. Es ist Tötung. Nicht umsonst hat die österreichische Rechtsordnung den Paragraphen der Kindstötung im Mutterleib beibehalten und nur unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt. Es bleibt was es ist, eine Tötung. Und ich plädiere daher dafür, dass wir einfach immer wieder die Dinge beim Namen nennen. Das ist kein moralisches Urteil über die Person."

 

Geheimnis des Weihnachtsfests

"Das Geheimnis des Weihnachtsfestes ist, dass Gott nicht der ist, der irgendwann einmal am Anfang dieses Werk der Welt in Gang gesetzt hat und es seither laufen lässt und es vielleicht am Ende wieder einsammeln wird. Sondern er ist der, der jedem Menschen nahe ist", so Kardinal Schönborn. Gott sei jedem Menschen nah, so nah, dass er sogar Mensch geworden ist. "Das hat immense Folgen für die Sicht meines Nächsten, jetzt ist nämlich jeder, der mein Nächster ist, ganz nahe bei Gott, so sehr, dass Jesus sagen kann, was du dem Nächsten, dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan hat, das hast du mir getan. Das ist der Kern der Botschaft."

 

Radiotipp

Eine Zusammenfassung des Interviews mit Kardinal Christoph Schönborn können sie am Mittwoch, 22. Dezember 2010, von 19.00-19.25 Uhr, in den Perspektiven auf Radio Stephansdom hören.

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