Dienstag 7. Mai 2024
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Gebet mit Potenzial

(09.03.2014) Interview mit Hochschul-Professorin Christiane Koch über das Vaterunser. 

 

 

Warum ist das Vaterunser „das“ Gebet der Jüngerinnen und Jünger Christi?

Koch: Ob es „das“ Gebet der Jüngerinnen und Jünger Christi ist, sei dahingestellt. Das Vaterunser scheint ein Gebet zu sein, das sich schon früh in der Tradition der christlichen Gemeinden etabliert hat. Die große Bedeutung, die ihm beigemessen wurde, hängt wohl auch damit zusammen, dass es auf Jesus selbst zurückgeführt wird. Darüber hinaus erweist sich das Vaterunser bei genauerer Betrachtung als ein Gebet, welches das Lebenskonzept der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu zusammenfasst. Es gilt, Ausschau zu halten nach dem Reich Gottes bzw. dem Reich der Himmel und gleichzeitig sich der eigenen Verantwortung bewusst zu sein.

Welche Vaterunser-Bitte kommt Ihnen am leichtesten, welche am schwersten über die Lippen? Und warum?

Koch: Im Grunde ist jede Zeile des Vaterunsers eine absolute Herausforderung. Auf den ersten Blick scheinen die ersten Bitten, in denen es um das Erfahrbar-Werden der Wirklichkeit Gottes geht, der tiefsten Sehnsucht des Menschen zu entsprechen und ihm gewissermaßen „aus dem Herzen“ zu kommen. Wer wünscht sich nicht den Beginn der Heilszeit? Bei eingehender Beschäftigung vor allem auch mit den alttestamentlichen Wurzeln der einzelnen Bitten zeigt sich allerdings, dass das „Heil“ Gottes oft eigene Wege geht, die vielfach nicht den Vorstellungen und Wünschen der Menschen entsprechen.

Ist der zweite Teil konkreter?

Koch:  Im zweiten Teil des Vaterunsers, in dem es sehr konkret um die alltägliche Lebenswirklichkeit geht, erinnert Jesus seine Jüngerinnen und Jünger an ihre Mit-Verantwortung. Hier fällt der Blick auf die Schwerpunktsetzung im eigenen Leben und auf das Miteinander in der Gemeinschaft. Auch da führt eine intensivere Betrachtung der Bitten zur Erkenntnis, dass im Grunde ein höchst kritisches und herausforderndes Potenzial darin steckt. Erinnern wir uns beispielsweise nur daran, dass die Vergebung Gottes im Vaterunser aufs Engste mit der Bereitschaft zur Versöhnung mit dem Nächsten im eigenen Umfeld verbunden ist.

Wer lehrt heute die Menschen beten? Gibt es eine Gebetsschule, die Sie empfehlen?

Koch: Wer, in welcher Gebets-tradition auch immer, ernsthaft zu beten beginnt, wird bald feststellen, dass damit in erster Linie ein Loslassen verbunden ist. Ein Loslassen von eigenen Vorstellungen, Plänen und Konzepten. Eine „Gebetsschule“ ist daher immer auch eine „Lebensschule“. Wer zu beten beginnt und sich damit sozusagen auch „von Gott ins Gebet nehmen lässt“, wird allerdings auch die Erfahrung machen, wie wohltuend, aufrichtend und befreiend es ist, loszulassen und sich mit allen Fragen, Sorgen und Lasten mit einem Mal nicht mehr allein zu fühlen. In der christlich-katholischen Glaubenstradition werden heute ganz unterschiedliche Gebetswege und Gebets- praktiken angeboten und empfohlen. Doch welchen Weg auch immer man wählt, es gilt, ihn Schritt für Schritt zu gehen, auch dann noch, wenn ein schmaler Pfad durch die Wüste führt.

Interview: Stefan Kronthaler

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