Freitag 26. April 2024
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Öffnet die Schatzkammer

(18.9.2011) Interview mit Werner Tiki Küstenmacher über den Megatrend Spiritualität.


Welchen Stellenwert hat „Spiritualität“ in der heutigen Gesellschaft?

Küstenmacher: Die Menschen hungern zu allen Zeiten nach Sinn. Sie spüren, dass dieses Leben eine tiefere Dimension hat und eine Bedeutung über den eigenen Tod hinaus. Sie fragen nach dem letzten Grund ihres Lebens und dem Geheimnis der Welt. Neu ist, dass wir heute mündige, aufgeklärte und global denkende Menschen haben, die diese Frage stellen. Sie geben sich nicht mit alten Konzepten zufrieden.

Gibt es den vielzitierten „Megatrend Spiritualität“?

Küstenmacher: Ganz sicher, nur die Namen ändern sich: Glaube, Frömmigkeit, Spiritualität. Es geht um den Wunsch, Gott selbst zu erfahren. Diese Erfahrung ist elementarer als die Frage nach der Lehre, dem Dogma, weil die Erfahrung immer der theologischen Reflexion und damit dem Dogma vorausläuft. Wenn Kirche die Spiritualität heutiger Menschen ernst nimmt, kann sie neue theologische Einsichten gewinnen. Das ist wichtiger, als alte Gewohnheiten zu verteidigen. Aber eben auch riskanter. Wer sich in der Kirche auf die spirituelle Suche nach Gott macht, geht das Wagnis ein, Grenzen zu überschreiten. Aber davon lebt das Christentum!

 

Was müssen Kirchen und Religionsgemeinschaften tun, um bei diesen Entwicklungen den Anschluss zu halten?

Küstenmacher: Wir müssen nicht „anschließen“, sondern „aufschließen“, und zwar die reich gefüllte spirituelle Schatzkammer unserer christlichen Religion, vor allem mit den Erfahrungen der breiten mystischen Tradition. Hier können wir sehen, welche tiefen Bewusstseinszustände im Gebet und in der kontemplativen Versenkung gemacht werden. Daraus können wir für die eigene spirituelle Praxis lernen – bis hin zur Erfahrung, die Jesus als Einssein mit dem Vater beschreibt. In unserem Buch „Gott 9.0“ haben wir das ausführlich geschildert.

Welche Entwicklungen erwarten Sie?

Küstenmacher: In Zukunft werden Christen zwei Standbeine haben: Sie sind spirituell erfahren dank eigener mystisch-kontemplativer Praxis. Und sie sind religiös aufgeklärt: Sie können an Hand ihrer eigenen Biografie und der Kirchengeschichte erkennen, dass auch Glaube sich weiterentwickelt. Wir sprechen in „Gott 9.0“ von Bewusstseinsstufen. Spannend dabei: Immer mehr Christen merken, dass ihr Bewusstsein sie mit den Menschen aus anderen Konfessionen und Religionen verbindet. Sie betonen nicht mehr das Trennende, sie fühlen sich nicht mehr bedroht von der „Konkurrenz“, sondern entdecken den gemeinsamen Reichtum hinter allen Gegensätzen. Da entsteht ein Christentum, das ganz neue Wege finden wird, Jesus zu folgen. Noch sind die Kirchenleitungen zu sehr bestimmt von der Angst, das eigene Profil zu verlieren. Deswegen halten sie an Details fest, an altmodischen Gottesdienstformen und -liedern. Da könnte man mit geringem Aufwand viel erreichen.

Was sind die Stärken christlicher Spiritualität?

Küstenmacher: Heute wird Kirche als Retro-Laden erlebt. Dabei war es einmal die Stärke christlicher Spiritualität, die Menschen gut zu informieren über die aktuellen geistigen Entwicklungen, in denen Glaube stattfindet. Wir versuchen, mit unserem in „Gott 9.0“ vorgestellten Modell das zu leisten – in einer allgemein verständlichen Sprache, die auch Menschen anspricht, die außerhalb der Kirchen nach spirituellen Antworten suchen.

Interview: Stefan Kronthaler

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