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08.08.2018 · Glaube · Lebenszeugnis

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Und versucht vor allem, den anderen als Menschen zu betrachten. Das scheint mir das Wichtigste zu sein. ... Hoffen wir das Beste für die Zukunft. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.   

Am Montag feiert Kurt Spera seinen 90. Geburtstag und das grenzt an ein Wunder. Denn als Sechsjähriger erkrankte er lebensgefährlich und als er zehn Jahre alt war, kamen die Nazis in Österreich an die Macht und der Sohn einer Jüdin wurde zum Freiwild. Als unermüdlicher Zeitzeuge erzählt Kurt Spera heute den jungen Generationen von dem, was er erlebt hat und was sich nie wiederholen soll.

 

 

Kurt Spera ist in seinem Leben weit herumgekommen, zuhause ist er aber immer noch da, wo er aufgewachsen ist: in Wien-Ottakring. Damals weidete hier ein Dutzend Kühe und jeden Tag gab es frische Milch. Seine Kindheit beschreibt er als behütet. Aber der Nationalsozialismus warf seine Schatten schon früh auf die Familie. Der Vater musste konfessionlos werden, um die Mutter, eine Jüdin, heiraten zu dürfen.


Mit sechs Jahren erkrankte Kurt Spera gleichzeitig an Diphterie, Masern und Scharlach und musste sechs Monate im Spital verbringen. Als er nachhause kam, war seine Mutter fort. Was passiert war, wollte ihm keiner sagen. Es beschäftigt ihn bis heute.


Seine Tage verbringt der bald 90-Jährige mit Arbeit. Er unterrichtet nach wie vor an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist Präsident des Internationalen Verbandes der Tarifeure. Stundenlang sitzt er vor dem Computer, verbessert Prüfungen und vereinbart Termine via Smartphone.


Papier und Bleistift braucht Kurt Spera auch  – für’s Dichten. Darin findet er einen Ausgleich, sagt er: „Ich schreibe, weil ich einerseits relativ hart und andererseits sehr sensibel bin.“ Auch seine Erlebnisse während der NS-Zeit hat er in Gedichten aufgearbeitet.


Sie waren 10 Jahre alt, als im März 1938 in Österreich die NS-Herrschaft begann. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?


Von einem Tag auf den anderen war alles anders. Ich war plötzlich ein Ausgestoßener, ein Aussätziger, und niemand durfte mit mir sprechen.

 

In der Schule musste ich allein in einer Bank sitzen. Jeden Tag ist ein Exemplar der Nazi-Hetzzeitschrift „Der Stürmer“ auf meiner Bank gepickt. Das war sozusagen die Rache meiner Klassenkameraden, weil sie mich nicht als vollwertigen Menschen betrachtet haben – und nicht betrachten konnten, weil natürlich auch die Lehrer dem Regime entsprachen.

 

Nach drei Wochen im Gymnasium wurde ich hinausgeschmissen, weil man gesagt hat, ich brauche keine höhere Bildung, ich soll in die Hauptschule gehen. Dort wurde die Quälerei immer ärger. Die konnten mich schlagen ohne irgendwelche Konsequenzen.


Wie haben Sie sich da gefühlt?


Das Schlimme ist die Einsamkeit, die an einem zehrt. Und andererseits diese absolute Rechtlosigkeit.

 

1942 wurde ich aus der Hauptschule entlassen, durfte keine weitere Schule besuchen und wurde dienstverpflichtet. Damals musste jeder Jugendliche seinen Dienst ableisten. Ich war in einer riesigen Uniformschneiderei und musste Stoffballen schleppen, die manchmal schwerer waren als ich. Darüber hinaus musste ich nach allen Luftangriffen – und Ottakring war sehr im Kreuzfeuer der Alliierten – in die Keller.

 

Zwei Erlebnisse sind mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben: In einem Keller sind die Menschen dagesessen wie lebend, aber aus Nase und Ohren trat Blut aus – es hatte ihnen die Lungen zerrissen.

 

Das andere schlimme Erlebnis war, als wir in den Keller eines ehemaligen Gasthauses gekommen sind. Da ist der Rotwein geschwommen in Massen, und drinnen die Leichenteile.

 

Das sind Anblicke, die für einen Menschen in der Entwicklung – ich war damals 14, 15 Jahre alt – nicht zuträglich sind. Das kann man nicht wegwischen, es verfolgt einen über Jahre.


Wie haben Sie das Ende des Nazi-Regimes erlebt?


Ich war bei Schanzarbeiten am Südostwall beim heutigen Hauptbahnhof. Als sowjetische Jagdbomber angriffen, bin ich mit einem Freund geflüchtet und wir haben uns in der Wohnung meines Vaters versteckt. Der Kanonendonner war enorm und die Sowjetarmee war schon vor Wien.

 

Wir sind dann abenteuerlich nach Ottakring gegangen und haben immer Angst gehabt, dass uns noch wer von der SS oder vom HJ-Streifendienst erwischt und als Kanonenfutter gebraucht.

 

In der Wilheminenstraße sind wir den ersten Rotarmisten begegnet. Ich habe mich dann als Antifaschist zu erkennen gegeben. Am nächsten Tag haben sie mich auf die Kommandantur geschickt und gesagt, ich soll Jugendarbeit machen.


Als Zeitzeuge erzählen Sie jungen Menschen von dem, was Sie erlebt haben. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

 

Die jungen Menschen sind zuerst immer völlig ungläubig, dass es so etwas gegeben hat. Dann verstehen sie langsam, worauf ich hinaus will. Ich sage ihnen immer wieder: Wehret den Anfängen und seid bemüht, alles zu tun, um gegen Antisemitismus und Rassismus einzutreten.

 

Und versucht vor allem, den anderen als Menschen zu betrachten. Das scheint mir das Wichtigste zu sein.


Ihre Mutter war Jüdin, Sie selbst wurden als Kind katholisch getauft und sind später in die Israelitische Kultusgemeinde eingetreten. Welche Rolle spielt Religion in Ihrem Leben?


Religion war für mich nie eine Frage. Ich denke, dass wir unsere Existenz den Naturkräften zu verdanken haben. Ich sage: Das Leben wird von uns selbst geprägt und wir sollten an unsere eigene Kraft, unsere eigene Zuversicht glauben und mit ihr leben.


Was hat Ihnen in der schweren Zeit Kraft gegeben?


Der Gedanke, das Regime kann‘s nicht ewig geben. Ich hab‘ versucht, die Zähne zusammenzubeißen und alle Schikaniererei und Drangsalierungen zu ertragen. Es geht ja auch nicht anders. Man kann sie nur ertragen oder man geht unter. Ertragen kann man sie nur, wenn man die Kraft aufbringt, immer an‘s Überleben zu denken.


Haben Sie einen Lebenstraum, den Sie noch verwirklichen wollen?

 

Meine Lebensjahre möchte ich möglichst nützlich verbringen und jungen Menschen immer wieder erzählen, wie es damals war und was sich nicht mehr wiederholen darf.

 

Hoffen wir das Beste für die Zukunft. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.   

 

erstellt von: Der SONNTAG / Monika Fischer
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Weitere Informationen:

Ohne Wärme und Liebe
wuchsen wir auf,
uns umgaben
nur Hass und Not,
doch wir standen
inmitten der Zeiten Lauf,
und gegen uns
stand der Tod.


Gedicht von Kurt Spera

 

Kurt Spera

 

wird am 5. August 90 Jahre alt.


Er ist ausgebildeter Industriekaufmann, studierter Betriebswirt, Sachverständiger für das Fracht- und Tarifwesen und seit 1970 Präsident des Internationalen Verbandes der Tarifeure.


Bis heute unterrichtet er an Universitäten, z.B. der WU Wien.


Er hat zwei Kinder, Christian und Danielle, die Direktorin des Jüdischen Museums Wien ist.


Seine große Leidenschaft ist die Eisenbahn.

 

Gedicht (Auszug)


Frühling aus meiner Sicht
Frühling ist’s, die Sonne scheint,

doch die Welt ist voller Kriege,

niemand, der die Menschen eint

und den Frieden führt zum Siege.

 

Frühling ist’s,

doch sind vom Frieden

meilenweit wir noch entfernt,
denn die Menschen hier hernieden

haben leider nichts gelernt.

 

Privat

Leben ist …
das herrliche Gefühl, wieder einen Tag genießen zu dürfen, um den Ereignissen, die kommen, mit Optimismus entgegensehen zu können. Egal ob Sonne oder Regen, allein das Glück auf der Welt zu sein, ist ein wunderbares Erleben.

 

Sonntag ist …
für mich eine Zeit des Kräftesammelns, um die Auseinander­setzungen mit den Widrigkeiten des Alltags zu vergessen und die kommende Woche mit neuen Zielen schwungvoll zu meistern.

 

Glaube ist …
für mich Bewunderung der mich umgebenden Schönheit der Natur und all den Dingen, die den Menschen Freude bereiten, aber auch die Verabscheuung alles Bösen, das den Bewohnern unseres Planeten Erde nur Leiden schafft.

 

Radio Tipp

Aus seiner bewegten Lebensgeschichte erzählt Kurt Spera im Sommergespräch auf radio klassik Stephansdom

 


 

weitere Lebens - und Glaubenszeugnisse

 


 

Der SONNTAG

die Zeitung der Erzdiözese Wien

Stephansplatz 4/VI/DG

1010 Wien
T +43 (1) 512 60 63

E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at

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