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08.06.2018 · Glaube · Spiritualität

Geheimnisse unserer Klosterbibliotheken

Herz-Meditation mit Karl-Heinz Steinmetz bei den Wiener Dominikanern.

Sie bergen wahre, oft noch ungehobene Schätze: die Klosterbibliotheken Europas. Der Wiener Theologe und Medizinhistoriker Karl-Heinz Steinmetz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Traditioneller Europäischer Medizin (TEM) und weiß, was das Christentum im Bereich Pflanzenheilkunde, Ernährungslehre, Massagetechniken, Kurmedizin und Leibgebärden anbieten kann.

 

 

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) wird in Europa als das alternative und spirituelle Heilmittel angepriesen. Dass es auch eine TEM, eine Traditionelle Europäische Medizin, gibt, ist nicht so bekannt.

 

Der Wiener Theologe und Medizinhistoriker Karl-Heinz Steinmetz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit TEM. In seinem jüngsten Buch „Stille, Seelbad, Engelsbrot“  hat er in unseren heimischen Klosterbibliotheken wahre Schätze der alternativen Heilkunst, Gesundheitsvorsorge und Ernährungslehre gefunden. 

 

In Europa und im Christentum hat man den Eindruck, dass einiges an spirituellem Wissen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts nicht „weggelegt“, sondern „verdrängt“ wurde – „nach dem Motto, das Gute kommt immer von außen, das Eigene ist nichts wert“, sagt Steinmetz im SONNTAG-Gespräch: „Ein sehr wichtiger Wissensspeicher Europas sind die Klosterbibliotheken.“

 

Kein leibfeindliches Christentum

„TEM – Traditionelle Europäische Medizin – ist die europäische Heiltradition aus der Zeitspanne zwischen Hippokrates von Kos (460–370 v. Chr.) und ca. 1820, die zwar in Teilbereichen überholt, aber in ihren Grundprinzipien und vielen Inhalten eine Ressource für die moderne Integrativmedizin darstellt“, ist Steinmetz überzeugt.

 

„Wir sollten an diesem Schatz nicht vorübergehen, weil dieses Heilwissen heute dringend gebraucht wird: Pflanzenheilkunde, Ernährungslehre, Massagetechniken und Kurmedizin, mind-body-medicine und vieles mehr.

 

Dazu müssten wir freilich die TEM besser beforschen und Qualitätsstandards definieren; wir stehen da noch ganz am Anfang“, betont der Medizinhistoriker.

 

Auf den Vorwurf, dass das Christentum in vielen Kreisen als leibfeindlich gilt, wendet Steinmetz ein:  „Die Beziehung des Menschen zu seinem Leib ist ein komplexes Geschehen, das ihn zu allen Zeiten, in allen Kulturen und in jeder Religion beschäftigt hat – mit jeweils unterschiedlichen Strategien.“

 

Askese, die bis an die Grenzen der Leiblichkeit geht, existiert nicht nur im Christentum, sondern auch im modernen Leistungssport oder in bestimmten Yoga-Richtungen Indiens.

 

„Natürlich gab es in der Geschichte und gibt es im heutige Christentum in bestimmten Bereichen ,Phänomene der Leibfeindlichkeit’, über die man nur staunen kann, aber eben auch eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Leib: vom ,Gott zwischen den Kochtöpfen’ bis zu ,christlichen Leibgebärden’, die fast yoga-ähnlich anmuten“, zählt Steinmetz auf.  


Das drängendste Problem des heutigen Christentums und der Industrienationen scheint ihm „allerdings nicht die Leibfeindlichkeit zu sein, sondern eher eine ,Leibvergessenheit’.

 

Manche Menschen, gerade auch Christen, sind sich nur vage bewusst, dass sie nicht nur einen Körper haben, sondern Leib sind – fast schon ein Skandal in einer Religion, die verkündet, Gott sei Leib geworden.“


Gegenwärtiger Körperkult

Im Deutschen kann man zwischen Körper und Leib sprachlich unterscheiden: Körper, den ich habe; Leib, der ich bin. An Körper-Praktiken, die fast bis zur
„Besessenheit“ geübt werden, „ist heute kein Mangel“, sagt Steinmetz: „Fitness-Studio, Botox-Spritzen, Body-Shaping, zur Not auch Schönheitschirurgie.

 

Beim Körper geht es um ein Ding, das ich behandeln und optimieren kann.“ Das ist „völlig legitim, auch ich gestalte meinen Körper, den ich habe“. 

 

„Der heutige Körperkult hat allerdings, meiner Meinung nach, das Geheimnis des Leibes, der ich bin, zu sehr in den Hintergrund gerückt“, bedauert der Theologe: „Mein Leib ist ,Tempel des Heiligen Geistes’, aber auch zerbrechlich und sterblich, und hat – zumindest nach der Botschaft des Christentums – eine himmlische Zukunft jenseits von Raum, Zeit und Materie. Davon hört man heute reichlich wenig!“


Spiritualität für den Alltag

Wie könnten konkrete kirchliche Angebote in der Praxis aussehen? Leibspiritualität hat mit dem „lebendigen Leben“ zu tun und sollte mehr als ein weiteres „Pastoral-Konzept“ sein.

 

„Insofern würde ich bei den Hot-Spots des modernen Lebens beginnen: Die meisten Christen haben nicht präsent, was die Heilige Schrift, die Kirchenväter und -mütter, die spirituellen Lehrer und Lehrerinnen alles über die ,Spiritualität der Ernährung’ zu sagen wissen, in den Bereichen Ethik, Mystik, Gesundheit und Mahlkultur“, sagt Steinmetz:

 

„Angesichts der Verbreitung von Yoga und Qigong, meines Erachtens wertvolle Zeugnisse asiatischer Leibspiritualität, wäre es doch wünschenswert, wenn das christliche Leibgebet wieder zu blühen begänne, damit Christen, die bewusst einen christlichen Weg gehen wollen, diesen überhaupt erst einmal entdecken können, was auch für die christliche Kontemplation gilt.“

 

Was Steinmetz Menschen empfiehlt, die beruflich und familiär stark gefordert sind, und die spirituelle Traditionen ausüben wollen?

„Spiritualität ist keine Sache von großen Programmen oder zeitintensiven Übungen“, betont Steinmetz: „Wer die Grundlagen der christlichen Spiritualität der Ernährung, Gebetsgebärden oder die Herzmeditation einmal erlernt hat, der findet in den kleinen Pausen des Alltags, ja sogar mitten im Alltag, Raum dafür.“

 

Wo man die Herz-Meditation „lernt“?
Wer Leibgebärden und Herzmeditation kostenlos erlernen möchte, der kann einfach während des Semesters an Mittwochabenden um 19.30 Uhr für eine Stunde im Dominikanerkloster (Wien 1)  vorbeischauen.

 

Steinmetz: „Wenn sich spirituell Suchende immer wieder in der Gruppe treffen, dann um genau das zu vollziehen: Bei der Herz-Meditation singen wir innerlich-geistig auf den Ausatem den heiligen Namen ,Jesus’, der übersetzt bedeutet: ,Gott ist heilend gegenwärtig‘.

 

Zusätzlich machen wir einige Leibgebärden des heiligen Dominikus, gemäß den Bildern einer mittelalterlichen Handschrift.“

 

In Asien, den USA und in Europa machen viele Menschen Yoga, Qigong und Zen. „Österreichische Christen sollten diesen Formen der Leibspiritualität mit Wertschätzung begegnen, dabei aber nicht vergessen, dass sie ganz besonders zur Herz-Meditation und zu den Leibgebärden in der Tradition der Zisterzienser, Dominikaner und Karmeliten Mitteleuropas eingeladen wären – also zu ihrer eigenen Tradition“, unterstreicht der Theologe und Medizinhistoriker.

 

erstellt von: Der SONNTAG / Stefan Kronthaler und Agathe Lauber-Gansterer
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Weitere Informationen:

Wo man die Herz-Meditation „lernt“?
Wer Leibgebärden und Herzmeditation kostenlos erlernen möchte, der kann einfach während des Semesters an Mittwochabenden um 19.30 Uhr für eine Stunde im Dominikanerkloster (Wien 1)  vorbeischauen.

 


BUCHTIPP

 

Das Gute liegt nah

In seinem neuen Buch „Stille Seelbad Engelsbrot“ macht sich der Theologe und Medizin-Historiker Karl-Heinz Steinmetz auf Schatzsuche in unseren Klosterbibliotheken: Er hebt jahrhundertealtes Heilwissen rund um Ernährung und spirituelle Gebärden, erkundet das Herz als spirituelles Organ und bietet eine Anleitung zum spirituellen Saunieren.

 

Dieses Buch ist in höchstem Maße originell und lesenswert. Ob „Dressings“ aus Klosterküchen, die Gewürzmischung eines Papstkoches oder die Übung „Annahme meiner Selbst“ als Burn-out-Prophylaxe.

 

Das Gute liegt nah wie wir dank Steinmetz neu entdecken dürfen.

 

Karl-Heinz Steinmetz

Stille Seelbad Engelsbrot.

Heimisches spirituelles Wissen neu entdecken.

Styria;

ISBN: 978-3-222-13579-8


 

Spiritualität für Leib und Seele

 


 

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Der SONNTAG

die Zeitung der Erzdiözese Wien

Stephansplatz 4/VI/DG

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