Alberto Acosta war Energieminister und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador. Der Ökonom und Politiker ist ein großer Fan der Fußball-Nationalmannschaft seines Landes, die an der WM in Brasilien teilnimmt.
Alberto Acosta war Energieminister und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador. Der Ökonom und Politiker ist ein großer Fan der Fußball-Nationalmannschaft seines Landes, die an der WM in Brasilien teilnimmt.
Alberto Acosta, ein ecuadorianischer Ökonom, stellt ein nicht nur in Südamerika diskutiertes Entwicklungskonzept vor.
DER SONNTAG: Sie haben schon vor der Wirtschaftskrise 2008 das „Konzept des guten Lebens“ als Alternativmodell entwickelt.
Alberto Acosta: Ich bin nicht Erfinder dieses Konzepts. Dieses stammt vom indigenen Volk und besteht seit Jahrhunderten. Das Neue daran ist, dass diese Ideen in die ecuadorianische Politik Einzug gehalten haben. Man spricht vom guten Zusammenleben mit der Natur und mit der Gemeinschaft in der Gemeinschaft. Auf Spanisch „Buen vivir“ und in Ketschua „Sumak kawsay“. Das Einzige, was ich als Präsident der verfassungsgebenden Versammlung machen konnte, war, dieses Konzept zu unterstützen.
Was haben Sie aus der Lebensphilosophie der indigenen Bevölkerung übernommen?
Zunächst wurde eine Definition vom „guten Zusammenleben“ versucht. Wir haben ein Grundprinzip in diesem Konzept: die Harmonie. Statt Wettbewerb, Akkumulation, Profit, Wirtschaftswachstum. Ein Mensch muss in Harmonie mit sich selbst, mit anderen Mitmenschen und die Gemeinschaft in Harmonie mit der Natur leben. Es wird kein Paradies auf Erden vorgestellt, das ist nicht möglich. Es ist keine millenaristische Vorstellung, sondern wir suchen eine andere Orientierung, nämlich eine Gesellschaft auf solidarischen Prinzipien zu organisieren.
Wie soll die Wirtschaft in der Zukunft aussehen?
In unserer Verfassung steht ganz deutlich, dass wir eine solidarische Wirtschaft gründen müssen. Wir sprechen nicht von einer Marktwirtschaft, auch nicht von einer sozialen Marktwirtschaft. Eine Wirtschaft braucht einen Markt, aber die Wirtschaft muss nicht nur durch den Markt bestimmt werden. Der in Wien geborene Karl Polanyi hat immer gesagt: „Der Markt kann ein guter Diener sein, aber nie ein guter Herr.“ Der Markt muss anders gemacht werden. Wenn wir von den Rechten der Natur sprechen, brauchen wir eine Entmarktung der Natur. Die Natur kann nicht als ein Objekt betrachtet werden. In unserer Verfassung steht, dass das Wasser nicht privatisiert werden darf. Leider hat die Regierung das noch nicht in die Praxis umgesetzt.
Papst Franziskus hat geschrieben: „Diese Wirtschaft tötet.“ Was sagen Sie dazu?
Wir müssen diese Wirtschaft ändern. Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen, sie muss sich der Natur unterwerfen, die Wirtschaft muss ein Teil des guten Zusammenlebens sein, nicht eine Form für die Akkumulation des Kapitals. Ich teile ganz die Meinung von Papst Franziskus.
Ist Wirtschaftswachstum ein Allheilmittel? Muss es Grenzen geben?
Das gute Zusammenleben muss gewisse Grenzen setzen. Wenn wir die Natur zerstören, zerstören wir unsere Existenzgrundlagen. Wenn wir von den Rechten der Natur sprechen, sprechen wir im Grunde von den Rechten der Existenz der Menschheit selbst. Im sozialen Bereich brauchen wir zwei Grenzen: Wir müssen die Armut ganz abschaffen. Es braucht außerdem eine Opulenzgrenze, damit die Menschen nicht ausgebeutet werden von wenigen, die besser leben, und der Rest lebt schlecht. Wir müssen uns langsam aus dem Prinzip des Wachstums befreien. Kenneth Boulding hat etwas Schönes gesagt: „Nur Volkswirte und Verrückte glauben, dass es ein permanentes wirtschaftliches Wachstum auf einer Erde mit Grenzen geben kann.“ Das kann nicht auf ewig dauern. Das heißt nicht, dass arme Leute arm bleiben müssen. Um das lösen zu können, brauchen wir eine Umverteilung des Reichtums.
Sie wurden mehrmals kritisiert, dass Sie als Präsident der verfassungsgebenden Versammlung zu oft das Wort der Opposition erteilt haben.
Das gehört zur Demokratie. Diese muss auf der Basis der Gesellschaft praktiziert werden. Das ist nicht nur eine Frage von Wahlen, das ist nur ein Teil der Demokratie. Die indigene Bevölkerung hat eine gewisse Vorstellung von gemeinschaftlicher Demokratie. Diese Menschen suchen Entscheidungen durch Konsens. Die Konsensfindung durch eine starke Beteiligung führt zu einer anderen, erweiterten Form von Demokratie.
Benötigen wir eine politische Transformation?
Wir brauchen politische Taten, um diese Welt zu verändern. Wir müssen uns selbst regieren, wenn wir unser Leben unter Kontrolle bringen wollen. Wir müssen es anders gestalten: gutes Leben in Verbindung mit einer guten Nutzung von Technologien. Ich frage mich, ob die neuen Technologien dem Menschen oder der Akkumulation des Kapitals dienen. Irgendwann müssen die Menschen, die im Überfluss leben, „genug“ sagen. Die Welt wird nicht halten, wenn wir weiter so viele Rohstoffe verbrauchen. 20% der reichsten Menschen verbrauchen 80% der Rohstoffe. Wenn die restlichen 80% Menschen soviel Rohstoffe verbrauchen würden wie die anderen 20%, die Erde würde zugrunde gehen.
Alberto Acosta war auf Einladung von „Jugend Eine Welt“ in Wien.