Geteilte Stimmung in Anrainerpfarren. Umweltbeauftragte Sprecher Gerhartinger: Braucht beim Umweltschutz nicht nur Reden, sondern auch mutige und richtungsweisende Handlungen.
Als "richtige Entscheidung" hat der Sprecher der kirchlichen Umweltbeauftragten, Markus Gerhartinger, das am Mittwoch bekannt gegebene "Aus" für den Bau des Lobautunnels bezeichnet. "Es ist immer leicht vom Klimawandel oder der Klimakrise zu reden. Es braucht hier nicht nur Reden, sondern auch mutige und richtungsweisende Handlungen", lobte Gerhartinger die Entscheidung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), das Projekt zu stoppen.
Die kirchlichen Umweltbeauftragten erinnerten in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress am Donnerstag auch daran, dass Österreich sich zur CO2-Reduktion durch das Pariser Klimaabkommen verpflichtet habe. "Während in Bereichen wie Gebäude, Energie und Industrie oder Landwirtschaft in den letzten Jahren CO2 Einsparungen gelungen sind, steigt der CO2-Ausstoß im Verkehr immer noch an", verdeutlichte Gerhartinger die Dringlichkeit einer Kurskorrektur.
Derzeit erlebe man eine "ganz entscheidende Phase des Umbruchs, weg von sehr stark auf Auto und Straße fokussierten Verkehrssystemen hin zu mehr öffentlichen Verkehr und Radverkehr", so Gerhartinger. Dieses Thema sei auch den Umweltbeauftragten der katholischen und evangelischen Kirche ein Anliegen, wenn sie etwa in der Fastenzeit zum "Autofasten" aufrufen.
Es brauche natürlich Alternativen zu gestoppten Straßenbauprojekten, "eine rasche Ausbauoffensive der öffentlichen Verkehrsmittel und der Radinfrastruktur", sei eine Lösung, zeigte sich Gerhartinger überzeugt. "Die Bahnausbauoffensive oder das Klimaticket zeigen hier schon deutlich den Weg in die richtige schöpfungsfreundliche Richtung auf", so Gerhartinger abschließend.
Freude und Sorge über das Lobautunnel-Aus vermischen sich in den direkt betroffenen Pfarren, durch welche die Wiener Nordostumfahrung geführt hätte, ergab eine Kathpress-Nachfrage am Donnerstag. Etwa in Groß-Enzersdorf, wo der ursprünglich geplante Lobautunnel an die Oberfläche gekommen wäre, habe sich im Vorfeld eine große Gruppe gegen den Tunnel gestellt - "da dann die Abgase bei uns herausgekommen wären" -, doch auch etliche Befürworter habe es gegeben, hieß es aus dem Pfarrsekretariat. "Pro und Contra haben sich in etwa die Waage gehalten. Vor allem wäre es darum gegangen, den noch zu Wien gehörenden Stadtteil Essling zu entlasten."
Dass diese Notwendigkeit weiter besteht, verdeutlicht der Anruf in Essling, wo man die einzige Einfahrtsroute aus dem Marchfeld nach Wien überqueren muss, um vom Pfarrheim in die Kirche zu gelangen. Die Verkehrslage der Esslinger Hauptstraße sei schlichtweg eine "Katastrophe", schilderte Pastoralassistentin Gerda Danhel. "War früher morgens und nachmittags ab 15 Uhr Stoßzeit, so gibt es mittlerweile den ganzen Tag bis Mitternacht enorm hohes Verkehrsaufkommen und damit auch Lärm. Der öffentliche Verkehr bietet wegen des mangelnden Ausbaus für viele Menschen keine echte Alternative."
Die fehlende Verkehrsplanung verärgere viele Bewohner des weiterhin rapide wachsenden 22. Wiener Gemeindebezirks, wie auch die "massive Geldverschwendung" für die jahrzehntelange Planung kritisiert werde, sagte Danhel. Jetzt deute alles darauf hin, dass durch die Regierungsentscheidung und die angekündigte Klage der Stadt Wien bloß eine weitere Verzögerung einer Verkehrslösung in Kauf genommen werde. "Ob es eine bessere und umweltfreundlichere Lösung gibt als den Tunnel, müssen Experten entscheiden", so die Pastoralassistentin.
Fünf Autominuten weiter stadteinwärts in der Pfarre Aspern ist der Lobautunnel und die damit verbundene Stadtstraße, welche durch das Pfarrgebiet verlaufen würde, ein "Thema, das ähnlich polarisiert wie die Corona-Impfung", wie Pastoralassistentin Petra Pories angab. Kritik am Bau- und Planungsstopp gebe es ebenso wie freudige Stimmen - letzteres auch deshalb, da sich die Pfarre im Klimaschutz engagiere und als eine der ersten in Österreich den "Klimanotstand" ausgerufen habe, auf Initiative der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future".
Pories Sohn Simon ist einer der Gesichter der "Fridays for Future"-Bewegung in Wien und war auch federführend bei den bisherigen multireligiösen Gebetsveranstaltungen im Protestcamp gegen die nun abgesagte Großbaustelle involviert. Für die Klimabewegung, jedoch auch für die Bewohner der Donaustadt sei die Entscheidung Gewesslers ein "großer Gewinn", so seine Meinung. "Auf der Hand liegt, dass es nun Alternativen brauche, die besser sind als Autobahnprojekte: Eine bessere Radinfrastruktur, Straßenbahnen, direkte Buslinien und kleinere Intervalle der Schnellbahn zum Hauptbahnhof, die derzeit nur halbstündlich fährt." Seit der Verlängerung der Ubahnlinie U2 habe es hier einen Stillstand gegeben.
Die Besetzung der Baustelle der Stadtstraße, an der die Stadt Wien laut bisherigen Ankündigungen festhalten will, werde weitergeführt, kündigte der in der Pfarre Aspern beheimatete Klimaschützer an. "Wir werden die Stadtautobahn und auch die dorthin führende Spange weiter mit einem Protestcamp bekämpfen. Vorteil ist, dass wir uns jetzt voll und ganz auf dieses Bauvorhaben konzentrieren können", so Pories.