Stefan Hauser interviewt Marko Feingold in der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg.
Stefan Hauser interviewt Marko Feingold in der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg.
Marko Feingold ist 104 Jahre alt. Er überlebte die Internierung in vier Konzentrationslagern. Feingold ist ein unermüdlicher Mahner gegen das Vergessen der NS-Gräuel. Stefan Hauser hat ihn in Salzburg besucht.
Heute können nur mehr wenige Überlebende Auskunft über die Gräueltaten der Nationalsozialisten an der jüdischen Bevölkerung geben. Daher ist es eine absolute Ausnahme mit dem 104-jährigen Marko Feingold über das persönlich Erlebte noch sprechen zu können.
Nach wie vor hält der älteste Holocaustüberlebende hierzulande Vorträge und geht in Schulen. Dabei ruft Feingold immer dazu auf, dem Leben demokratische Werte zu geben und gegen Rassismus und Ausgrenzung aufzustehen.
Ich besuche Feingold in Salzburg. Seit beinahe vier Jahrzehnten ist er der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde.
Seine Frau Hannah sagt mir: „Wir haben genügend Zeit, denn Marko erzählt immer stundenlang vom Erlebten.“ Sie soll Recht behalten. Selten war ich beinahe drei Stunden bei einem Interviewpartner.
Schon bei der Begrüßung ist zu erkennen, Marko Feingold hat sich sein Faible für gute Kleidung bewahrt. Als junger Mann und später als Kaufmann hatte Mode einen großen Stellenwert in seinem Leben. Aber was er in seinen jungen Lebensjahren durchmachen musste, ist einzigartig und bewundernswert.
Am 28. Mai 1913 erblickt Marko in der Slowakei das Licht der Welt. Mit seinen beiden Brüdern, der Schwester und Mutter Zilli wachsen sie in Wien-Josefstadt auf. Vater Heinrich leistet Wehrdienst im Ersten Weltkrieg.
Die Brüder sind älter, Marko verbringt seine Freizeit oft alleine im Prater. Er macht eine kaufmännische Lehre, während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre verliert er seinen Job.
Gemeinsam mit Bruder Ernst geht er als Handelsreisender nach Italien. Die beiden verkaufen Bohnerwachs und leben gut davon. „Wir sind mit mehreren Koffern gereist, weil uns Kleidung wichtig war“, erinnert er sich verschmitzt.
Im Februar 1938 laufen die Pässe der Feingold-Brüder ab. Sie müssen zu deren Verlängerung zurück nach Wien. Aber sie bleiben länger. Ein Fehler! „Es war Fasching“, so Feingold. Im März marschieren die deutschen Truppen ein.
Es beginnt die brutale Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Die Gestapo kommt auch zu den Feingolds.
Man will den Vater verhaften, der sich im Ständestaat gegen illegale Nationalsozialisten engagiert hat. Er wird zwar rechtzeitig gewarnt, die beiden Brüder Ernst und Marko hingegen inhaftiert.
Nach fünf Wochen werden sie freigelassen. Sie setzen sich nach Prag ab. Da sie staatenlos sind, werden sie nach Polen abgeschoben. Mit gefälschten Papieren reisen sie nach Prag zurück. Sie bewerten leerstehende Wohnungen geflüchteter Juden mit falschen Werten. Beide werden später inhaftiert.
Im Frühjahr 1940 werden Marko und Ernst nach Polen ausgewiesen und in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Der Zug hält auf freiem Gelände, sie müssen die letzte Strecke zu Fuß zurücklegen. „Es lagen dort Kleiderfetzen mit Blutflecken herum, wir mussten durch einen Kordon von SS-Leuten“, schildert Marko Feingold.
Die Brüder kommen in die Strafkompanie. In nur drei Monaten magert Marko von 55 auf knapp 30 Kilogramm Körpergewicht ab: „Man ist so geschwächt, stützt sich bei der Arbeit auf die Schaufel und wartet darauf, tot umzufallen. Leute, die so herumstanden, starben massenhaft“, erinnert er sich.
Marko und Ernst werden nach drei Monaten von Auschwitz mit 1.000 anderen inhaftierten ins KZ Neuengamme bei Hamburg transportiert.
Es wird der einzige Transport sein, der Auschwitz je mit inhaftierten Lagerarbeitern verlässt.
In Neuengamme werden die Brüder Feingold aber getrennt, und Ernst in der Gaskammer ermordet. Die sanitären Bedingungen sind entwürdigend, wie auch die Ernährung. „In der Früh gab es schwarzen Kaffee aus gebrannten Eicheln, der war höchstens zum Gurgeln, und eine Scheibe Brot. Zu Mittag etwas Trockenes, und am Abend mussten wir 400 Häftlinge uns um 200 Schüsseln Suppe streiten“, erinnert sich Feingold.
Marko Feingold überlebt trotz harter Arbeit auch die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. Täglich sieht er Menschen sterben: „Unglaublich, wie man abstumpft, wenn man erlebt, wie das Leben eines Menschen, das so wertvoll ist, zugrunde geht“, sagt er.
Das Erlebte bedrückt ihn bis heute.
War der Freitod für ihn ein Thema?
Feingold sagt: „Nein.Warum soll ich Selbstmord begehen, wenn ich ohnehin umgebracht werde?“
Am 11. April 1945 erlebt Marko Feingold die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. „Ich war innerlich froh. Die Lebensmittelvorräte wurden gesichtet, aber die Amis haben uns gesagt, esst nicht zu viel, es könnte euch schaden. Ich hatte aber nach sechs Jahren KZ-Haft gar keinen Hunger.“
Nach der Befreiung warten die aus Österreich stammenden Juden wochenlang in Buchenwald auf Busse, die sie in die Heimat bringen sollen. Als es soweit ist, werden sie an der Grenze der amerikanisch-russischen Besatzungszone bei Enns nicht durchgelassen, „man wollte uns in Wien nicht“, sagt Feingold. Der Bus kehrt um. Der KZ-Überlebende steigt in Salzburg aus und bleibt – bis heute.
Zwischen 1945 und 1948 organisiert Feingold mit der jüdischen Flüchtlingsorganisation „Brichah“ die illegale Durchreise von Juden aus Mittel- und Osteuropa nach Palästina. Dazu nützt man einen schmalen Korridor in den Krimmler Tauern, durch den Tausende nach Italien – und von dort mit Schiffen nach Haifa geschleust werden.
1948 eröffnet Feingold ein Modegeschäft in Salzburg. Er engagiert sich in der Israelitischen Kultusgemeinde, bis heute ist er deren Präsident. Privat ist er mittlerweile in zweiter Ehe ist verheiratet.
Marko Feingold ist ein Mahner gegen das Vergessen der Gräuel. Er ist oft als Zeitzeuge in Pfarren und Schulen unterwegs.
Über seine Lebensziele sagt er bescheiden: „Ich kann es selber nicht glauben, dass ich 104 Jahre alt bin.“
Bild 1: Marko Feingold hat trotz der vielen erlebten Nazi-Gräuel und des Verlustes seiner Familie den Humor nie verloren.
Bild 2: Marko Feingold kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald.
Bild 3: Die Feingold-Kinder: Nathan, Rosa, Ernst, Marko (rechts).
„Passionswege“ auf radio klassik Stephansdom
Marko Feingold hören Sie am Samstag,
17. Februar 2018, von 19 - 20 Uhr.
Das DaCapo
am Mittwoch, 21. Februar 2018, von 21 - 22 Uhr.
Nachhörbar auf
www.radioklassik.at als podcast.
Marko M. Feingold
Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh:
Eine Überlebensgeschichte
Verlag: Otto Müller, (24. Mai 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3701311965
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die Zeitung der Erzdiözese Wien
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