Die Pummerin läutet in Österreich das neue Jahr ein, erzählt Domarchivar Reinhard H. Gruber.
Die Pummerin läutet in Österreich das neue Jahr ein, erzählt Domarchivar Reinhard H. Gruber.
Der Stephansdom gilt als „Pfarrkirche Österreichs“ schlechthin. Er ist stiller Wächter über Stadt und Land und ein heiliger Bezirk, in dem die Seele Zuflucht und Geborgenheit findet. Warum wir den Dom so sehr mit heimatlichen Gefühlen verbinden, erklärt Stephansdom-Experte und Domarchivar Reinhard H. Gruber.
Der Turm, das Dach, das Tor. Kühles Weihwasser auf der Stirn spüren und dann diese „innere“ Ruhe des Raumes wahrnehmen.
Das Lächeln der Dienstbotenmadonna, das Licht der Kerzen bei Maria Pocs, der Klang der Pummerin: Beim und im Stephansdom fühlen sich viele Österreicher wie zu Hause. Wien ohne den Stephansdom ist undenkbar.
„Der Wiener Stephansdom ist nicht nur ein europäisches Kulturdenkmal ersten Ranges, sondern auch jenes Wahrzeichen Österreichs, mit dem sich bis heute die meisten Bürger der Republik identifizieren“, sagt Reinhard H. Gruber, Domarchivar zu St. Stephan.
Der Dom ist Heimat für die Seele. „Kommt Besuch aus den Bundesländern oder dem Ausland nach Wien, so zeigt man ihm ganz selbstverständlich den Stephansdom, ob man nun gläubig ist oder nicht“, weiß Reinhard Gruber.
„Heimat ist dort, wo das Herz ist, wo wir uns geborgen und angenommen fühlen.“ Und den Dom verbinden wir auf besondere Weise mit Heimat. „Das zeigt sich etwa bei der Pummerin. Ich kenne kein anderes Land, in dem das neue Jahr mit der größten Glocke des Landes so eingeläutet wird wie bei uns. Und dieses Läuten wird auf allen Fernseh- und Radiosendern mit anschließendem Donauwalzer übertragen“, staunt der Domarchivar mit Tiroler Wurzeln.
Der Stephansdom gehört ganz selbstverständlich zur Stadt. „Die Wiener nennen den Dom die ,Stephanskirche’, denn er ist ihre Kirche“, erklärt Reinhard Gruber.
Der Stephansdom ist schon durch seine Geschichte eine Kirche der Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt – und nicht der Herrscher.
Gruber: „Die Bürger haben den Kirchenbau von Anbeginn an finanziert. Als Wiener traute man sich gleichsam nicht zu sterben, bevor man nicht für den Dom gespendet hatte. Der Kirchenmeister war immer Mitglied der Stadtverwaltung. Ohne die Mitsprache der Bürger lief am Dom gar nichts.“
Faszinierend zu sehen: wie der Dom immer als Mittelpunkt des Landes gesehen wurde. So wurden die Entfernungen zu den Kronländern in der Monarchie von der Spitze des Domes aus vermessen. Der Dom bildete das Zentrum für den Zirkelradius.
Der Dom ist aber auch die Kirche aller Österreicher. „Nach dem schrecklichen Dombrand im April 1945 haben alle Bundesländer zusammengeholfen und beigetragen, dass der Dom wieder aufgebaut werden konnte.
Berühmt ist die Dachziegelaktion, in der man symbolisch einen Dachziegel als Postkarte erwerben konnte“, erinnert Reinhard Gruber an die Zeit des Wiederaufbaus.
„Wer immer diese Schwelle überschreitet, erfahre hier Heil und Segen, Hilfe und Trost“, heißt es im Ritus der Kirchweihe. Geht man in den Dom, bekreuzigt man sich mit Weihwasser und überschreitet die Schwelle in einen heiligen Bezirk.
„Hier finden wir Ruhe und Geborgenheit, besonders am Abend, wenn das Museale des Doms sich verliert und die Stephanskirche ganz zu einem Ort des Gebetes und der Stille wird“, erklärt Domarchivar Gruber und nennt einige besondere Zufluchtsorte für die Seele im Dom: die Eligiuskapelle, die Barbarakapelle, den Maria-Pocs-Altar, die Schutzmantelmadonna und die Dienstbotenmadonna.
Die Legende berichtet, dass einer adeligen Dame ein wertvoller Ring abhanden gekommen sei. Sie bezichtigte daraufhin ihr Dienstmädchen des Diebstahls. Das arme Mädchen suchte Zuflucht im Gebet vor der Marienstatue im Stephansdom. Alsbald fand sich der verschollene Ring im Handschuh der Dame und die Unschuld des Mädchens war erwiesen.
Die um 1300 entstandene Marienstatue wurde über Jahrhunderte in der Folge besonders von Dienstboten aufgesucht und verehrt. „Heute kommen Menschen aller Berufe auf einen Sprung in den Dom, um der Dienstbotenmadonna von ihren Sorgen und Freuden zu erzählen“, berichtet Reinhard Gruber.
Über die Jahrhunderte wurde der Dom Heimat und Ruhestätte für Verstorbene: Bürgerinnen und Bürger der Stadt, Bischöfe, Mitglieder des Domkapitels und andere Geistliche.
Rund hundert Menschen arbeiten rund um und am Dom: von der Dompfarre, über die Dombauhütte, bis hin zur Dommusik. „Der Dom beschäftigt Wissenschaftler wie Historiker und Kunsthistoriker in verschiedenen Forschungsprojekten – zum Teil ein ganzes Forscherleben lang“, berichtet Reinhard Gruber.
Und auch Tieren bietet St. Stephan Zuflucht und Heimat: Von der klassischen Kirchenmaus über Insekten bis zu den Turmfalken.
Domarchivar Reinhard Gruber: „Der Dom gehört sich selbst. Niemand besitzt den Dom. Er gehört allen. Allen Wienern, allen Österreichern und, da er ja auch als europäisches Kulturerbe gilt, auch allen Europäern.“
Lächelnde Dienstbotenmadonna.
HINWEIS:
Diesen – und andere spannende Beiträge und Fotos über den Stephansdom finden Sie im neuen Magazin „Unser Steffl".
Produziert von der Redaktion des SONNTAG in Kooperation mit der Pfarre St. Stephan.
Erhältlich im Stephansdom und im Domshop um 2 €.
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
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